Mittwoch 06 Mai 2020, 13:04

WM-Erinnerungen eines französischen Superfans

  • Clément Tomaszewski hat an acht FIFA Fussball-Weltmeisterschaften teilgenommen

  • Seit 1982 war er bei 274 Länderspielen der französischen Nationalmannschaft dabei

  • Für seine Leidenschaft bereiste er vier Kontinente und legte dabei über 300.000 Kilometer zurück

Weltmeisterschaften hinterlassen bei allen Fussballfans emotionale Erinnerungen. Clément Tomaszewski hat davon unzählige. Mit seinen 72 Jahren gilt er als einer der treuesten und glühendsten Anhänger der Bleus, denn er hat sage und schreibe 274 Länderspiele der Équipe tricolore miterlebt. Das ist fast ein Drittel der 840 Pflichtspiele der Franzosen. Seine Leidenschaft führte ihn in 44 Länder, wobei er acht FIFA Fussball-Weltmeisterschaften™ vor Ort miterlebte!

Alles begann 1980, als ihn ein Freund zur Unterstützung von OGC Nizza mit ins Stade du Rey nahm. Daraus entwickelte sich rasch eine Freundschaft mit einigen Spielern. "Im Mai 1982 hatten sie in Nizza so ein ganz schmächtiges Kerlchen namens Daniel Bravo. Er stand im erweiterten Kader für Spanien 1982. Aber er verletzte sich. Er war deshalb am Boden zerstört. Da haben wir zu ihm gesagt: 'Hör zu, Daniel, wenn du nicht mit nach Spanien reisen kannst, fahren eben wir für dich hin'", erinnert sich "Clément aus Antibes" – so sein Spitzname – im Gespräch mit FIFA.com.

Gesagt, getan. Die Gruppe machte sich auf nach Bilbao und sah sich das Spiel England gegen Frankreich an. "Die Stimmung unter den englischen Fans war toll. Die sangen die Marseillaise besser als ich. Diese außergewöhnliche Atmosphäre damals hat mich absolut begeistert."

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1990: Auf nach Italien

Seitdem hat Clément Tomaszewski keine WM-Teilnahme seiner geliebten Bleus mehr verpasst. Selbst über Italien 1990 – für Frankreich eigentlich eine WM zum Vergessen – denkt er positiv. "Paradoxerweise zählt Italien 1990 zu meinen schönsten Erinnerungen. Da ich in Antibes wohne, ist es nach Genua näher als nach Marseille. Also habe ich eine Campingwoche mit der Familie eingeplant und wir haben in Genua zwei Spiele gesehen: Costa Rica gegen Schweden und Schottland gegen Schweden. Die schönsten Erinnerungen sind eben immer die an Erlebnisse als Familie."

Ohne seine Lieben wäre die Leidenschaft des "Clément d’Antibes" in der Tat eine andere. Denn mit ihnen stand er kurz vor einem nie da gewesenen Triple. "12. Juli 1998, Endspiel der WM 1998, Frankreich gegen Brasilien – ich war mit meinem Sohn dabei. Endspiel der EURO 2000 – ich war mit meiner Frau dabei. Ich war überzeugt, wenn ich mit meiner Familie beim Finale 2006 in Deutschland bin, gewinnen wir auch das. Aber leider lag ich daneben."

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"Clément aus Antibes" war für seine Bleus in guten wie in schlechten Zeiten dabei. Dabei kosteten ihn gerade die Auswärtsspiele, gelinde gesagt, Überwindung. "Ich hasse fliegen. Aber die Leidenschaft ist stärker als die Angst! Und noch eine Schwäche habe ich: Ich spreche keine einzige Fremdsprache. Aber bei einer Weltmeisterschaft sprechen sowieso alle dieselbe Sprache. Die Fans sind da, um ihre Mannschaften zu unterstützen und zu feiern, ohne Berührungsängste. Es herrscht gegenseitiger Respekt." Tomaszewski schätzt sich glücklich, dass es ihm gelungen ist, über alle Sprachbarrieren hinweg Freundschaften zu knüpfen. "Ich war sogar als Gast bei der Hochzeit eines Deutschen, den ich in Stuttgart getroffen habe."

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Erinnerungen hat Tomaszewski Tausende, aber keine kommt an das Halbfinale der FIFA Fussball-WM Frankreich 1998 heran. "Das war der erste Stadionbesuch mit meinem Sohn Balthazar. Und prompt mussten wir zittern. Davor Suker traf und mein Sohn und ich sahen schon wieder die Felle für ein WM-Endspiel davonschwimmen. Dann kam Lilian Thuram und drehte das Spiel. Von allen 274 Spielen war dies das emotionalste."

Emotionen freilich gab es auch zu anderen Gelegenheiten reichlich, etwa am 29. Februar 2012. "An diesem Tag hatte ich mein 30-jähriges Jubiläum als Fan. Ich war im Mannschaftshotel unserer Bleus und dank Henri Emile rief mich Hugo Lloris in die Lobby. Anschließend überreichte er mir als Mannschaftskapitän ein Trikot mit den Unterschriften aller Trainer und Betreuer der französischen Nationalmannschaft. Das war fabelhaft."

Ein Platz im Museum

Und dann war da noch jener 6. Dezember 2013 und der Moment der Gruppenauslosung für die FIFA Fussball-WM Brasilien 2014. "Das Maracanã-Stadion war schon immer mein Traum als Fussballfan. Und dann bot sich plötzlich die Gelegenheit! Frankreich gegen Ecuador im Maracanã! Ich bin wie ein junges Reh auf meinen Esszimmertisch gesprungen, als ich das gehört habe."

Und wer würde wohl den 28. Februar 2016 vergessen, als das FIFA-Museum eröffnet wurde? "Im ersten Stock standen 24 kleine Schaukästen mit 24 WM-Persönlichkeiten, die den Fussball geprägt haben. In einem davon ich, Clément d'Antibes, mit der WM-Trophäe aus Holz, signiert von 13 Weltmeistern des Jahres 1998. Und neben mir Leute wie Albert Camus in dem einen und Bob Dylan in dem anderen Schaukasten. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich bin schließlich nur ein Fan, ich bin kein Zidane."

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Macht Frankreichs Superfan irgendwann Schluss? "Ich habe mal nachgerechnet, ich habe jetzt über 300.000 Kilometer zurückgelegt", sagt Tomaszewski. "Das sind schon siebeneinhalb Weltumrundungen. Aber ich war noch nie in Katar, also habe ich durchaus noch Ziele. Vielleicht lässt es sich einrichten, dass ich mir dort ein oder zwei Spiele ansehe. So lange ich laufen kann, warum nicht?"