Donnerstag 05 Dezember 2019, 08:26

Stimac: "Ich genieße jede Sekunde"

  • Igor Stimac ist seit sechs Monaten Nationaltrainer Indiens

  • Mit Kroatien gewann er bei der FIFA Fussball-WM Frankreich 1998 die Bronzemedaille

  • Stimac spricht über Indiens Potenzial, die WM-Qualifikation und die Rolle als Gastgeber von U-17-Turnieren

Igor Stimac kommt aus einem kleinen Land mit gerade einmal vier Millionen Einwohnern. Doch was Kroatien an beeindruckenden Zahlen fehlt, macht das Land – zumindest im Fussball – mit purer Leidenschaft wett. Auf der Welle der nationalen Fussballbegeisterung reitet die Nationalmannschaft, die mit denen weitaus stärkerer Nationen mithält und bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Frankreich 1998™ die Bronzemedaille holte und es im vergangenen Jahr in Russland gar bis ins WM-Finale schaffte.

Insofern müsste Indien eigentlich der absolute Kulturschock für Stimac sein. Schließlich hat das Land knapp 1,4 Milliarden Einwohner, aber gegenüber der beliebtesten Sportart der Welt eine als eher lauwarm geltende Einstellung. Die Nationalmannschaft gilt weithin als "schlafender Riese" und passt somit genau ins Bild. Doch Stimac ist vom Gegenteil überzeugt.

Der ehemalige kroatische Nationalspieler ist nun seit gut einem halben Jahr als Nationaltrainer Indiens im Amt. Die Ergebnisse sind bislang eher durchwachsen, doch er bereut es keine Sekunde lang, diese enorme Herausforderung angenommen zu haben.

"Ich genieße jede Sekunde", sagte er im Gespräch mit FIFA.com. "Die Nationalmannschaft eines so riesigen, großartigen Landes zu führen, bedeutet eine große Verantwortung und ein enormes Privileg. Und die Leidenschaft für den Fussball ist auf jeden Fall vorhanden. Man sieht Indien meist nicht als Fussballnation, doch es hängt stark davon ab, um welchen Landesteil es geht. In bestimmten Regionen ist Cricket noch die vorherrschende Sportart, doch in anderen Regionen ist Fussball für die Menschen ähnlich wichtig wie damals für mich, als ich in Kroatien aufwuchs.

Es heißt immer, dass Indien ein "schlafender Riese" sei, was den Fussball angeht. Und das stimmt auch, denn das Potenzial ist vorhanden. Gemeinsam müssen wir beginnen, diesen Riesen aufzuwecken und dafür sorgen, dass wir beim nächsten AFC Asien-Pokal konkurrenzfähig sind, und auch in der WM-Qualifikation für 2026."

Traum von Katar 2022 geplatzt

Dass Indien bereits über 2022 hinaus blickt und sich auf die nächste WM-Qualifikation konzentriert, ist der aktuellen Situation in der laufenden Asien-Qualifikation geschuldet. Zwar haben die Inder in den fünf bisherigen Spielen durchaus ansprechende Leistungen gezeigt und sogar ein überraschendes Auswärts-Unentschieden bei Asienmeister Katar geholt. Doch es mangelt an Durchschlagskraft vor dem gegnerischen Tor – und das erweist sich als fatal.

"Das Toreschießen ist derzeit unser großes Problem", hat auch der Coach erkannt. "Wir spielen recht ansprechenden Fussball und machen unsere Sache gut. Doch am und im gegnerischen Strafraum fehlt uns einfach der letzte Biss. Dieses Problem müssen wir lösen, und daran arbeiten wir derzeit, zum Beispiel mit Standardsituationen und anderen Methoden. Wir haben auch die Spielweise des Teams verändert und setzen weniger auf lange Bälle. Man kann hier deutliche Fortschritte erkennen und auch die Zahlen zeigen, dass wir jetzt deutlich mehr Ballbesitz haben.

"Ich wünschte nur, wir hätten auch bessere Resultate vorzuweisen. Wir waren von Anfang an ein großer Außenseiter in der Gruppe. Doch es ist schade, dass wir die WM 2022 in Katar verpassen werden, denn ich bin überzeugt, dass dies die faszinierendste WM aller Zeiten wird. Ich war ja einige Zeit in Katar als Trainer tätig und bin auch nach dem Ende meiner Arbeit dort immer wieder mal hingereist. Es ist ein unglaubliches Land und die Menschen dort werden die WM zu einem riesigen Erfolg machen. Ich weiß, dass es durchaus Zweifel gibt, aber ich bin überzeugt, dass die WM großartig wird."

xictfdfopke0fx427ehg.jpg

Erinnerungen an die WM

Stimac weiß dabei besser als viele andere, wie großartig WM-Turniere sein können. Er war einer der Schlüsselspieler in Kroatiens WM-Team 1998, das bei seiner ersten WM-Teilnahme als unabhängige Nation gleich Platz drei eroberte. Der ehemalige Verteidiger von Derby County und West Ham United war auch Trainer der Nationalmannschaft und arbeitete mit zahlreichen Spielern, die es bei der FIFA Fussball-WM Russland 2018™ bis ins Finale schafften.

"Die WM in Frankreich gehört zu den tollsten Erinnerungen in meinem Leben", betont er. "Das war für unsere Nation ein überaus wichtiges Turnier. Ich bin sehr stolz, dass ich Teil dieses Teams sein durfte.

Doch ich war überglücklich, als die Mannschaft im vergangenen Jahr unser Abschneiden sogar noch übertroffen hat. Als ich noch der Trainer war, habe ich den Spielern gesagt: "Das erste Ziel ist, sich für eine WM zu qualifizieren. Das zweite ist, sie zu gewinnen". Genau mit dieser Einstellung sind die Jungs in Russland an den Start gegangen. Und ich denke, mit ein bisschen mehr Glück hätten sie sogar die Trophäe nach Hause bringen können."

Stimac gehört zu einer gefeierten Spielergeneration, die (noch unter jugoslawischer Flagge) schon 1987 die Welt eroberte und die FIFA Junioren-WM gewann. Somit weiß er, wovon er spricht, wenn er betont, wie bedeutsam es ist, dass Indien in kurzer Folge zwei FIFA-Nachwuchsturniere organisiert: Nach der enorm erfolgreichenFIFA U-17-Weltmeisterschaft 2017 der Männer richtet Indien im kommenden Jahr die FIFA U-17-Frauen-Weltmeisterschaft aus.

"Solche Turniere sind einfach fantastisch. Ich denke immer noch oft an 1987 zurück, nutze die Erfahrungen in meiner Arbeit und spreche viel mit meinen Spielern darüber. Für mich sind das wertvolle Erinnerungen und Lektionen für mein ganzes Leben. Für Indien ist die Ausrichtung solcher Turniere ein sehr großer Schritt und für das ganze Land eine wirklich positive Entwicklung, in vielerlei Hinsicht.

Ich weiß, dass es auch in Indien vor einigen Jahren große Vorbehalte wegen der Ausrichtung der U-17-WM gab. Doch am Ende hat das Land von allen Seiten überaus viel Lob für den fantastischen Job kassiert. Und genau so wird es auch im kommenden Jahr sein. Indien wird ein fantastischer Gastgeber sein. Dieses Turnier wird die Entwicklung junger Spielerinnen hier enorm voranbringen. Bei den Männern haben bereits jetzt einige Spieler aus der damaligen U-17-Auswahl den Sprung in die A-Nationalmannschaft geschafft und sorgen dort für Furore.

All das gehört zu dem langen Weg, den Indien als Fussballnation derzeit beschreitet. Dies ist ein weiterer, wichtiger Schritt vorwärts auf diesem Weg. Wir müssen dafür sorgen, dass sich hier alles weiter in die richtige Richtung entwickelt. Wenn uns das gelingt, wird die Zukunft sehr aufregend."