Donnerstag 13 August 2020, 09:25

Song: "Mein erstes WM-Spiel? Ein Kindheitstraum" 

  • Rigobert Song spricht über seine Erfahrungen bei der FIFA-WM

  • "Roger Milla ist ein monumentaler Spieler", sagt er

  • Song bewertet Kameruns Hoffnungen auf die Qualifikation für Katar 2022

Rigobert Song war gerade einmal 17 Jahre alt, als er mit Kamerun seine erste FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ bestritt. Vier Jahre nachdem er den epischen Viertelfinaleinzug der unzähmbaren Löwen bei der Auflage von 1990 in Italien im Fernsehen verfolgt hatte, wurde für den jungen Mann ein Traum wahr. Er wurde selbst Stammspieler und trat an der Seite seiner Idole an. Das WM-Abenteuer sollte ihm die Tür nach Europa öffnen und war der Startschuss zu einer herausragenden Karriere.

Als er 1994 in den USA im zweiten Gruppenspiel gegen den späteren Weltmeister Brasilien die Rote Karte kassierte, rechnete der Verteidiger sicher nicht damit, dass er Gelegenheit haben würde, an drei weiteren WM-Auflagen teilzunehmen (1998, 2002 und 2010) und damit in den erlauchten Kreis der Kameruner vorzudringen, die viermal auf der Weltbühne vertreten waren. Außer ihm ist das nämlich nur noch Jacques Songo'o und Samuel Eto'o gelungen.

Rigobert Song ist mit 137 Länderspieleinsätzen Rekordnationalspieler seines Landes. Mit FIFA.com spricht er über seine markantesten WM-Erinnerungen und seine Einschätzung des aktuellen Teams der unzähmbaren Löwen.

Rigobert Song, welches ist Ihre früheste Erinnerung an die Weltmeisterschaft?

Die erste Weltmeisterschaft, die ich sehen konnte, war die von 1990. Ich habe sie auf einem Schwarz-Weiß-Fernseher verfolgt. Wir saßen mit vielen Leute vor einem kleinen Bildschirm und wollten keinen einzigen Moment dieses Großereignisses verpassen. Besonders groß waren das Interesse und die Aufmerksamkeit natürlich, wenn die unzähmbaren Löwen spielten. Bei jedem Sieg war die Freude überall riesig. Das sind unvergessliche Momente. Persönlich geprägt hat mich das Spiel Kamerun–Argentinien. Das war für mich ein ganz besonderes Spiel. Als Fan ging mir schon vor dem Anstoß die Düse. Vor allem, als Maradona beim Münzwurf begann, mit den Füßen, den Schultern und dem Kopf zu schlackern. Trotz der beiden Roten Karten haben wir das Spiel aufgrund des fantastischen Tors von Omam Biyick gewonnen. Ein Tor, das in die Geschichte eingegangen ist. Es war erstaunlich zu sehen, wie unsere Vorgänger der Welt gezeigt haben, dass der Fussball universell ist. Damals wurde mir bewusst, welche Bedeutung die WM hat. Was soll man über diese Mannschaft sagen ... Es ist schwierig, nur einen Spieler herauszupicken. Im weiteren Turnierverlauf ist die Maschine angelaufen. Roger Milla und seine Tore ... einfach atemberaubend!

Was war das für ein Gefühl, als sie später selbst Teil dieser Mannschaft wurden?

Das ist eine denkwürdige Erinnerung. Als ich bei den unzähmbaren Löwen in den vorläufigen Kader aufgenommen wurde, gemeinsam mit denen, die mich 1990 zum Träumen gebracht hatten, sagte ich mir: 'Mein Gott, ich bin hier unter lauter Idolen und könnte tatsächlich bei einer WM dabei sein! Mit 17 Jahren!' Ich werde niemals die Freude vergessen, die ich bei meinem ersten WM-Spiel empfand. Mein Kindheitstraum wurde wahr. Das wird mich für den Rest meines Lebens begleiten.

1994 avancierte Roger Milla zum ältesten Torschützen einer Weltmeisterschaft. Was war in Ihren Augen das Besondere an diesem Spieler?

Zunächst einmal ist das Alter für mich im Fussball belanglos. Ich spreche lieber über Leistungen, Erfahrung und Reife. Roger Milla ist für mich ein Idol. Vor der WM haben wir gemeinsam für Tonnerre Kalara Club de Yaoundé gespielt. Dort musste ich ihn im Training decken und habe viele Ratschläge von ihm bekommen. Ich kann sagen, dass ich dadurch schnell dazugelernt und mich weiterentwickelt habe. Er musste gar nicht besonders viel laufen, um effizient zu sein. Sein Stellungsspiel war einfach herausragend. Mit seiner Erfahrung und Reife war er immer in der Lage, ein Spiel zu entscheiden. Roger Milla ist für mich ganz unabhängig vom Alter ein Ausnahmefussballer. Ich bringe ihm viel Bewunderung und Respekt entgegen.

Welche Erinnerungen nehmen Sie von Ihrer zweiten Weltmeisterschaft, der von 1998, mit?

Das Spiel gegen Chile in Nantes. Wir hatten das Gefühl, ganz nah an einem Einzug in die nächste Runde vorbeigeschrammt zu sein. Wir fühlten uns angesichts der Roten Karten und aberkannten Tore etwas ungerecht behandelt. Das hinterlässt natürlich Spuren. Aber im Nachhinein kann man auch bedauern, dass wir den Sieg gegen Österreich in den letzten Sekunden des Spiels noch aus der Hand gegeben haben. Wir haben damals mit 1:0 geführt und dann wegen einer Unkonzentriertheit in der Defensive den Ausgleichstreffer kassiert.

Wie erklären Sie Ihre beiden Gelben Karten im Spiel gegen Chile? Schließlich wussten Sie damals schon, was es bedeutet, bei einer WM einen Platzverweis zu kassieren.

Wissen Sie, sobald ich auf dem Platz stehe, bin ich ein anderer Mensch. Ich will gewinnen. Und wenn ich für mein Land spiele, lege ich mich normalerweise richtig ins Zeug. An diesem Tag habe ich im Eifer des Gefechts schlecht reagiert. Vielleicht ist mir auch der Kragen geplatzt, weil wir ungerecht behandelt worden waren.

Sie halten den Rekord des jüngsten Rotsünders der WM-Geschichte und sind außer Zinédine Zidane der einzige Spieler, der bei zwei verschiedenen WM-Auflagen jeweils eine Rote Karte kassiert hat. Wie bewerten Sie diese etwas zweifelhaften Rekorde mit etwas Abstand?

Ich schreibe das jugendlichem Leichtsinn zu. Ich habe die Platzverweise bei meinen ersten beiden Weltmeisterschaften kassiert. Danach hatte ich die Lektion gelernt [lacht]! 2002 bin ich nicht vom Platz geflogen. 2010 auch nicht, wobei ich da auch nur wenige Minuten gespielt habe.

Was ist Ihnen von den Auflagen von 2002 und 2010 in Erinnerung geblieben?

Diese beiden Weltmeisterschaften waren für mich mehr als frustrierend. Beide Teams hatten meiner Meinung nach das Potenzial, ein herausragendes Turnier zu spielen. Dann sind uns kleine technische Fehler und Unaufmerksamkeiten sowie einige kleine Patzer in der internen Organisation teuer zu stehen gekommen. Beim hochklassigen Fussball sind Details entscheidend.

Nach der Auflage von 1990 ist Kamerun viermal nach der ersten Runde ausgeschieden. Sehen Sie die Chance, dass Kamerun eines Tages ebenso gut oder sogar besser abschneidet als 1990?

An die Generation von 1990 herankommen? Das ist nicht unmöglich, aber es erfordert harte Arbeit und ist von vielen weiteren Faktoren abhängig, zum Beispiel von einer sehr guten Vorbereitung, von Spielern, die bei hochklassigen Klubs spielen, von der Erfahrung – und etwas Glück gehört auch dazu. Was ich da gesagt habe, gilt für alle afrikanischen Mannschaften. Nach der Generation von 1990 ist es nur zwei anderen afrikanischen Nationen gelungen, ins Viertelfinale einer WM für A-Nationalteams einzuziehen, und zwar Senegal im Jahr 2002 sowie Ghana 2010. Der Kontinent bringt durchaus talentierte Spieler hervor, aber wie ich bereits sagte, reicht Talent allein nicht aus, um diesen Sprung zu machen. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass es bald einem afrikanischen Land gelingen wird, an die Leistung der Generation von 1990 anzuknüpfen oder sogar besser zu sein. Und ich wünsche mir, dass es Kamerun zuerst gelingt.

Wie bewerten Sie die aktuelle Auswahl Kameruns?

Die unzähmbaren Löwen haben derzeit eine gute Mannschaft, die sich noch weiterentwickeln kann. Das Team befindet sich gerade im Umbau. Es sind Spieler dabei, die viel zum Einsatz kommen, und einige spielen in europäischen Wettbewerben. Das ist eine gute Sache. Damit hat der Trainer die Möglichkeit, eine wettkampfstarke Mannschaft zusammenzustellen. Außerdem haben auch die Nachwuchsteams gute Spieler zu bieten, mit denen der Trainer seinen Kader jederzeit verstärken kann. Diese Gruppe macht Fortschritte, und wenn die Spieler häufiger zusammenspielen, stellen sich Automatismen ein und das Team wird stärker werden.

Sind Sie zuversichtlich, was die Qualifikation für die WM 2022 betrifft, obwohl Kamerun mit Blick auf den Einzug in die dritte Runde in einer schweren Gruppe antreten muss?

Der Fussball hat eine große Entwicklung durchgemacht, und die Verhältnisse sind mittlerweile sehr ausgeglichen. Es gibt praktisch keine kleinen Fussballnationen mehr. Alle wollen an einer WM teilnehmen und werden alles dafür geben. Kamerun muss einfach bei der WM dabei sein. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die unzähmbaren Löwen alles dafür tun werden. Auch wenn es schwer wird und der Einzug in die dritte Runde hart erkämpft werden muss – das ist der Preis, den man zahlen muss, um eine WM zu spielen. Jetzt gilt es, sich ins Zeug zu legen und dafür zu kämpfen. Die unzähmbaren Löwen haben eine gute Mannschaft, und ich glaube, dass sie 2022 in Katar dabei sein werden.

Auf was sind Sie heute besonders stolz?

Die Tatsache, dass ich bei vier Weltmeisterschaften dabei war, macht mich mehr als stolz. Ich kenne viele renommierte Spieler, die alles geben würden, um ein einziges Mal dabei zu sein. Die WM ist für mich im Fussball der wichtigste Wettbewerb. Es macht mich stolz, dass ich mein Land viermal auf der Weltbühne vertreten durfte. Der WM habe ich es zu verdanken, dass ich den Sprung in den europäischen Profifussball geschafft habe und die Karriere hinlegen konnte, durch die mich alle kennen.