Dienstag 29 September 2020, 10:39

Rohr: "Wir glauben an unsere eigenen Stärken"

  • Gernot Rohr übernahm 2016 die nigerianische Nationalmannschaft

  • Der deutsche Trainer führte seine verjüngten Super Eagles zur WM 2018 nach Russland

  • Ziel: Erreichen des Viertelfinales in Katar 2022

Bevor Gernot Rohr zum Nationaltrainer Nigerias wurde, lief es nicht gut für das Team. In der Qualifikation für die Afrikameisterschaft 2015 waren die Super Eagles gescheitert und auch für die Auflage 2017 konnten sie sich nicht qualifizieren. Viele zweifelten daran, dass Nigeria es zur FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ schaffen würde, nicht zuletzt weil das Team in einer überaus schweren Gruppe mit Algerien, Sambia und Kamerun gelandet war.

Inmitten dieser Probleme gelang es Rohr, den Kader deutlich zu verjüngen. Er berief in Europa aktive junge Akteure wie Kelechi Iheanacho, Wilfred Ndidi und Alex Iwobi und integrierte sie erfolgreich in sein Team. Die Youngster hatten großen Anteil daran, dass sich die Super Eagles ungeschlagen für die WM-Endrunde qualifizierten und beim Turnier in Russland beeindrucken konnten. Hier verpassten sie den Einzug in die K.o.-Runden erst durch eine knappe Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen Argentinien.

Mit FIFA.com sprach Rohr über seine Trainerkarriere in Afrika und seine Ambitionen für Katar 2022, wo er die Super Eagles zu ihrer ersten Viertelfinalteilnahme führen will.

Sie sind einer der wenigen deutschen Trainer, die in Afrika gearbeitet haben. Warum ist das so?

Ich versuche immer, effektiv und auf respektvolle Weise zu arbeiten und mich insbesondere auf die afrikanische Mentalität einzustellen.

Sie waren schon in fünf afrikanischen Ländern als Trainer tätig, nämlich in Tunesien, Gabun, Niger, Burkina Faso und jetzt in Nigeria. Welches sind die wichtigsten Eigenschaften dieser Länder?

Mein Weg in Afrika begann in Tunesien beim Klub Étoile du Sahel. Das war meine erste Erfahrung in Afrika, bevor ich dann Nationalteams trainiert habe. In Tunesien habe ich die sehr gute Organisation und das hohe Niveau der Sportanlagen erlebt. Schließlich hatte der Klub zuvor die CAF Champions League gewonnen. Das war eine gute Erfahrung für mich. In Gabun übernahm ich dann erstmals eine Nationalmannschaft. Dort habe ich viel gelernt und habe wunderbare Erinnerungen an die Zeit. Wir haben in dieser Zeit eine enorme Entwicklung geschafft, nicht zuletzt dank des damaligen Ministers für Jugend und Sport, der ein echter Fussballkenner war und es uns allen leicht gemacht hat. 2012 haben wir uns für den CAF Afrikanischen Nationen-Pokal qualifiziert. Wir haben es bis in die K.o.-Runde geschafft, wo wir im Elfmeterschießen gegen Mali ausgeschieden sind.

Dann wurden Sie Nationaltrainer Nigers…

Man wollte, dass sich Niger für die nächste Afrikameisterschaft qualifiziert. Genau das ist uns letztlich auch gelungen, durch einen Sieg im entscheidenden Spiel gegen Guinea. Bei der Endrunde 2013 in Südafrika haben wir gute Leistungen gezeigt, trotz der extremen Temperaturen von bis zu 47 Grad. Die Spieler haben unter teilweise schwierigen Bedingungen große Entschlossenheit und Solidarität gezeigt. Ich habe jedenfalls sehr schöne Erinnerungen an die Zeit in Niger. Dann kam das Engagement in Burkina Faso. Hier gab es allerdings 2015 Unruhen und einen Umsturzversuch, so dass ich das Land nach nur einem Jahr wieder verließ.

Sie gingen dann nach Nigeria, das gerade die Qualifikation für die Afrikameisterschaft 2017 verpasst hatte. Wie sind Sie diese neue Herausforderung angegangen?

Nigeria unterscheidet sich von meinen vorherigen Stationen kulturell und auch durch die Sprache. Es leben weit mehr als 200 Millionen Menschen in dem Land. Nach dem Scheitern in der Qualifikation war ein Neuaufbau des Teams erforderlich. Ich habe daher beschlossen, relativ unbekannte junge Spieler zu berufen, die gerade erst 18 geworden waren, so wie Iheanacho und Iwobi. Meinem Assistenztrainer und mir ist es gelungen, Harmonie und Ausgewogenheit in unserem Kader herzustellen, der von unserem Kapitän John Obi Mikel geführt wurde.

Sie haben es mit ihrem jungen Team zur FIFA Fussball-WM Russland 2018™ geschafft, obwohl sie in der Qualifikation in einer sehr schweren Gruppe gegen den Afrikameister 2013 Sambia, den Afrikameister 2017 Kamerun und den Afrikameister 2019 Algerien antreten mussten.

Ja, das ist richtig. Wir haben unser erstes Spiel auswärts in Sambia gewonnen. Das war natürlich ein perfekter Auftakt. Dabei sind wir mit einem jungen Team angetreten, mit Iheanacho und Ndidi und außerdem auch Iwobi, der einen Treffer erzielt hat. Zur Pause lagen wir mit 2:0 vorn. Mit Carl Ikeme hatten wir außerdem einen tollen Torhüter, der seine Karriere leider krankheitsbedingt beenden musste. Dann haben wir Algerien zu Hause geschlagen und hatten somit schon sechs Punkte auf dem Konto, während unsere Konkurrenten erst einen hatten. Wir haben unseren Erfolgslauf mit einem 4:0-Sieg gegen Kamerun fortgesetzt und dann auch gegen Sambia gewonnen. Wir blieben auch im letzten Spiel ungeschlagen, bei einem 1:1 gegen Algerien. Allerdings wurde das Spiel dennoch mit 0:3 gegen uns gewertet [da Nigeria einen gesperrten Spieler eingesetzt hatte, Red.]

Auch bei der WM in Russland zeigte Nigeria starke Leistungen, insbesondere im Spiel gegen Argentinien. Hätten Sie das Weiterkommen verdient gehabt?

Ja, das hätten wir. Wir haben insbesondere gegen Island sehr stark gespielt, und das mit einem Torhüter, der gerade erst 18 war. Gegen Argentinien hätten wir nur ein paar Minuten mehr gebraucht, um nach dem späten Gegentor noch einmal zurückschlagen zu können. Letztlich haben Kleinigkeiten den Ausschlag gegeben. Wir hätten fast noch einen zweiten Elfmeter bekommen, doch der Videoschiedsrichter kam zu einer anderen Entscheidung. Trotzdem war unser Abschneiden in Russland sehr, sehr ermutigend.

Danach erklärten Victor Moses, John Obi Mikel und Odion Ighalo ihren Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Was sagen Sie zu diesen Entscheidungen?

Es ist sehr schade, dass Moses zurückgetreten ist. Das Gleiche gilt natürlich auch für John Obi Mikel und Ighalo, die fantastische Spieler mit großem Potenzial sind. Sie haben sich aus familiären Gründen bzw. um nach China zu gehen und sich auf den Klubfussball zu konzentrieren, so entschieden. Wir haben diese Entscheidung zu respektieren.

In wenigen Monaten beginnt die zweite Runde der Afrika-Qualifikation für Katar 2022. Wie schätzen Sie Ihre Gruppe und Ihre Gegner ein?

Wir müssen allen drei Gegnern in der Gruppe den gebührenden Respekt entgegenbringen. Liberia darf man auf keinen Fall unterschätzen. Das haben wir kürzlich in einem Freundschaftsspiel erfahren, das wir nur knapp gewonnen haben. Kap Verde hat Spieler mit portugiesischen und brasilianischen Wurzeln im Team und kann jeden Gegner schlagen. Über die Zentralafrikanische Republik wissen wir nur sehr wenig, das macht die Sache besonders schwer. Ich denke, die Gruppe ist schwer, doch wir glauben an unsere eigenen Stärken. Da wir uns auch für 2018 in einer sehr starken Gruppe qualifiziert haben, sind wir zuversichtlich, es auch dieses Mal zu schaffen.

Gibt es Teams, denen Sie in der letzten Qualifikationsrunde lieber aus dem Weg gehen würden, beispielsweise Algerien und Senegal?

Der Kampf um die Plätze wird in jedem Fall sehr intensiv sein. Wenn allerdings keine Fans dabei sind, fehlt uns deren Begeisterung. Ich hoffe sehr, dass im kommenden Jahr wieder Fans dabei sein können, denn dann machen die Spiele viel mehr Spaß.

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Nach der langen Zwangspause wegen COVID-19 stehen Sie sicher in Kontakt mit den Spielern. Haben Sie schon eine Planung, wie die Vorbereitung auf die kommenden Spiele aussehen wird?

Wir stehen ständig in Kontakt mit den Spielern, dem Technischen Stab, den Trainern, den Video-Analysten und dem gesamten Trainerstab. Wir beobachten die Spieler in jeder Woche und reisen manchmal auch zu ihnen, um sie zu treffen. Ich habe erst kürzlich Akpoguma besucht, der für _Hoffenheim spielt._Er hat in der Nachwuchskategorie zwar für Deutschland gespielt, hat sich jetzt aber für Nigeria entschieden. Ich stehe auch in Kontakt mit nigerianischen Fussballfunktionären, mit denen ich eine Vertragsverlängerung bis Katar 2022 ausgehandelt habe, vorausgesetzt, dass wir uns qualifizieren. Es ist jedenfalls eine ganz besondere Zeit.

Wenn Sie es zur WM 2022 nach Katar schaffen, dürfte das Viertelfinale Ihr Ziel sein, insbesondere mit dieser neuen Spielergeneration.

Wir werden Schritt für Schritt vorgehen. Erst einmal müssen wir uns qualifizieren. Wenn uns das gelungen ist, werden wir unsere Gruppe bei der Endrunde genau analysieren. Wir werden versuchen, die K.o.-Runden zu erreichen, die wir vor zwei Jahren nur ganz knapp verpasst haben. Um das zu erreichen, müssen wir sehr hart arbeiten.

Welche afrikanischen Teams sehen Sie mit Ihrer langen Trainererfahrung in Afrika als Favoriten?

Die Antwort darauf kann man an der FIFA/Coca-Cola-Weltrangliste ablesen. Ich denke, die besten fünf Teams in der Wertung werden es schaffen.

Welche Botschaft wollen Sie in Zeiten der Pandemie zum Abschluss noch loswerden?

Ich hoffe, dass alle Spieler und Fans gesund und sicher bleiben. Ich hoffe auch, dass das Leben bald wieder normal läuft, sodass die Fans reisen und die Spiele besuchen können. Das wird dem Fussball wieder Leben einhauchen.

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