Mittwoch 14 September 2016, 10:08

Lopetegui: "Team muss in der Lage sein, Antworten zu finden"

Am Tag nach seinem 50. Geburtstag räumte Julen Lopetegui ein, dass er wenig geschlafen und Schmetterlinge im Bauch habe. Es war indes nicht das Alter, das ihm den Schlaf geraubt und nervös gemacht hatte, sondern sein Debüt als Nationaltrainer Spaniens.

"Etwas Nervosität zu spüren, gehört dazu und ist etwas Positives. Diese Anspannung ist gut, denn sie zeigt, dass du etwas tust, das dir Freude bereitet und dich begeistert, eine große Verantwortung darstellt, der du mit Respekt begegnest. Wenn ich das eines Tages nicht mehr spüre, dann mache ich mir Sorgen, weil es mich nicht mehr kümmert", erklärt Lopetegui im Exklusiv-Interview mit FIFA.com nach seiner ersten Arbeitswoche mit La Roja.

Die Bilanz fiel tadellos aus: Einem 2:0-Erfolg im Freundschaftsspiel gegen Belgien folgte ein 8:0-Kantersieg gegen Liechtenstein zum Auftakt der Europa-Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™.

Das Spanien von Lopetegui "Wir sind zufrieden mit dem Ergebnis. Vor allem aber bin ich zufrieden mit der Reaktion, die die Spieler gezeigt haben, mit der Haltung und dem Engagement, die sie an den Tag gelegt haben. Sie haben mit großem Eifer all die Ideen umsetzen wollen, die wir ihnen in diesen ersten zwei Partien zu übermitteln versucht haben", präzisiert der Nachfolger von Vicente del Bosque. "Es gab keine Revolution, aber jeder Trainer hat seine eigene Arbeitsweise."

War denn bereits die Spielweise zu erkennen, die Lopetegui für sein Team vorschwebt? "Wir wollen eine spanische Mannschaft sehen, die das Beste aus den Spielern herausholt, die ihr zu Verfügung stehen. Die in der Lage ist, die Spiele so anzugehen, wie sie dem Wesen unseres Fussballs entspricht, aber auch auf die Anforderungen zu reagieren weiß, die uns in jedem Moment abverlangt werden."

"Jede Partie ist eine eigene Welt und erfordert jeweils verschiedene Dinge. Ich hoffe, dass die Mannschaft in der Lage sein wird, jeder Herausforderung zu begegnen, dass die Spieler die Antworten finden, wenn ihnen Probleme begegnen. Ich bin davon überzeugt, dass die Mannschaft in dieser Hinsicht der Aufgabe gewachsen sein wird und noch viele weitere Register ziehen können wird", ergänzt der ehemalige Trainer des FC Porto.

Dank seiner Erfahrungen als Trainer der spanischen U-20-Auswahl, die er in Kolumbien 2011 und in der Türkei 2013 jeweils ins WM-Viertelfinale dieser Altersklasse führte, der U-21-Nationalmannschaft, mit der er 2013 Europameister wurde, sowie der U-19-Mannschaft, mit der er 2012 den kontinentalen Titel errang, weiß Lopetegui, was Gewinnen heißt. Aber er hat auch die Schwierigkeiten des Postens kennengelernt. "Wir haben immer wenig Zeit zur Verfügung, deshalb müssen wir Schwerpunkte setzen, an denen intensiver gearbeitet wird. Aber angesichts der Einstellung und der Professionalität, die die Spieler gezeigt haben, wird alles leichter."

Nun bestehen seine Hauptaufgaben darin, die Leistungen der Spieler zu verfolgen, die Aktivitäten der Nachwuchskategorien zu beaufsichtigen, die Gegner zu analysieren sowie minutiös die Trainingseinheiten für die nächste Zusammenkunft des Nationalteams im Oktober vorzubereiten.

Pelota und Fahrrad "Es ist nicht leicht, vom Fussball abzuschalten", räumt der ehemalige Torwart von Real Sociedad, Real Madrid, Logroñés, FC Barcelona und Rayo Vallecano ein. Er versucht es, indem er Aktivitäten mit seiner Familie organisiert. Er hat zwei Söhne und eine Tochter. "Sie unterstützen und motivieren mich, aber nehmen kein Blatt vor den Mund, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Immer im zärtlichen Ton", versichert er schnell. Sie sind alle Fussballfans, alle von Real Sociedad. "Zwangsläufig blieb mir keine Wahl", sagt er lächelnd.

Obgleich er selbst der Familientradition nicht unbedingt treu war. Lopetegui entstammt einem Geschlecht von harrijasotzailes, Steinhebern, einem in seiner baskischen Heimatregion sehr beliebten Kraftsport. Aber sein Vater, der seinen Sport mit dem Betrieb eines Grillrestaurants vereinen musste, erträumte sich eine andere Zukunft für seine Kinder. Sie erfüllten ihm diesen Wunsch, beide neigten eher einem Ballsport zu: Dem baskischen Pelota. Aber Julen Lopetegui flirtete auch mit dem Fussball.

Er entschied sich spät für das Tor. Durch seine Erfahrungen im Pelota-Spiel hatte er das nötige Fingerspitzengefühl für die Arbeit mit Handschuhen. Letztlich behielt der Fussball die Oberhand. "Der andere Ball reizte mich mehr", gibt der ehemalige Schlussmann zu, der bei der FIFA WM 1994 in den USA im Kader der spanischen Nationalmannschaft stand. Obwohl er oft nominiert wurde, brachte er es nur auf einen einzigen Einsatz – Andoni Zubizarreta versperrte ihm vor zwei Jahrzehnten den Weg.

Lopetegui sieht keine großen Unterschiede zwischen dem Leben in der Kabine damals und seiner heutigen Sicht aus seinem neuen Standpunkt. "Es sind Fussballer aus Leidenschaft, die sich glücklich schätzen, ihr Land zu vertreten", sagt er knapp.

Bevor er sich wieder mit seinen Schützlingen in einer Kabine versammelt, wird er noch die Zeit für eine ausgedehnte Radtour haben. "Dabei kann ich wirklich abschalten. Ich schnappe mir das Fahrrad und besteige einen Gebirgspass der Tour de France. Die Berge sind das, was ich am meisten liebe", verrät er. Auf ein Duell mit einem seiner ehemaligen Teamkameraden in den USA, der damals die Schlagzeilen dominierte, würde er sich aber nicht einlassen. "Nein, Luis Enrique würde mich schlagen. Er ist viel fitter als ich", sagt er höflich über den Trainer des FC Barcelona.

Der nächste Gipfel, den es auf der Bank von La Roja zu erklimmen gilt, ist ebenfalls einer der höchsten Kategorie, wenn auch eher beim Giro d’Italia: Am 6. Oktober trifft Spanien auf das italienische Team von Giampiero Ventura. Auf dem Papier der härteste Rivale in Gruppe G der Europa-Qualifikation für Russland 2018, in der zudem Albanien, EJR Mazedonien, Israel und das bereits genannte Liechtenstein zu finden sind.

Aber der Trainer setzt keine Prioritäten. "Man muss jeden Gegner ernstnehmen. Jedes Spiel ist wichtig. Wir werden uns anstrengen müssen, um weiterzukommen und dorthin zu gelangen, wo wir hinwollen. Es ist eine lange und schwere Etappe", schließt er mit einer Analyse in der Sprache des Radsports.