Dienstag 19 Januar 2016, 13:30

Lahm: "Fussball lebt von den Fans und der Begegnung der Menschen"

****1990 saß Philipp Lahm als Kind mit großen Augen vor dem Fernseher und erlebte mit, wie Deutschland mit Kapitän Lothar Matthäus die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ 1990 gewann. 24 Jahre später stemmte der Verteidiger dann im legendären Maracanã-Stadion in Brasilien die gleiche Trophäe in die Höhe, nachdem auch er die DFB-Auswahl als Kapitän zu einem 1:0-Endspielsieg gegen Argentinien geführt hatte. Es war der vierte Titelgewinn für Deutschland.

"Bei der WM 1990 war ich gerade sechs Jahre alt, es war also die erste WM, die ich im Fernsehen verfolgt habe – und Deutschland wurde Weltmeister", so Lahm im Exklusivinterview mit www.sc.qa. "Das war natürlich ein tolles Erlebnis für mich und ich erinnere mich noch sehr gern daran. Die Spiele waren herausragend und im deutschen Team standen tolle Persönlichkeiten. Teamchef war kein Geringerer als Franz Beckenbauer – der Kaiser."

Lahm gehört zu den Schlüsselspielern von Bayern Münchens Trainer Pep Guardiola, der den Klub zum Saisonende nach drei Jahren in Bayern verlässt. Lahm, der weithin als einer der besten Verteidiger der Welt gilt, ist einerseits traurig, dass der Spanier geht, freut sich aber andererseits auch auf die Arbeit unter einem neuen Spitzentrainer, dem Italiener Carlo Ancelotti.

"Ich hatte eine Menge Spitzentrainer aus Deutschland, wie Hitzfeld, Magath und Heynckes, und auch herausragende ausländische Trainer wie Van Gaal und Pep Guardiola. Als nächstes kommt nun Carlo Ancelotti, der schon mehrfach die Champions League gewonnen hat und ebenfalls ein Spitzentrainer ist. Darauf freue ich mich sehr. Aber ich hatte und habe auch ein sehr gutes Verhältnis zu Pep. Wir verstehen uns gut und es macht großen Spaß, unter ihm zu spielen. Ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr Fussball, und es ist nun einmal so, dass Spieler und Trainer kommen und gehen. Das gehört einfach dazu. Diese Entscheidungen akzeptiert und respektiert man", so Lahm.

Er fügt hinzu, Bayern München wolle Guardiola im Sommer einen perfekten Abschied bereiten, betont allerdings auch, dass ein Triple ein enorm schwieriges Unterfangen sei, dass bislang erst ein einziges Mal einem deutschen Team gelungen ist.

Lahm weiter: "Das Ziel ist es doch, erfolgreichen Fussball zu spielen. Das bedeutet für uns, dass am Ende der Saison Titel stehen sollten. Wer den FC Bayern und unsere Geschichte kennt und auf die jüngsten Spielzeiten blickt, der weiß ja, dass wir in allen Wettbewerben um den Titel mitspielen und auch gewinnen können. Unser Ziel ist es natürlich, alle drei Titel zu holen, aber wir wissen, wie schwer das ist. Es hat schon seinen Grund, dass bisher erst einmal ein deutsches Team das Triple geholt hat. Doch hier in Katar hatten wir perfekte Bedingungen für eine optimale Vorbereitung. Es ist noch ein weiter Weg. Es ist gerade erst Januar. Die Trophäen werden im Mai vergeben. Natürlich wäre es perfekt, zum Ende von Guardiolas Amtszeit alle drei Titel mit nach Hause zu nehmen, das ist unser gemeinsames Ziel."

Mit Blick auf das nächste Spiel der Bayern in der UEFA Champions League gegen das formstarke Team von Juventus Turin ist der deutsche Meister laut Lahm Favorit auf das Weiterkommen: “Das ist ein schweres Los, denn schließlich stand Juventus in der letzten Champions League-Saison im Finale. Es wird gewiss nicht leicht gegen dieses Team. In der Abwehr sind die Italiener sehr gut organisiert, und sie verfügen über großartige Spieler, die jederzeit den Ausschlag geben können. Trotzdem glaube ich, dass wir die Favoriten sind."

Zu den weiteren Konkurrenten mit guten Aussichten auf den europäischen Titel zählt Lahm in dieser Saison den Titelverteidiger FC Barcelona, Real Madrid mit dem neuen Trainer Zinédine Zidane sowie ein Team aus Frankreich: "Die spanischen Mannschaften werden ganz sicher wieder eine wichtige Rolle spielen. Barcelona macht einen sehr starken Eindruck und ist zudem Titelverteidiger. Auch Real Madrid ist sehr stark. Paris kann man auch zu den Favoriten zählen, doch ich halte die Spanier für die größten Konkurrenten. Man darf sich in den restlichen Spielen keinerlei Schwächen mehr leisten und muss immer das Beste geben", fügt Lahm hinzu.

Mit Blick auf seine Entscheidung, nach dem WM-Triumph in Brasilien aus der Nationalmannschaft zurückzutreten, erklärt der 32-Jährige, er vermisse die Auftritte im Trikot der DFB-Auswahl nicht: "Das ist schon zu weit weg. Ich hatte diese Entscheidung schon ziemlich früh getroffen und konnte mich daher darauf vorbereiten. Jetzt genieße ich es, bei den Spielen zuzuschauen. Ich wünsche dem Team natürlich viel Glück, auch für die EM im Sommer in Frankreich, doch alles andere ist für mich schon weit genug weg."

Lahm erinnert sich auch noch lebhaft an die nicht enden wollenden letzten 60 Sekunden der Verlängerung im Finale von Brasilien 2014. "Ich spiele und schaue schon sehr lange Fussball und ich weiß, dass auch in den letzten Sekunden noch alles Mögliche passieren kann. Entsprechend sehnt man den Schlusspfiff herbei. Wenn man im Finale in der Verlängerung mit 1:0 führt, will man einfach endlich den Schlusspfiff hören und denkt:  'Nun pfeif doch endlich ab!' Es war eine unglaubliche Erleichterung, als es endlich vorbei war. Du lässt alles noch einmal Revue passieren, was du in den vergangenen Jahren in der Nationalmannschaft erlebt hast, auch die bitteren Niederlagen. Die zwei Stunden nach dem Schlusspfiff waren einfach fantastisch – ein wundervoller Moment, den du mit den Mitspielern und allen Mitarbeitern teilst, die dich auf dem langen Weg der letzten zehn Jahre begleitet haben. Das ist einfach unvergesslich."

Der ehemalige deutsche Mannschaftskapitän äußert sich auch zu Katar als WM-Gastgebernation 2022 und unterstreicht, der Sport habe die Kraft, Menschen aus verschiedensten Ecken der Welt zu einen. "Es gibt tolle Veranstaltungen hier in Doha. In wenigen Wochen ist schon wieder das Golfturnier an der Reihe. Vor zwei Jahren war es schön, Tennis live vor Ort zu erleben. Wenn wir hier trainieren, ist das Interesse der Fans immer groß, das ist auch sehr schön. Der Fussball lebt doch von den Fans und der Begegnung der Menschen. Das ist das Wichtigste – Fussball vereint die ganze Welt. Dies ist die positive Kraft, die der Sport hat. Ich hoffe, dass das auch 2022 bei der Weltmeisterschaft in Katar so sein wird. Die Menschen kommen zusammen und feiern ein tolles Fussballfest. Das ist es, was der Fussball erreichen kann."

Trotz der Kritik, der Bayern München in Deutschland ausgesetzt ist, sieht Lahm im Dialog die beste Möglichkeit, sich mit Problemen auseinanderzusetzen. "Ich glaube, es ist immer am besten, zusammenzukommen und über die Dinge zu reden. Was wir in unseren eigenen Ländern erleben und wie es an anderen Orten aussieht – am Wichtigsten ist es doch, über solche Dinge zu reden. Man kann ganz sicher nichts verändern, wenn man zu Hause bleibt und nicht darüber spricht. Ich halte das für das Wichtigste, und Bayern München tut dies immer und immer wieder. Katar ist dabei nicht das Thema, sondern es gibt viele Themen, über die Bayern offen kommuniziert, auch kritische Dinge, und das halte ich für sehr wichtig", so Lahm zum Abschluss.