Montag 15 Februar 2016, 08:33

Kluivert: "Das Team der Niederlande ist im Umbruch"

Es heißt, dass große Spieler Talent, Intuition und Intelligenz vereinen. Denkt man an Patrick Kluivert zurück, schienen ihm diese Eigenschaften wie angeboren zu sein. Mit seiner Schnelligkeit außerhalb des Strafraums und seiner Effizienz vor dem Tor war der einstige Stürmer von Ajax Amsterdam und FC Barcelona einer der prägenden Akteure des Fussballs der 90er-Jahre.

Die aktive Zeit als Fussballer liegt inzwischen hinter dem heute 39-Jährigen, doch sein Siegeshunger lebt unvermindert weiter. Nachdem er zunächst erste Erfahrungen gesammelt hat, ist es nun sein Ziel, auch auf der Trainerbank bleibende Spuren zu hinterlassen. Nach einem ermutigenden Beginn als Assistenzcoach der Niederlande, dessen Team Louis van Gaal bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014™ bis auf den dritten Platz geführt hat, übernahm er die Leitung der Nationalelf von Curaçao in der WM-Qualifikation für Russland 2018. Im Exklusivinterview mit FIFA.com sprach Kluivert über seine persönlichen Ziele und die Situation der Teams, die er betreut hat.

Patrick, mit Louis van Gaal als Trainer und Ihnen im technischen Stab wurde das Team der Niederlande in Brasilien 2014 Dritter. Doch seit Ihrem Abschied stürzte es in kürzester Zeit in die Krise und verpasste die Qualifikation für die EURO 2016. Was läuft gerade schief? Das ist traurig, denn wir haben in Brasilien eine sehr gute WM gespielt und alle waren sehr zufrieden. Ich weiß nicht, was danach passiert ist. Die Spieler sind praktisch dieselben, aber sie konnten sich nicht für die EURO qualifizieren. Ein Grund könnte sein, dass man bei einer WM besonders motiviert ist. Wir haben von Beginn an gute Ergebnisse erzielt, und wenn du in einer Mannschaft bist, die gut spielt, stellst du auch an dich selbst höhere Ansprüche.

Haben Sie auf dem Platz irgendwelche Unterschiede beobachtet? Ich glaube, dass es an Erfahrung mangelt. Die Spieler der alten Garde waren in diesen letzten Jahren ein grundlegender Faktor, doch man muss sie ersetzen können. Wir brauchen junge Leute in guten Vereinen, die über die Mentalität und die Qualität verfügen, für Holland zu spielen. Das ist wichtig. Es gibt Spieler, die eine Partie entscheiden können, doch sie müssen regelmäßige Spielpraxis und Routine haben. Solange dies nicht der Fall ist, darf die Verantwortung nicht allein auf ihren Schultern liegen. Du brauchst erfahrene Fussballer, um diejenigen mit weniger Erfahrung anzuleiten.

Memphis Depay schien eine solche junge Führungsfigur sein zu können, doch er hat Schwierigkeiten, sich bei Manchester United durchzusetzen. Was könnte der Grund sein? Memphis ist ein Spieler von großer Qualität, und das verliert man nicht einfach so. Es ist eine Frage des Vertrauens, und man muss seine Chance nutzen. Er benötigt Zeit, um sich an die neue Stadt und die Spielweise zu gewöhnen. Es ist sein erstes Jahr, doch ich glaube, dass er Erfolg haben wird. Er ist ein großartiger Spieler, der in der Zukunft für Holland wichtig sein wird.

In Brasilien 2014 hatten Sie ebenfalls ein junges Team, doch es gelang Ihnen, es zu motivieren. Was war der Schlüssel zum Erfolg? Die Taktik spielte eine entscheidende Rolle. Traditionell spielte Holland in einem 4-3-3-System, doch wir stellten auf 5-3-2 um. So hatten wir einen Spieler mehr für die Abwehrarbeit und um im Mittelfeld die Räume zu schließen. Die Spieler fühlten sich sofort wohler. Das war der Schlüssel. Wir gaben der Defensive größere Stabilität und gleichzeitig Robben und Van Persie mehr Freiheit, um im Angriff die Räume zu suchen. Noch einmal zu Manchester United und Van Gaal. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation, die der Coach und sein Team durchmachen? Ich kenne Louis sehr gut. Er ist ein Trainer, der junge Spieler motivieren kann, damit sie ihre Qualitäten einbringen können. Im holländischen Team wurde viel miteinander gesprochen und die Fussballer teilten die gleiche Philosophie. Jetzt ist das anders, weil er bei einem großen Klub mit Spielern aus verschiedenen Ländern ist. Ich glaube, er muss sie noch ein wenig besser kennenlernen, um das Beste aus ihnen herauszuholen. In einem Klub dieser Größenordnung wollen die Menschen natürlich sofort Resultate sehen, doch das ist nicht so leicht. United liegt momentan auf dem fünften Rang und der erste Schuldige für den schlechten Lauf ist immer der Trainer. Dennoch glaube ich, dass er über sehr viel Qualität verfügt und hoffe, dass er das Blatt wenden kann. Nach der WM 2014 nahmen Sie die Herausforderung an, Nationaltrainer von Curaçao zu werden. Erzählen Sie uns mehr über diese Erfahrung. Meine Mutter stammt von dort und ich war mehrere Male auf der Insel, also reizte mich diese Herausforderung. Es war eine fantastische Zeit. Wir hatten Spieler von großer Qualität und sind recht weit gekommen . Wir haben sehr gute Arbeit geleistet, und es ist nicht ausgeschlossen, dass ich sie ein weiteres Mal leite. Meine Priorität ist die Arbeit bei einem Klub, aber wenn das nicht möglich ist, würde es mich freuen, dort in der Qualifikation für den Gold Cup zu arbeiten.

CONCACAF ist eine Region, die Sie bisher nicht gut kannten. Was hat dort am meisten Ihre Aufmerksamkeit erregt? Es ist ganz anders als Europa. Die Spieler haben großes Talent, aber sie setzen viel mehr auf ihre Intuition als auf die Taktik. Es war interessant und lehrreich. Außerdem ist es schwer, eine Mannschaft aufzubauen, wenn man nur wenige Tage mit den Spielern arbeiten kann. Man muss versuchen, in sehr kurzer Zeit Automatismen herzustellen und kann sich kaum der Taktik widmen. Doch die Mannschaft hat das gut umgesetzt. Wir hatten außerdem den Vorteil, dass der Großteil meiner Nominierten in Holland spielt und einen ähnlichen Stil hatte.

Was benötigt die Region, um sich noch mehr weiterzuentwickeln? In der CONCACAF-Zone wird ein völlig unterschiedlicher Fussball gespielt, und mir gefällt das. Aber es stimmt, dass die Erfahrung fehlt, in den besten Ligen der Welt zu spielen. Doch das Talent ist vorhanden.

Welcher Aufgabe widmen Sie sich momentan nach Ihren Engagements in der niederländischen Auswahl und in Curaçao? Momentan arbeite ich als Kommentator für einen internationalen Fernsehsender, doch es ist mein Ziel, eine große Mannschaft zu trainieren. Aber ich weiß, dass ich noch eine Menge über dieses Metier lernen muss. Ich suche nach einer guten Gelegenheit, um mein Können unter Beweis zu stellen.

Sie haben als Spieler mit einigen der besten Trainer der Welt zusammengearbeitet. Wie wird Patrick Kluivert als Vereinstrainer sein? Ich will ein offensiv ausgerichteter Trainer sein, aber ohne die Defensive zu vernachlässigen. Für meine Spieler wird es von großem Wert sein, dass ich sie jederzeit gut verstehen kann, weil ich in der gleichen Situation war. Das System wiederum wird auf den Qualitäten der Spieler basieren, denn meiner Meinung nach ist die beste Taktik diejenige, in der sie sich am wohlsten fühlen. In Barcelona gehörten Sie zu den Leistungsträgern. Welchen Unterschied sehen Sie zwischen dem Team in Ihrer aktiven Zeit und der aktuellen Mannschaft? Das aktuelle Team ist eine Maschine! Nun, zu meiner Zeit hatten wir ebenfalls eine Spitzenmannschaft voller guter Fussballer und mit einer beeindruckenden Spielweise. Es sind weitere Topspieler hinzugekommen, heute sogar noch mehr als früher. Im Fussball haben sich in den letzten Jahren viele Dinge verändert, aber Barcelona ist immer noch so beeindruckend wie immer.