Dienstag 08 November 2016, 09:54

Klinsmann: USA müssen sich beweisen

U.S.-Nationaltrainer Jürgen Klinsmann sprach exklusiv mit FIFA.com über das Spitzenspiel zum Auftakt der Hexagonal-Qualifikationsrunde gegen Mexiko, den schweren Weg zur FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ und das neue Wunderkind in seinem Kader.

Jürgen Klinsmann gehörte zu den besten Spielern seiner Generation und kennt sich seitdem mit aufgeheizten Rivalitäten und traditionsreichen Spitzenspielen bestens aus. In einem Exklusivinterview mit FIFA.com sprach der Welt- und Europameister und jetzige U.S.-Nationaltrainer im Vorfeld der Neuauflage des CONCACAF-Klassikers darüber, warum die Partien zwischen den USA und Mexiko "so enorm intensiv" sind.

Der frühere Torjäger, 1995 Zweiter bei der Wahl zu Europas Fussballer des Jahres, äußerte sich auch zu den Besonderheiten der Hexagonal-Qualifikationsrunde sowie zum Heimvorteil der USA in Ohio und schwärmte von dem bei Borussia Dortmund aktiven Ausnahmetalent Christian Pulisic.

FIFA.com: Sie sind schon sieben Mal als Trainer der U.S.-Auswahl auf Mexiko getroffen. Was macht diese Rivalität so besonders? Jürgen Klinsmann: Das ist eine einzigartige Sache. Bei dieser Rivalität geht es um weit mehr als nur um Fussball. Solche Rivalitäten gehören rund um die Welt einfach traditionell zum Fussball dazu. Überall gibt es Teams, die sich über ihre Konkurrenz mit ihren größten Rivalen definieren. Man denke nur an Argentinien und Brasilien, die Niederlande und Deutschland, Frankreich und Italien und so weiter. Ganz zu schweigen von den Rivalitäten zwischen bestimmten Klubs und vielen Lokalderbys.

Es scheint tatsächlich eine ganz besondere Intensität zu geben in den Partien zwischen den ***Stars and Stripes* **und ***El Tri*…** Ja, das ist auf jeden Fall ein ganz besonderes Duell. In unserer Region ist dies einfach das Spitzenspiel. Die beiden stärksten Teams treffen aufeinander und es geht um sehr viel mehr als nur um das Ergebnis. Da ist sehr viel Temperament und Leidenschaft mit im Spiel, aber auch sehr viel Respekt. Das darf man nicht ignorieren. In meinen fünf Jahren als Trainer wurden alle Spiele zwischen uns mit großer Intensität und mit großem Respekt gespielt. Aber übergekocht ist es nie.

Die Amerikaner wollen also in den Spielen gegen Mexiko etwas beweisen? Mexiko hat eine längere Fussballtradition und mehr Spieler in Topteams rund um die Welt als wir. Das Land ist tiefer in der Fussballkultur verwurzelt. In jedem Spiel gegen die Mexikaner müssen wir beweisen, was wir drauf haben. Ich finde das ist eine coole Sache. Meine Spieler wissen alle sehr genau, welchen Stellenwert diese Duelle haben. Sie wissen, dass zu Hause alle zuschauen. Das ist die ganz große Fussballbühne. Insbesondere in der WM-Qualifikation sind diese Partien der Höhepunkt. Darauf fiebern alle amerikanischen Spieler hin.

Wenn Sie den Spielplan selber machen könnten, wären Sie dann lieber etwas später im ***Hexagonal* auf Mexiko und Costa Rica getroffen?** Wenn wir die Wahl gehabt hätten, dann hätten wir den Spielplan vielleicht ein bisschen anders gestaltet.

Aber darüber haben wir keine Kontrolle und daher nehmen wir die Spiele eben so, wie sie kommen. Ich finde es eigentlich sogar prima, dass wir gleich zu Beginn auf Mexiko treffen und ein paar Tage später dann auswärts auf Costa Rica. Auch das ist eine riesige Herausforderung. Es geht Schlag auf Schlag, erst unser größter und dann sofort unser zweitgrößter Rivale. Aber ich sage Ihnen, für die Anderen ist es genau das Gleiche!

Columbus in Ohio hat sich zu einer regelrechten Heimfestung entwickelt. Sie haben die letzten vier ***Clasicos* in der Qualifikation dort alle gewonnen. Die Fans spielen dabei offenbar eine große Rolle. Wie wichtig ist dieser Spielort für Sie?* Columbus ist für uns enorm wichtig. Es ist zwar ein kleineres Stadion, aber dort stehen 90 bis 95 Prozent der Zuschauer hinter uns. In einigen größeren Stadien in den Staaten ist das nicht unbedingt der Fall. Oft hat man dann mehr Mexiko-Fans als USA-Fans im Stadion. Das ist normal und ich habe kein Problem damit. Aber in Columbus ist alles ganz anders. Im Laufe der Jahre hat sich hier eine regelrechte Aura entwickelt. Wir haben hier oft gewonnen, und sogar mit 2:0 - dos a cero*. Es herrscht das Gefühl vor, dass dieser Ort tatsächlich ein gutes Pflaster für uns ist. Das ist ein gutes Gefühl - für die Spieler und auch für die Fans und für die ganze Stadt Columbus. Gegen Mexiko ist Columbus so etwas wie unsere wahre Heimstätte.

Wie wichtig ist ein guter Start in die ***Hexagonal*-Runde?** Ein guter Start ist entscheidend. Die ersten Ergebnisse sind ganz besonders wichtig. Beim letzten Mal hat man es bei Mexiko gesehen. Es gab eine Reihe schwacher Resultate zum Auftakt. Dann wurde der Trainer gewechselt und immer wieder umgebaut. Am Ende konnten sich die Mexikaner erst in den Playoffs für Brasilien 2014 qualifizieren. Wir haben damals unser Auftaktspiel gegen Honduras verloren und da kamen auch sofort Zweifel auf. Wenn man sich früh einen Ausrutscher leistet, hat man zwar noch genügend Zeit, das wieder gutzumachen. Aber wir wollen trotzdem stark starten.

Sie haben gegen Mexiko erst ein Mal verloren, vor einem Jahr. Damals ging es in der Rose Bowl um die Teilnahme am FIFA Konföderationen-Pokal 2017. Was haben Sie aus diesem Spiel gelernt? Das war ein fantastisches Spiel, sehr intensiv. Für die Zuschauer war es einfach packend und begeisternd. Für uns war es besonders schwer, denn die meisten Zuschauer waren für Mexiko. Die Mexikaner haben besser gespielt als wir und sie hatten den Sieg verdient. Man muss solche Niederlagen runterschlucken, aber etwas daraus lernen und es beim nächsten Mal besser machen. Es gibt immer Gründe für eine Niederlage. Man muss eben dafür sorgen, dass man die gleichen Fehler nicht noch einmal macht.

Am Anfang Ihrer Amtszeit haben Sie mal darüber gescherzt, in Amerika einen versteckten Messi zu finden. Haben Sie ihn mit Christian Pulisic jetzt vielleicht tatsächlich gefunden? Dieser Spieler hat jedenfalls ein schier grenzenloses Potenzial. Ich habe immer schon gesagt, dass man seine eigene Erfolgsgeschichte schreiben muss, und genau das tut er. Es ist in Amerika ein großer Ausnahmefall, dass ein Spieler in diesem Alter schon so weit entwickelt ist. Aber in Europa gilt einfach die Regel 'Wenn du gut genug bist, dann bist du auch alt genug.' Er hat sein Schicksal in die eigenen Hände genommen. Pulisic ist genau das Puzzlestück, auf das wir in diesem Jahr gehofft haben. Zudem ist er für andere junge Spieler ein tolles Beispiel, wie man es machen muss, auf höchstem Niveau zu spielen und sich dort zu bewähren.

Er hat sich einen Platz in der Startformation von Borussia Dortmund erobert und scheint sich dort pudelwohl zu fühlen. Wie wichtig ist das? Es ist großartig, dass er für Dortmund in den Spitzenspielen der Bundesliga spielt und auch in der Champions League zum Einsatz kommt. Wer hätte so etwas vor einem Jahr gedacht? Niemand.

Wie beschreiben Sie jemandem, der sich in der CONCACAF nicht so gut auskennt, die Herausforderungen der ***Hexagonal*-Runde?** Eigentlich ist es ein ganz einfacher Wettbewerb. Man muss - bei sechs Teilnehmern - einen Platz unter den ersten Drei schaffen. Dabei sind die Auswärtsspiele besonders hart. Auch was die Logistik und die Reisen angeht. Man muss fünf Mal auswärts antreten, wo die gegnerischen Fans regelrecht brennen. Jedes Auswärtsspiel bedeutet also eine echte Herausforderung. Das Erfolgsrezept ist eigentlich ganz einfach: Zu Hause gewinnen und auswärts versuchen, nicht die drei Punkte abzugeben. So hat es jahrzehntelang funktioniert und wir werden versuchen, dass es auch dieses Mal wieder funktioniert.