Mittwoch 05 Oktober 2016, 00:00

Joachim trifft wieder und nimmt neue Ziele ins Visier

Noch vor wenigen Jahren wäre Schweden in aller Gelassenheit zu einem Auswärtsspiel nach Luxemburg gereist, zumal man sich seiner drei Punkte sicher gewesen wäre und nebenbei noch etwas für das Torverhältnis hätte tun wollen. Doch am kommenden 7. Oktober, wenn die Nordeuropäer am zweiten Spieltag der Europa-Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ im Großherzogtum auf Luxemburg treffen, ist ihnen indes schon bewusst, dass sie den Sieg nicht von vornherein einkalkulieren können.

"Das ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht", so Luxemburgs Mannschaftskapitän Aurélien Joachim im Gespräch mit FIFA.com über die Fortschritte seines Nationalteams in den letzten Jahren. Davon zeugen vor allem ein 2:1-Auswärtssieg in der WM-Qualifikation für Südafrika 2010 über die Schweiz und ein 1:1-Unentschieden, das die Luxemburger 2014 ebenfalls auswärts in einem Testspiel der Squadra Azzurra abtrotzten. "In Europa weiß inzwischen jeder, dass man sich vor den kleinen Fussballnationen in Acht nehmen muss. Schließlich haben sich alle Länder weiterentwickelt, auch wir."

Dabei sind es nicht allein die nach dem Spielende an der Anzeigetafel erscheinenden Ergebnisse, sondern auch die vorangegangenen 90 Minuten, an denen die gemachten Fortschritte abzulesen sind. Früher waren die Luxemburger in der gesamten Spielzeit lediglich damit beschäftigt, eine hohe Niederlage zu verhindern - eine Taktik, die für einen Angreifer zumindest frustrierend gewesen muss. "Früher haben wir hinten mit elf Mann gespielt, und falls ich tatsächlich drei Mal an meinem gegnerischen Mittelfeldspieler vorbeigekommen bin, war das schon gut", erinnert sich der aktuelle Stürmer des belgischen Zweitligisten Lierse SK nicht ohne Wehmut. "Es gab Spiele, bei denen ich zu keinem einzigen Torschuss kam. Heute versuche ich, mich ständig zu verbessern und mehr nach vorn zu spielen. Dadurch habe ich mehr Ballkontakte und schieße auch häufiger aufs Tor."

Bekenntnis zur Nation Und das auch immer öfter treffsicher, wie seine sechs Tore für die luxemburgische A-Nationalmannschaft seit 2011 beweisen. Zuvor hatte er sechs Jahre lang im Auswahltrikot nicht einen einzigen Treffer erzielt. Es ist übrigens kein Zufall, dass diese neuerliche Effizienz mit dem veränderten Status von Joachim zusammenfällt. Denn bis 2012 hatte er als Amateur für unterklassige Teams in Belgien und Deutschland reichlich Tore geschossen und danach bei den beiden großen luxemburgischen Klubs FC Differdingen 03 und F91 Düdelingen für Furore gesorgt.

Der niederländische Verein Willem II Tilburg war der erste, der ihm eine echte Chance bot. "Der Übergang von einer Welt in die andere war sehr schwierig", gesteht uns der heutige Profi, der danach noch bei RKC Waalwijk, ZSKA Sofia und beim englischen Drittligisten Burton Albion unter Vertrag stand. "Man braucht viel Zeit, um sich entsprechend zu integrieren. Eben hatte ich noch in der luxemburgischen Liga gespielt, plötzlich fand ich mich in der niederländischen Eredivisie wieder. Die ersten Monate waren sehr schwer für mich, vor allem von der physischen Belastung, der Intensität des Trainings und der kurzen Abstände zwischen den Spielen her."

Auch wenn er in den ersten Spielzeiten im Nachbarland noch einigermaßen mithalten konnte, während seiner Engagements in Bulgarien und England ging es mit seinen Einsatzzeiten und seiner Effizienz immer mehr bergab. Hinzu kamen physische Probleme und Unstimmigkeiten im Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen. Als ein weiteres, nahezu unüberbrückbares Hindernis erwies sich dabei sein luxemburgischer Personalausweis. "In diesem Punkt haben gewisse Leute eine strikt ablehnende Mentalität. Sie sind der Meinung, dass ein luxemburgischer Angreifer bestenfalls ein mittelmäßiger Spieler ist, der nicht für einen größeren Klub geeignet sei und deshalb erst einmal auf die Ersatzbank gehört", beklagt Joachim, der sich überdies mit spät oder gar nicht gezahlten Gehältern konfrontiert sah und seine Zeit als Amateur, als er sich seinen Lebensunterhalt parallel zu seiner Fussballkarrriere als Schwimmmeister verdienen musste, bis heute nicht bereut. "Das ist auch einer der Gründe dafür, dass ich selbst in schwierigen Situationen nie aufgegeben und stets an mir weitergearbeitet habe. Ich wusste, dass einmal von einem Tag auf den anderen alles anders werden würde."

Fortschritt und Ehrgeiz Der besagte Tag war gekommen, als er den Entschluss fasste, nach Belgien – Joachim besitzt neben der luxemburgischen auch die belgische Staatsbürgerschaft – zurückzukehren und dort bei RWS Brüssel, später dann bei Lierse SK neu durchzustarten. "In den 17 letzten Spielen habe ich 16 Mal getroffen", resümiert Joachim voller Stolz. Dabei sind ihm allerdings seine beiden Tore im WM-Qualifikationsspiel in Bulgarien entgangen, bei dem seine Mannschaft noch kurz vor Schluss ein Remis verspielte und am Ende mit 3:4 den Kürzeren zog. "Wir hatten das Spiel in der Hand, doch dann haben wir in der letzten Sekunde noch dieses Gegentor kassiert. Für uns gibt es keine leichten Spiele. Also müssen wir immer zu hundert Prozent fit sein, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Das ist Fussball auf hohem Niveau. Fehler werden sofort bestraft. Die jungen Spieler müssen noch lernen, dass ein Spiel erst nach dem Schlusspfiff zu Ende ist. In diesem Fall hatten wir vielleicht zu früh an ein tolles Resultat geglaubt. Immerhin hatten wir drei Tore geschossen. Außerdem waren nur noch zwei Minuten zu spielen. Daraus müssen wir unsere Lehren ziehen."

In ihrer Gruppe mit Bulgarien, Frankreich, Schweden, den Niederlanden und Belarus dürfen sich die Luxemburger künftig keine Fehler mehr leisten, wenn sie sich ihre Hoffnungen auf eine WM-Qualifikation erhalten wollen. Eine wertvolle Erfahrung bieten derartige Duelle dennoch. "Diese Begegnungen mit großen Mannschaften sind wunderbar zu spielen. Nur so kann man hinzulernen. Und man kann abschätzen, woran man noch arbeiten muss, um sich gezielt weiterzuentwickeln", meint Joachim, der die Zeiten, als Luxemburg nur dafür kämpfte, am Ende nicht Gruppenletzter zu werden, definitiv hinter sich gelassen hat. "An der Entwicklung der letzten Jahre kann man sehen, dass wir weiter nach vorn gekommen sind. Jetzt geht es darum, das Ganze konkret umzusetzen und endlich Punkte einzufahren."