Sonntag 05 Juli 2020, 07:28

Rossi erwacht und bezwingt Brasiliens Dream Team

  • 5. Juli 1982: Italien bezwingt Brasilien

  • ​Paolo Rossi hatte für Italien seit über drei Jahren nicht getroffen

  • Brasilien stand vor dem 25. Spiel in Serie ohne Niederlage

Ein wahres Fussballmärchen für Italien, ein Albtraum für Brasilien. Für den neutralen Zuschauer war es ein Fussball-Leckerbissen, ein Purist hätte wohl die eine oder andere Träne vergossen. Es war der Tag der Italiener - und vor allem der von Paolo Rossi: Die Azzurri schafften beim FIFA Weltpokal ™ 1982 die große Sensation und schlugen die wohl beste brasilianische Nationalmannschaft seit 1970.

Tele Santanas Brasilien stand vor dem Zweitrundenspiel im Estadio Sarriá von Espanyol Barcelona bereits mit einem Bein im Halbfinale. In der zweiten Gruppenphase, die es in diesem Format nur bei dem Turnier 1982 gab, hatten beide Mannschaften bereits Titelverteidiger Argentinien besiegt. Durch den höheren Sieg der Brasilianer (3:1) hätte der Seleção bereits ein Unentschieden zum Einzug ins Halbfinale gereicht.

Brasilien war die beliebteste Mannschaft des Turniers und haushoher Favorit. Mit den Mittelfeldstars Zico, Socrates und Falcão in ihren Reihen hatten sie alle vier bisherigen Spiele gewonnen und dabei 13 Tore erzielt. Nach drei Unentschieden in der Vorrunde rettete sich Enzo Bearzots Italien hingegen bloß aufgrund der mehr erzielten Tore im Vergleich zu Kamerun in die zweite Runde. Zudem mangelte es Stürmer Rossi, der nach der Verstrickung in Spielabsprachen zwei Jahre gesperrt gewesen war und erst zwei Monate vor der Endrunde wieder spielen durfte, an Form und Fitness.

Nach den dürftigen Leistungen des 25-Jährigen in der Vorrunde forderte die italienische Presse, ihn aus der Mannschaft zu nehmen. Beim 2:1-Sieg über Argentinien ging Rossi abermals leer aus. Doch zum Glück für Italien hielt Bearzot weiter an ihm fest und nominierte ihn auch für das alles entscheidende Spiel. Der Rest ist Geschichte und Rossi wurde zum Helden eines italienischen Fussballmärchens.

In Barcelona benötigte Rossi nur fünf Minuten, um ins Spiel zu finden. Das Tor wurde von seinem Mannschaftskameraden von Juventus Turin, Antonio Cabrini, eingeleitet, der nach einem Pass von Gabriele Oriali auf die linke Seite Rossis Laufweg genau berechnete und eine Maßflanke hereinzirkelte, die Rossi per Kopf im Tor von Valdir Peres unterbrachte.

Brasilien drängte nun auf den Ausgleich und vernachlässigte die Abwehr, was Rossi sogleich ausnutzte und eine Torchance von Francesco Graziani vorbereitete, der den Ball jedoch weit am Tor vorbei schoss. Während die Italiener unerwartet offensiv auftraten, machten auch ihre Gegner das, was sie am besten konnten: nach vorne spielen und Tormöglichkeiten herausarbeiten. In der 10. Minute stand der brasilianische Mittelstürmer Serginho alleine vor dem Tor von Dino Zoff, konnte die Chance allerdings nicht nutzen.

Dennoch währte Italiens Führung nicht mehr lange, da Socrates nur zwei Minuten später das 1:1 erzielte. Der groß gewachsene, schlaksige Mittelfeldstratege spazierte in die italienische Hälfte und spielte den Ball auf Zico, der mit dem Rücken zum Tor stand. Die Gefahr schien bereits gebannt, doch plötzlich konnte sich die Nummer 10 von seinem Bewacher lösen und den Ball auf Socrates zurückspielen, der auf der rechten Seite eine Lücke fand und den Ball im kurzen Eck des italienischen Tores unterbrachte.

Bei den Azzurri machte sich langsam Frust breit, da die Brasilianer die Italiener in ihrer Hälfte einschnürten und Schiedsrichter Abraham Klein Claudio Gentile zudem die Gelbe Karte zeigte. Doch anstatt das zweite Tor zu erzielen, machte Brasilien den Italienern in der 25. Minute ein Gastgeschenk: Valdir Peres spielte den Ball zu Leandro, der wiederum Cerezo anspielte. Der unbedrängte Verteidiger spielte einen fahrlässigen Querpass direkt in die Beine von Rossi, der schnell reagierte und den Ball annahm und ihn dann mit einem kraftvollen Schuss in die Maschen jagte.

Die Brasilianer mussten erneut einem Rückstand nachlaufen und belagerten nun das italienische Tor. Die Azzurri hatten jetzt alles in der Hand - Gentile hatte seine Hand jedoch auch am Trikot von Zico und zog so fest daran, dass es kurz vor dem Pausenpfiff riss.

Die erste Halbzeit war spektakulär, doch die zweite sollte sich zu einem wahren Krimi entwickeln, da Brasilien die auf Konter lauernden Italiener weiterhin unter Druck setzte und auf den Ausgleichstreffer hoffte. Falcão hatte zwei Minuten nach Wiederanpfiff eine Riesenchance, doch sein Schuss wurde leicht abgefälscht. Der Italiener Bruno Conti und die Brasilianer Zico und Serginho hatten weitere Tormöglichkeiten; am leichtfertigsten vergab wohl Serginho, der den Ball nicht über den herauslaufenden Zoff lupfen konnte.

Auch Cerezo scheiterte nur knapp, als er einen Pass von Junior annahm und einen Schuss nur an den linken Pfosten setzen konnte. In der 68. Minute war es jedoch soweit: Brasilien schaffte den Ausgleich - und wie! Junior setzte sich auf der linken Seite durch und brachte den Ball zu Falcão, der am rechten Strafraumeck stand. Er täuschte einen Pass auf Cerezo an, der in den freien Raum gelaufen war, doch dann machte der Spieler von AS Rom einen Haken nach innen und hämmerte den Ball in die linke obere Torecke.

Brasilien war nun wieder im Spiel und stürmte weiterhin nach vorne, um das entscheidende dritte Tor zu erzielen - und genau diese Taktik sollte schließlich ihren Untergang bedeuten. Nachdem Zoff einen Schuss des eingewechselten Paulo Isidoro abwehren konnte, spielte Italien in der 74. Minute einen Konter, der einen Eckball einbrachte. Nachdem Bruno Contis Eckstoß zunächst zur Strafraumgrenze geklärt wurde, brachte Marco Tardelli den Ball wieder vor das Tor und Rossi machte aus fünf Metern seinen Hattrick perfekt.

Brasilien lag 16 Minuten vor dem Ende zum dritten Mal zurück und warf alles nach vorne, doch am 40-jährigen Dino Zoff gab es nun kein Vorbeikommen mehr. In den letzten Sekunden köpfte Oscar auf das lange Eck, doch der erfahrene Torhüter konnte den Ball gerade noch von der Linie kratzen. Somit war Brasiliens Schicksal besiegelt. Italien setzte seinen Weg fort und wurde zum dritten Mal Weltmeister und Paulo Rossi gewann den Goldenen Schuh.