Donnerstag 22 Dezember 2016, 09:16

Grosso wird Italiens Goldjunge

"Warum ich?"

Dieser Gedanke schoss Fabio Grosso durch den Kopf, als er aufgefordert wurde, den fünften Elfmeter Italiens zu schießen, der hier zu sehen ist. Der Linksverteidiger gehörte im Finale der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006™ nicht zu den fünf ursprünglich vorgesehenen Elfmeterschützen Italiens. Trainer Marcello Lippis Kandidaten waren Andrea Pirlo, Marco Materazzi, Daniele De Rossi, Alessandro Del Piero und Francesco Totti. Letzterer war zwar ausgewechselt worden, doch andere Kandidaten schienen für diese immense Verantwortung besser geeignet, beispielsweise Luca Toni, Vincenzo Iaquinta oder auch Kapitän Fabio Cannavaro.

Er sei regelrecht frappiert gewesen, so Grosso später – schließlich hatte er seinen letzten Elfmeter vor dem Finale von Berlin volle fünf Jahre zuvor in der Serie C2 getreten, der vierten italienischen Liga. Der Verteidiger hatte sich in den Jahren seiner unauffälligen Karriere vor der WM 2006 langsam aber unaufhaltsam von Chieti über Perugia und Palermo nach oben gearbeitet.

Lippi hatte indes sofort die Antwort auf Grossos Frage 'Warum ich?' parat: "Weil du der Mann für die letzten Minuten bist", so der Trainer entschieden - nicht zuletzt weil der Verteidiger in der Nachspielzeit des Achtelfinales gegen Australien den Elfmeter herausgeholt und beim Halbfinalsieg gegen Deutschland in der Schlussphase der Verlängerung die Führung für Italien erzielt hatte.

Zwar hätte bereits vor dem fünften Elfmeter schon alles entschieden sein können, doch das Schicksal wollte es so, dass Grosso erneut der Mann war, der für die Entscheidung sorgte. Alle vier italienischen Elfmeterschützen vor ihm hatten die Nerven bewahrt und einzig der Franzose David Trezeguet hatte den Ball an die Latte gesetzt – ausgerechnet jener Spieler also, der unter Lippi mit Juventus Turin im Finale der UEFA Champions League 2003 schon einen Elfmeter verschossen und damit zum verpassten Titel beigetragen hatte. "Als Trezeguet an der Reihe war, dachte ich bei mir, dass er mir eigentlich etwas schuldet", sagte der italienische Trainerfuchs später mit einem Lächeln.

Tottis Ersatzschütze musste nun allerdings immer noch seinen Elfmeter verwandeln, was angesichts der bis dahin überaus schwachen Bilanz der Italiener in Elfmeterschießen keineswegs allzu wahrscheinlich schien. Wie nur gelang es Grosso, der so wenig Erfahrung vom Punkt hatte, vor den Augen der ganzen Welt und unter der Last der Sehnsucht einer stolzen Fussballnation einen derart perfekten Elfmeter zu schießen, der links halbhoch einschlug und Fabien Barthez keine Abwehrchance ließ?

"Ich zwang mich einfach zu innerer Ruhe", erinnert er sich. "In solchen Momenten bedeutet Erfahrung einfach gar nichts. Natürlich muss man über die entsprechende Technik verfügen, doch letztlich geht es darum, unmittelbar vor dem Schuss die richtige mentale Einstellung zu finden.

Ich denke oft daran, dass ich den italienischen Fluch bei Verlängerungen und Elfmeterschießen beendet habe. So waren wir 1994 im WM-Finale gescheitert, 1998 im Viertelfinale, dann wieder im Finale der EURO 2000. Natürlich ging uns das auch vor dem Finale von 2006 durch den Kopf, doch dieses Mal gelang es uns, die Nerven zu bewahren Lippi hatte uns das nötige Selbstvertrauen vermittelt."

Hätten Sie's gewusst?

Die Brille, die Lippi bei diesem Finale trug und die er nach Grossos Elfmeter abnahm und sorgfältig beiseite legte, gehört zu den zahlreichen einzigartigen und faszinierenden Ausstellungsstücken des FIFA Welt Fussball Museums zur FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006™.

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