Sonntag 03 Juli 2016, 10:00

Elizondo: "Drei Jahre Vorbereitung, um das Finale zu leiten"

Auch er schrieb WM-Geschichte: Der Argentinier Horacio Elizondo war der erste und bis heute einzige Schiedsrichter, der bei einer FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ das Eröffnungsspiel und das Finale leitete. Zehn Jahre nach dem Turnier in Deutschland 2006, das sich den Fans durch den berühmten Platzverweis des Franzosen Zinédine Zidane im Finale gegen Italien für immer ins Gedächtnis eingebrannt hat, spricht der Unparteiische über seine Erinnerungen.

"Als junger Mann träumst du von Dingen, die du gerne machen würdest, doch dann zeigt dir das Leben andere Wege auf", beginnt der ehemalige Schiedsrichter, der im Alter von 15 Jahren seinen Traum von einer Fussballerkarriere beerdigte. "Ich stellte fest, dass es viele Spieler wie mich gab und dass es sehr schwer werden würde, die erste Liga zu erreichen." Er widmete sich der Leichtathletik, aber aufgrund seiner Liebe für alle Sportarten schlug er eine Laufbahn als Sportlehrer ein.

Die Tätigkeit als Schiedsrichter aber ermöglichte es ihm, sich seine Kindheitsträume auf eine andere Weise zu erfüllen. "Ich erreichte mein Ziel auf eine andere Art. Nicht als Spieler oder Olympionike, sondern als Schiedsrichter bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen und der Weltmeisterschaft in Deutschland 2006."

Die Vorbereitung Es war ein langer und anstrengender Weg. Bis zum Finale in Berlin waren zehn Jahre seit seinem Debüt als internationaler Schiedsrichter vergangen. Und er musste den Frust verkraften, in Korea/Japan 2002 nicht berücksichtigt worden zu sein.

Dem weltweiten Kräftemessen in Deutschland ging eine lange Vorbereitung voraus. "Nicht ein Monat, 35 oder 40 Tage. Drei Jahre lang verfolgte man dieses Ziel, sich auf die bestmögliche Weise vorzubereiten, um der Herausforderung bei dieser WM gewachsen zu sein. Ich spreche nicht nur für mich, sondern auch für mein Schiedsrichterteam. Ab jener WM wurde begonnen, sie Schiedsrichterteams zu nennen. Das Schiedsrichterwesen wurde von einem neuen Blickwinkel betrachtet und verändert. Es wurde etwas Wesentliches und Wichtiges aufgebaut, und zwar die Arbeit als Team und gegenseitiges Vertrauen", erklärt der heute 52-jährige Argentinier.

Diese anspruchsvolle Einarbeitung erlaubte es ihm, in bester Verfassung und mit einem eindeutigen Ziel nach Deutschland zu fahren. "Es ging nicht darum, einen Schiedsrichter für ein, zwei oder drei WM-Spiele vorzubereiten, sondern für die Leitung des Finales."

Gemeinsam mit seinen Assistenten Rodolfo Otero und Darío García wurde er für das Auftaktspiel zwischen Deutschland und Costa Rica in München eingeteilt. "Es war eine große Freude und gleichzeitig eine große Verantwortung. Wir mussten der Welt zeigen, wie die Spielregeln angewandt und interpretiert werden würden", erklärt er.

Das argentinische Schiedsrichtergespann sollte in Deutschland 2006 fünf Partien leiten, von der jede besondere Anforderungen an die Unparteiischen stellte. "Das zweite Spiel war das schwerste: Tschechische Republik gegen Ghana. Zwei sehr körperbetont und hart spielende Teams, die viele Fouls begingen, aber mit hohem Tempo und schnellen Spielern agierten", sagt er im Rückblick. "Anschließend Schweiz gegen Korea, in dem es ebenfalls um das Weiterkommen ging. Dann kam der Sprung ins Viertelfinale, in dem du dir keinen Fehler erlauben darfst, denn es gibt keine Möglichkeit zur Wiedergutmachung: England - Portugal. Die Entscheidung fiel im Elfmeterschießen. Und dann kam das Finale."

Das Finale** ** Im wichtigsten Spiel hatte das Schicksal für Elizondo eine besondere Überraschung vorgesehen. "Endspiele sind meistens etwas ruhiger, weil die Mannschaften darauf achten, keine Fehler zu begehen. Doch dieses hier war anders", erinnert er sich. "Es waren noch keine fünf Minuten gespielt, als ich einen Elfmeter für Frankreich gab. Dann wurde von Darío García ein Tor aufseiten der Italiener aberkannt. Es fiel der Ausgleich und dann die berühmte Szene zwischen Zidane und Materazzi."

Elizondo erklärt uns aus seinem privilegierten Blickwinkel, wie jene Begebenheit ablief, die das Karriereende des Franzosen markieren sollte. "Ich stand relativ weit weg vom Geschehen. Als ich das Spiel unterbrach und auf den italienischen Spieler zuging, habe ich über das Kommunikationssystem meine Assistenten gefragt, ob sie etwas gesehen haben. Beide verneinten", beginnt der ehemalige Schiedsrichter.

"Dann kam Luis Medina Cantalejo, der vierte Offizielle, und sagt: 'Heftiger Kopfstoß der 10 der Weißen gegen die...' - ich erinnere mich nicht mehr an die Nummer von Materazzi", fährt er fort.

Der Bericht von Elizondo bringt Klarheit in einen unvergesslichen Moment, der die Geschichte jener FIFA WM prägte: "Medina Cantalejo sagte zu mir: 'Wenn du das siehst, wirst du es nicht glauben.' Da dachte ich: 'Ah, nein, hier ist etwas Schlimmes passiert.' Und nach drei Jahren Arbeit, dem Aufbau von Vertrauen in die Arbeit des Teams, war ich absolut überzeugt von dem, was mir Luis in diesem Moment sagte. Ich dachte: 'Gut, das war’s, nach dieser Aktion muss Zidane runter.'"

Das Wiedersehen Ein Jahr später sind sich Zidane und Elizondo erneut begegnet. "Das war in Murcia in Südspanien, bei der Vorstellung eines neuen Produkts von adidas. Wir wurden gefragt, ob es ein Problem sei, gemeinsam an einer Veranstaltung teilzunehmen. Wir sagten beide, dass es kein Problem sei", betont der Argentinier. "Wir wohnten im gleichen Hotel und sind uns mehrmals in der Lobby begegnet. Wir haben gefrühstückt, er mit seiner Familie und ich mit meiner, und wir haben uns alle gegrüßt. Wir haben nicht einen Moment über dieses Spiel, dieses Finale und über das, was geschehen war, gesprochen - das zeigt, was für eine Persönlichkeit Zinédine Zidane ist."

Seine historische Teilnahme an Deutschland 2006 bescherte Elizondo in der Folge Situationen und Möglichkeiten, die er sich nicht hätte träumen lassen. "Es war sehr beeindruckend, nach Argentinien zurückzukehren und die vielen Medienvertreter zu sehen, die auf mich warteten. Es schien wie die triumphale Rückkehr des verlorenen Sohnes. Es geschahen eine Menge sehr heftiger Dinge in kurzer Zeit, auf die ich nicht vorbereitet war. Dies alles beschämte mich: Auf den Platz zu laufen und dass die Fans klatschen, Autogramme zu schreiben, dass mich der Staatspräsident anrief..."

Ende jenes Jahres 2006 beendete Elizondo seine Schiedsrichterkarriere. Im Stadion Bombonera, bei einer Partie zwischen Boca und Lanús, die das Heimteam unbedingt gewinnen musste, um Meister zu werden. Boca verlor das Spiel. Dennoch verlief die Verabschiedung des Schiedsrichters überraschend.

"Es glich mehr der Präsentation eines neuen Spielers als für einen Fussball-Schiedsrichter. Ich hätte nicht gedacht, dass es auf so romantische, positive Weise abläuft. Ich war eher darauf vorbereitet, dass es unangenehm wird, vielleicht traumatischer und polemischer. Auch dies war ein Teil dieser Geschichte und eine neue Erfahrung, die mein Herz sehr berührt hat", schließt er.