Freitag 17 Juli 2020, 12:00

Romario: "So konzentriert wie noch nie"

  • ​17. Juli 1994: Brasilien holt fünften WM-Titel

  • Romario hatte vor dem Endspiel im Rose Bowl fast nie Elfmeter geschossen

  • Viel Lob für Taffarel und Bebeto

"Nein, ich werde Romario nicht zurückholen", meinte Carlos Alberto Parreira. Und er tat es auch nicht, obwohl Brasilien gegen Erzfeind Uruguay auf dem Weg zu USA 1994 unbedingt einen Sieg brauchte. Dann verschärfte sich Brasiliens Verletzungskrise, die Stimmen nach einer Rückkehr Romarios wurden immer lauter und Parreira holte ihn nicht nur zurück, sondern stellte ihn gegen Uruguay sogar in die Startelf.

"Der Kurze" traf zwei Mal und sorgte somit dafür, dass Brasilien sich weiterhin für jede WM-Endrunde qualifizieren konnte. Dann verhalf er seinem Land zum ersten WM-Titel seit 24 Jahren und sich selbst zum Gewinn des Goldenen Balls von adidas.

Romario sprach vor einiger Zeit mit FIFA.com über sein Zusammenspiel mit Bebeto, den berühmten "Baby-Jubel", wie er im Endspiel einen Elfmeter übernahm und wie es war, den Pokal in den Händen zu halten.

Ab welchem Zeitpunkt des Turnieres waren Sie davon überzeugt, dass Brasilien Weltmeister werden würde?

Ich war immer davon überzeugt, dass es Brasilien schaffen würde, denn ich war in der Form meines Lebens und mit Bebeto hatte ich den perfekten Sturmpartner. Unsere Mittelfeldspieler waren zwar technisch nicht sehr versiert, machten jedoch ihre Aufgabe dank ihrer großen Spielintelligenz sehr gut. Aber auch unsere Abwehr stand sehr sicher und ließ kaum Gegentore zu; mit Taffarel hatten wir zudem einen der besten Torhüter aller Zeiten.

Wir verfügten auch über hervorragende Ersatzspieler, die zumindest eine ebenso gute Leistung gezeigt hätten wie jene der Startelf. Genau deshalb wussten wir, dass wir den Titel holen würden. Bereits in den Interviews vor der Weltmeisterschaft sagte ich immer, dass wir Weltmeister werden und dass es - so Gott will - auch meine WM werden würde. Und genau so ist es schließlich gekommen.

Im Spiel gegen die Niederlande zeigte Bebeto seinen unvergesslichen Torjubel. Wie ist es dazu gekommen?

Das war ein einzigartiger Moment für Bebeto. Seine Frau hatte gerade das Kind bekommen. Das war ein ungewöhnlicher Torjubel, den er in diesem Moment einfach improvisierte. Er erzielte das Tor und wiegte dann ein imaginäres Baby in seinen Armen. Mazinho stand neben ihm und machte es ihm nach; ich kam als nächster hinzu und schloss mich ihnen an. Wir drei machten gemeinsam diesen Torjubel, an den man sich noch heute erinnert.

Im Halbfinale haben Sie das einzige Tor per Kopf erzielt. Erinnern Sie sich noch daran?

Ja, das war ein unvergessliches Tor. Ich setzte mich mit meiner bescheidenen Größe von 1,68 Meter gegen eine Reihe schwedischer Abwehrspieler durch, die deutlich größer als 1,80 Meter groß waren. Das ist sehr ungewöhnlich im Fussball - vor allem im Halbfinale einer Weltmeisterschaft.

Sie harmonierten sehr gut mit Bebeto. Wie ist es dazu gekommen?

Wir spielten bereits seit den Olympischen Spielen 1988 in Seoul zusammen und bildeten auch bei einigen anderen Turnieren das Sturmduo. Deshalb verstanden wir uns blind. Als wir im Training taktische Spielzüge einstudierten, mussten wir uns beide nicht wirklich beteiligen. Wir trainierten separat, denn wir kannten uns einfach schon sehr gut. Bebeto war ein sehr intelligenter Spieler. Er kannte meine Bewegungen genau, weshalb wir auch sehr gut miteinander harmonierten.

Parreira erzählte, dass Sie sich freiwillig gemeldet hätten, als er die Schützen für das Elfmeterschießen im Finale nominieren musste. Wie ist es dazu gekommen?

Bis dahin hatte ich in meiner Karriere erst einen oder zwei Elfmeter geschossen. In der Seleção gab es fünf Spieler, die regelmäßig Elfmeter trainierten und deshalb auch unsere Standard-Schützen waren. Doch in diesem Moment sah ich es als meine Pflicht an, einen Elfmeter zu schießen, denn immerhin hatte ich bereits viel für die Nationalmannschaft und für mich selbst getan. In solchen Momenten liegt eine noch größere Last auf den Schultern der Spieler als zu einem anderen Zeitpunkt des Turniers. Es war nun an der Zeit, zu beweisen, dass ich ein reifer Spieler war, der sich der Herausforderung stellen wollte. Also meldete ich mich freiwillig, und Parreira stimmte zum Glück zu. Ich verwandelte meinen Elfmeter und trug somit meinen Teil zum brasilianischen Titelgewinn bei.

Was geht einem Spieler durch den Kopf, wenn er vom Mittelkreis zum Elfmeterpunkt geht?

Ich denke, dass viel von der Situation abhängt. Man weiß, welches Turnier und welches Spiel das ist. In diesem Augenblick war ich konzentrierter als jemals zuvor. Ich machte etwa 50 Schritte und während ich in Richtung Elfmeterpunkt marschierte, gingen mir viele Gedanken durch den Kopf: meine Kindheit, meine Eltern, meine Freunde und die Bedeutung eines WM-Titels für das brasilianische Volk. Als ich den Ball nahm und auf den Punkt legte, spukten all diese Gedanken in meinem Kopf herum. Es war eine große Verantwortung, den Ball - ein einfaches Stück Leder - zu treten und darüber zu entscheiden, ob eine ganze Nation jubelt oder weint.

Welches Gefühl hatten Sie, als Dunga den WM-Pokal in die Höhe stemmte?

Dieser Moment ist einfach unbeschreiblich. Das war einer der schönsten Momente meines Lebens, den ich niemals vergessen werde. Ich weiß nicht mehr genau ob es Dunga oder Branco war, der sagte: "Bleib hier, wenn ich die Trophäe bekomme, du kannst sie auch in Händen halten." Diesen Moment kann man nicht in Worte fassen. Es ist einfach fantastisch und überwältigend - ein unvergleichliches Gefühl! Niemand, der diese Trophäe noch nicht gewonnen hat, kann das Gefühl dieses Momentes nachempfinden. Dank Gottes Gnade wurde mir diese Ehre zuteil.

Was machte die Mannschaft, als man den Pokal mit in die Umkleidekabine nahm?

Wir waren alle beschäftigt. Wir machten etwa 3.000 Fotos mit ihm und küssten und umarmten ihn so oft wie möglich. Am Ende war dies der Lohn für die harte Arbeit einer Generation - unserer Generation -, die oftmals heftiger Kritik ausgesetzt war. Das waren die Früchte unserer Arbeit - wir zeigten der ganzen Welt, dass wir eine Generation von Siegern waren. Das ist nun ein fester Bestandteil meines Lebens.

Wie reagierten die Menschen in den Straßen Brasiliens nach Ihrer Rückkehr?

Die Straßen Brasiliens waren voll mit Menschen, die ausgelassen feierten. Für eine leidgeprüfte Nation wie Brasilien war dieser Triumph wie Nahrung für einen Hunger leidenden Menschen. Die Freude war den Menschen zumindest für diesen kurzen Moment ins Gesicht geschrieben. Das werde ich niemals vergessen.