Samstag 23 April 2016, 09:47

Byshovets: Die Zeit ist reif für Brasilien

Wann gewinnt Brasilien endlich seine erste olympische Goldmedaille? Diese Frage drängt sich im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro 2016 natürlich mehr denn je auf.

Denn der fünfmalige Gewinner der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft hat bislang drei Mal das Finale erreicht, zwei Mal die Bronzemedaille gewonnen -- aber Olympiasieger war Brasilien noch nie. Die vielleicht größte Chance auf olympisches Gold bot sich dem WM-Rekordhalter 1988 in Seoul, als Brasilien mit einem enorm starken Kader antrat. Die Stammelf mit Romario, Bebeto, Claudio Taffarel, Jorginho und anderen Stars kam auch bis ins Endspiel, doch in der Partie um Gold gelang der von Anatoly Byshovets trainierten UdSSR die 2:1-Sensation in der Verlängerung.

Das Superhirn hinter diesem denkbar unwahrscheinlichen Titel – einem der größten und zugleich der letzte der UdSSR – feiert am heutigen 23. April seinen runden 70. Geburtstag.

Anatoly Byshovets war später noch Trainer der russischen A-Nationalmannschaft, Nationaltrainer der Republik Korea, Vereinstrainer von Zenit Sankt Petersburg, Shakhtar Donetsk, Lokomotive Moskau und C.S. Maritimo in Portugal.Den Erfolg der Olympischen Spiele in Seoul mit dem Sensationssieg gegen die favorisierten Brasilianer konnte er jedoch nie mehr wiederholen.

Eine mutige Entscheidung"Ich weiß noch, wie ich mir das Halbfinale zwischen Brasilien und Deutschland angesehen habe", erinnert sich Byshovets bei FIFA.com. "Es war atemberaubend. Beide Seiten haben unterhaltsamen, hochklassigen Fussball geboten. Brasiliens Sturm mit Romario und Bebeto hat mich so beeindruckt, dass ich der Mannschaft davon lieber keine Videoanalyse angeboten habe. Ich wollte sie nicht vor dem Anpfiff schon demoralisieren."

Stattdessen traf der anspruchsvolle Trainer und berüchtigte Disziplinfanatiker am Tag vor dem Endspiel eine überaus mutige Entscheidung: Er zog mit seiner Mannschaft aus dem Olympischen Dorf aus und verlegte ihr Quartier kurzerhand auf das nach dem sowjetischen Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger Mikhail Sholokhov benannten Kreuzfahrtschiff.

"Im Olympischen Dorf war man nun mal ständig umgeben von der Euphorie des Siegs oder der Verzweiflung der Niederlage, da beißt die Maus keinen Faden ab", erklärt Byshovets die Maßnahme. "Das ist keine Atmosphäre, in der sich eine Mannschaft angemessen auf ein Finale vorbereiten kann. Ich habe mir die Bedingungen auf dem Kreuzfahrtschiff angesehen und sie waren ganz in Ordnung. Es gab zum Beispiel ein Volleyballfeld an Bord. Aber die Hauptsache war, dass die Spieler entspannen und sich vom Druck frei machen konnten. Es gab russische Küche und russische Unterhaltungskünstler. Alles in allem war die Zeit, die wir auf dem Schiff verbracht haben, nützlich. Meiner Meinung nach hat sie uns geholfen zu gewinnen."

Audienz beim PapstIm Finale brachte Romario Brasilien bereits nach 20 Minuten in Führung und den Favoriten damit einen großen Schritt näher an das ersehnte Gold. Am Ende brachte ihm das Tor jedoch nur die persönliche Auszeichnung als bester Stürmer des Turniers ein. Erst sorgte Igor Dobrovolski per Elfmeter für den Ausgleich, dann vollendete Yuri Savichev einen wunderbaren Konter für die Sowjets in der Verlängerung. Wenn es jemals ein Golden Goal gegeben hat – das war eines.

"Das Wichtigste war, Brasiliens unglaublichen Sturm in den Griff zu bekommen, auch wenn wir Romario und Bebeto nicht noch einmal gesondert studiert haben. Wir haben den Spielern einfach gesagt, sie müssen so stabil stehen wie nie zuvor. Der Gegner durfte keine Zeit und keinen Platz haben. Für mich war jedoch entscheidend, dass die Mannschaft eine Siegermentalität entwickelt hatte. Die Vorbereitung auf das Turnier eingeschlossen, hatten wir 15 Spiele bestritten und nicht eines verloren."

Um die Siegermentalität zu fördern, griff Trainer Byshovets zu ungewöhnlichen Methoden. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen war er überzeugt, dass Allgemeinwissen ein wichtiger Erfolgsfaktor im Fussball ist. Deshalb sah er sich mit seiner Mannschaft die Sehenswürdigkeiten in gleich mehreren Städten an. Vor den eigentlichen Olympischen Spielen bekam er sogar eine Audienz bei Papst Johannes Paul II.

"Ich habe viele Freunde im Fussball, auch in Italien", erläutert Byshovets, der selbst auf eine erfolgreiche Laufbahn als Spieler zurückblicken kann. Mit Dynamo Kiew wurde er vier Mal sowjetischer Meister und bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Mexiko 1970™ wurde er mit vier Treffern bester Torschütze des Turniers für die UdSSR.

"Diese Freunde verhalfen mir zu einem Treffen mit dem Papst. Er sprach fließend Russisch, das machte die Unterhaltung einfacher. Außerdem stellte sich heraus, dass er sich ziemlich gut mit Fussball auskannte. Ich glaube, diese Audienz hat die Mannschaft zusammengeschweißt. Ich halte es allgemein für sehr wichtig, dass eine Mannschaft Druck abbauen kann. Wenn man die Freizeit so organisiert, dass die Spieler abends nicht nur rumsitzen und Karten spielen, schafft man eine professionelle und doch entspannte Atmosphäre."

Die Zeit ist reif für BrasilienAcht Jahre später war Byshovets als Trainer der Republik Korea wieder bei den Olympischen Spielen. In Atlanta 1996 kamen die Asiaten zwar nicht über die Gruppenphase hinaus, aber Byshovets wertet die Erfahrung dennoch als Erfolg. "Meine größte Leistung war, dass sich die Spieler nicht unterlegen gefühlt haben", sagt er. "Wir hatten Zutrauen in unser Können und haben es allen Gegnern schwer gemacht. Wenn wir verloren haben, haben wir hoch erhobenen Hauptes verloren. Meine Mannschaften spielen immer einen gepflegten Ball."

Seoul '88 war einer der letzten und einer der schönsten Erfolge der UdSSR. Für 2016 sieht Byshovets jedoch endlich Brasilien vorn.

"Es ist schade, dass sich Russland diesmal nicht mit den Gastgebern messen kann", sagt er. "Jedenfalls ist Brasilien Favorit auf Olympia-Gold in Rio. Es wird ja auch Zeit! Im eigenen Land zu spielen, ist immer ein Vorteil und Brasilien bringt alle Voraussetzungen für einen Erfolg mit."