Mittwoch 03 Juni 2020, 00:30

Amiris Weg vom Rohdiamanten zu Afghanistans Idol

  • Zohib Islam Amiri ist Afghanistans Rekord-Nationalspieler

  • Der Verteidiger spielt bereits seit 15 Jahren für das Nationalteam

  • Er hofft auf die erstmalige Qualifikation für den AFC Asienpokal

Für die meisten Leute ist es eine schöne Erfahrung, zur Hochzeit eines Verwandten eingeladen zu sein. Der afghanische Nationalspieler Zohib Islam Amiri allerdings verbindet mit der Hochzeit eines Cousins mehr als nur schöne Erinnerungen. Denn seine Teilnahme an der Feier vor eineinhalb Jahrzehnten bildete den Startschuss zu seiner erfolgreichen Fussballkarriere.

Im März 2005 kehrten der damals 15-jährige Amiri und seine Eltern, die als Flüchtlinge in Pakistan lebten, für die Hochzeit eines Cousins in die afghanische Hauptstadt Kabul zurück. Amiri war damals leidenschaftlicher Fan von Manchester Uniteds aufstrebendem Star Cristiano Ronaldo. Sein Cousin spielte für den Kabuler Klub FC Shoa.

"Es scheint, als wäre das alles erst gestern gewesen", so der heute 30-jährige Verteidiger des indischen Klubs FC Gokulam Kerala im Gespräch mit FIFA.com. "Bei der Hochzeit war auch der Trainer meines Cousins dabei, was ich aber nicht wusste."

"Wir haben dann irgendwann auch ein bisschen Fussball gespielt, und mein Cousin und der Trainer schauten zu. Nach unserem Spielchen kam der Trainer zu mir und fragte mich: 'Willst du für unseren Klub spielen?' So begann meine Karriere als Teenager."

Das Angebot des FC Shoa kam für Amiri überraschend, doch es sollten noch größere Überraschungen folgen.

"Bei meinem ersten Spiel für den Klub gab man mir das Trikot mit der Rückennummer 9", erzählt er. "Es waren auch ein paar Beobachter von der Nationalmannschaft dabei. Und nach dem Spiel bekam ich tatsächlich eine Einladung zu einem Trainingslager des Nationalteams. Es war natürlich für einen 15-Jährigen wie mich nicht leicht, mich mit den viel größeren Jungs zu messen. Aber ich habe sehr hart trainiert. Glücklicherweise habe ich es in den 30-Mann-Kader geschafft und dann auch in den 23-er-Kader, der unser Land repräsentiert hat."

Entwicklung im Nationalteam

Für Amiri wurde damit ein Traum wahr. Seine fussballerischen Ambitionen stammen gar noch aus der Zeit der Taliban-Herrschaft. "In dieser Zeit gab es gar keine Freizeitvergnügen. Wir durften nicht einmal Fernsehen schauen", erinnert er sich. "Das einzige, was man tun konnte, war ins Stadion gehen und Fussballspiele anschauen."

"Das war eine schwierige Zeit für uns alle. In meiner Kindheit waren die Tage nur schön, wenn ich Fussball schauen oder mit Freunden aus der Nachbarschaft spielen konnte. In dieser Zeit mit Bombenexplosionen und Chaos überall gab es nur das Hier und Jetzt. Man hat nicht an morgen gedacht."

Trotz all der Widrigkeiten spielte Amiri auch weiterhin Fussball. Nach der Flucht nach Pakistan schloss er sich einer Nachwuchsakademie in Karachi an. "In dieser Zeit habe ich angefangen, davon zu träumen, eines Tages für mein Land zu spielen. Aber ich hätte nie erwartet, dass es so schnell gehen würde."

Im Nationalteam nahm Amiris Karriere dann richtig Fahrt auf. Er feierte sein Debüt in der Nationalmannschaft gegen die Malediven im Alter von 15 Jahren, neun Monaten und 18 Tagen (bis heute der jüngste Nationalspieler aller Zeiten) bei der Südasien-Meisterschaft.

Acht Jahre später trug er bei der SAFF-Meisterschaft 2013 erstmals die Kapitänsbinde. Amiri spielte ein herausragendes Turnier und führte sein Team zum erstmaligen Titelgewinn.

"Dieses Jahr war der Höhepunkt meiner Karriere und meines Lebens. Als ich erfuhr, dass ich zum Kapitän ernannt wurde, habe ich vor Freude geschrieen. Dass ich für mein Land spielen konnte, war ja schon ein wahr gewordener Traum. Und nun sogar als Kapitän des Nationalteams."

"Und wir haben die SAFF-Meisterschaft 2013 tatsächlich gewonnen. Das war Afghanistan nie zuvor gelungen. Entsprechend stolz waren wir. Das waren fantastische Erfahrungen für uns. Vom ersten bis zum letzten Tag des Turniers haben wir alle hart gearbeitet und an einem Strang gezogen. Und wir haben gemeinsam Geschichte geschrieben."

Auch in den Jahren seitdem spielte Amiri eine wichtige Rolle im Nationalteam und er bleibt eine der Schlüsselfiguren in der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022™. Mit nunmehr 52 Länderspieleinsätzen ist Amiri Rekordnationalspieler Afghanistans.

Auf Klubebene leistete er echte Pionierarbeit, als er 2011 als erster afghanischer Spieler im Ausland beim indischen Klub Mumbai unterschrieb. Seitdem hat er sich bei verschiedenen indischen Klubs einen Namen gemacht und gehört zu den Publikumslieblingen in seiner Wahlheimat.

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Der Traum von der WM

Mit vier Punkten aus fünf Spielen liegt Afghanistan in der WM-Qualifikationsgruppe derzeit hinter den beiden führenden Teams Katar und Oman. Die weiteren Teams in der Gruppe sind Indien und Bangladesch. Noch sind drei Spiele zu absolvieren und so hofft Amiri auf gute Ergebnisse und die erstmalige Qualifikation für den AFC Asienpokal.

"Wir haben gegen Katar keinen guten Start in die Qualifikation erwischt. Doch dann haben wir uns gefangen und gegen Indien gut gespielt. Auch im Rückspiel gegen Katar haben wir eine gute Leistung gezeigt. Wir hatten durchaus Siegchancen, aber wir haben einen Elfmeter verschossen und mit 0:1 verloren."

"Ich träume natürlich davon, mein Land bei einer Weltmeisterschaft zu vertreten. Und wenn daraus nichts wird, hoffe ich, dass ich zumindest beim nächsten AFC Asienpokal 2023 dabei sein kann. Ich bin schon Mitte 30, aber ich will für Afghanistan spielen, so lange es geht."

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