Freitag 24 April 2020, 14:08

#WorldCupAtHome: "Azzurri" verderben Deutschland das Sommermärchen

  • Bei #WorldCupAtHome geht es mit dem packenden Duell Deutschland – Italien weiter (Deutschland 2006)

  • Intensives Halbfinale mit Hochspannung bis zum Ende der Verlängerung

  • Fabio Grosso – Held eines Volkes und Alptraum eines anderen

Deutschland erlebte nach dem Start der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ im eigenen Land ein Sommermärchen und wollte es nur zu gern bis ins Finale fortsetzen und sich dort den vierten Weltmeistertitel sichern. Italien war weniger dominant aufgetreten, hatte sich jedoch als stabile Mannschaft präsentiert und den Einzug ins Halbfinale perfekt gemacht. Die Nazionale setzte dem attraktiven Offensivfussball von Jürgen Klinsmann vor allem ihre solide Abwehr entgegen und kam mit dieser Strategie ganz am Ende eines packenden und intensiv geführten Duells zum Erfolg.

Spielinfo

Deutschland – Italien 0:2 (n. V.)

4. Juli 2006 Signal-Iduna-Park, Dortmund (Deutschland)

Torschützen: 0:1 Fabio Grosso (119.),0:2 Alessandro Del Piero (120.+1.)

Aufstellungen:

  • Deutschland: Jens Lehmann, Arne Friedrich, Per Mertesacker, Christoph Metzelder, Philipp Lahm, Sebastian Kehl, Michael Ballack (C), Tim Borowski (73. Bastian Schweinsteiger), Bernd Schneider (83. David Odonkor), Miroslav Klose (111. Oliver Neuville), Lukas Podolski

  • Italien: Gianluigi Buffon, Fabio Grosso, Fabio Cannavaro (C), Marco Materazzi, Gianluca Zambrotta, Gennaro Gattuso, Simone Perrotta (104. Alessandro Del Piero), Andrea Pirlo, Mauro Camoranesi (91. Vincenzo Iaquinta), Francesco Totti, Luca Toni (74. Alberto Gilardino)

Hintergrund

52 Jahre waren seit Deutschlands erstem Weltmeistertitel vergangen, den dritten und vorerst letzten hatte die DFB-Auswahl 16 Jahre zuvor. Die Italiener hatten ebenfalls drei WM-Titel auf dem Konto, den letzten davon hatten sie sich 1982 gesichert. Eine noch bessere Bilanz konnte nur Brasilien mit fünf Sternen auf dem Trikot verbuchen. Dieses Halbfinale war also ein Duell zweier absoluter Topteams der WM-Geschichte.

Die Nazionale hatte die Statistik auf ihrer Seite: Sie war in vier WM-Spielen gegen die deutsche Nationalmannschaft ungeschlagen geblieben, darunter das epische Halbfinale 1970 und das Finale 1982. Für die Gastgeber sprach allerdings, dass die Partie in Dortmund stattfand, wo sie von 14 Begegnungen keine einzige verloren hatten. Mit 65.000 Zuschauern und einem ganzen Land im Rücken, das die Deutschen mit ihrer Spielweise, ihrem Teamgeist und der guten Stimmung im Team in ihren Bann gezogen hatten, gingen sie mit viel Selbstvertrauen in die Partie. Zuvor hatte das Team sich im Viertelfinale im Elfmeterschießen gegen Argentinien durchgesetzt. Allerdings hatte auch Italien mit einem klaren 3:0-Sieg gegen die Ukraine keinen Zweifel an seinen Ambitionen gelassen.

Spielverlauf

Ein entscheidender Akteur fehlte: Im ultraoffensiven deutschen Team zählten Michael Ballack, Miroslav Klose und Lukas Podolski an vorderster Front zu den Aushängeschildern. Eine ungemein wichtige Rolle spielte jedoch auch Torsten Frings, und zwar sowohl als Abräumer vor der Abwehr als auch beim Spielaufbau. Da er gesperrt war, musste Klinsmann sein gesamtes System umstellen und bot die Reservisten Tim Borowski und Sebastian Kehl in der Startelf auf. Wir werden nie erfahren, wie das Spiel mit Frings verlaufen wäre, aber ohne ihn war die deutsche Offensive weniger kraftvoll, die DFB-Auswahl lag beim Ballbesitz hinten (43 % gegenüber 57 %) und musste sich schließlich geschlagen geben.

Ungenauigkeiten und Unentschlossenheit: 118 Minuten lang sahen wir ein ausgeglichenes taktisches Duell, bei dem die Deutschen zeigten, dass sie auch verteidigen konnten. Die Italiener bestätigten erneut, dass sie Experten auf diesem Gebiet waren, wobei vor allem der führungsstarke Fabio Cannavaro und der robuste Marco Materazzi zu überzeugen wussten. Letzterer machte mit seiner Leistung vergessen, dass er normalerweise nur der Ersatz für den verletzten Alessandro Nesta war. In der Offensive verschwanden Klose und Toni praktisch in der Versenkung und die Abschlüsse von Schneider, Borowski und Ballack auf deutscher Seite sowie Perrotta und Grosso auf italienischer Seite waren zu unpräzise. Buffon vereitelte zwei Versuche von Podolski, und Lehmann konnte sich glücklich schätzen, dass der Ball nach einer schönen Einzelleistung von Gilardino an den Pfosten ging. In der 119. Minute schien daher alles auf ein Elfmeterschießen hinauszulaufen.

Zwei Geniestreiche: In der 119. Minute eroberte Pirlo den Ball nach einer schlecht abgewehrten Ecke in 18 Metern Torentfernung und spielte einen genialen Pass durch drei deutsche Verteidiger hindurch. Weder die 65.000 Fans im Stadion noch Millionen von Zuschauern an den Bildschirmen hatten es kommen sehen. Keiner außer Fabio Grosso, der den Ball von der linken Seite in die lange Ecke von Lehmanns Tor zirkelte. Die Deutschen hatten gerade erst wieder angestoßen, als Cannavaro den Ball in beeindruckender Manier zurückeroberte. Er schickte Iaquinta, der mit einer weiteren genialen Aktion für Del Piero auflegte. Dieser zirkelte den Ball ebenfalls ins lange Eck, diesmal jedoch auf der anderen Seite. Damit war Deutschland geschlagen.

Der Star

Er wusste es damals noch nicht, aber Fabio Grosso, der dem deutschen Traum ein Ende setzte, sollte auch im Finale zum Helden avancieren, wo er gegen Frankreich den letzten Elfmeter ausführte. Marcello Lippis Entscheidung, ihm die Verantwortung zu übertragen, beruhte einerseits auf seinem entscheidenden Einfluss am Ende des Spiels gegen Deutschland, andererseits aber auch auf der Tatsache, dass er bereits im Achtelfinale eine wichtige Rolle gespielt hatte. Grosso hatte nämlich den Elfmeter herausgeholt, mit dem sich die Italiener kurz vor Schluss den Sieg sicherten. "Weil du der Mann der letzten Minute bist", sagte Lippi zu ihm, als er ihn als letzten Elfmeterschützen aufbot. Er sollte Recht behalten, denn Grosso sicherte Italien den vierten WM-Titel.

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Zitate

"Als ich sah, dass Andrea den Ball hatte, stiegen die Chancen, dass ich ihn bekommen würde. Manchmal schaut er dich nicht an und findet dann trotzdem den perfekten Moment, um dich anzuspielen. Ich hatte das Gefühl, dass genau das passieren würde, und so kam es dann auch." Fabio Grosso (Verteidiger, Italien)

"Es war ein fantastisches und schwieriges Spiel. Wir sind auf eine sehr starke Mannschaft getroffen, die durchaus auch den Führungstreffer hätte erzielen können. Aber wir hatten die größere Kampfkraft und den größeren Siegeswillen." Alessandro Del Piero (Stürmer, Italien)

"Damit ist für uns ein Traum in Erfüllung gegangen. Wir haben das Spiel dominiert und waren die bessere Mannschaft. Die Spieler sind über sich hinausgewachsen und waren vorbildlich. Sie waren mit großer Begeisterung bei der Sache und haben wirklich das umgesetzt, was ich von ihnen erwartet habe. Ich bin sehr stolz auf dieses Team." Marcello Lippi (Trainer, Italien)

"Das war ein sehr enges Spiel. Beide Teams hatten während der regulären Spielzeit ihre Chancen. Glückwunsch an die Italiener. Sie haben uns ganz am Schluss erwischt und zwei sehr schöne Tore erzielt. Wir sind sehr enttäuscht, aber wir können stolz auf unsere Mannschaft sein, denn viele unserer Spieler sind noch sehr jung." Miroslav Klose (Stürmer, Deutschland)

"Es ist bitter, kurz vor dem Ende der Verlängerung zu verlieren. Wir sind auf eine gute Mannschaft getroffen, es gab weder auf der einen noch auf der anderen Seite viele Chancen. Es war eine relativ ausgeglichene Partie." Philipp Lahm (Verteidiger, Deutschland)

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Und danach?

In Berlin bestritt Italien im Finale gegen Frankreich einen weiteren großen Klassiker. Nach 120 packenden Minuten, die von der Genialität und einem traurigen Aussetzer von Zinedine Zidane, aber auch vom Talent und sicheren Rückhalt eines Buffon, Cannavaro und Materazzi geprägt waren, sicherten sich die Azzurri den vierten Weltmeistertitel. Die Deutschen ließen sich nicht unterkriegen und gewann das "kleine Finale" gegen Portugal. Die Generation von Lahm, Schweinsteiger, Klose, Podolski und Co. krönte sich acht Jahre später in Brasilien zum Weltmeister.

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