Dienstag 14 Mai 2019, 10:36

Teamreporter stellen sich vor: Jamaika

Bis zum Turnierstart werden einige dieser Teamreporter über ihre Geschichte und ihre Erwartungen an das bevorstehenden Weltereignis berichten. Den Anfang macht Kayon Davis, ehemalige jamaikanische Nationalspielerin, die die Reggae Girlz bei ihrem WM-Debüt begleiten wird.

Kayons Geschichte

Seit der Einführung des organisierten Frauenfussballs in Jamaika vor über 50 Jahren hatten Fussballspielerinnen in meinem Land unter begrenzten Ressourcen, Diskriminierung und Vorurteilen zu leiden. Als ehemalige Spielerin habe ich diese Herausforderungen selbst miterlebt – auf dem Spielfeld und abseits davon.

Im Gegensatz zu den meisten Fussballspielerinnen habe ich erst sehr spät angefangen zu spielen, nämlich kurz vor dem Erwachsenenalter. Ich hatte schon vorher mit meinen Freunden aus der Nachbarschaft gespielt, aber als ich etwa 17 war, führte der lokale Klub Harbour View Football Club eine Frauenmannschaft ein. Damals habe ich zum ersten Mal organisierten Fussball mit anderen Frauen gespielt, und anfangs haben wir auch etwas Unterstützung und Anerkennung bekommen, weil der Frauenfussball damals etwas ganz Neues war. Aber der Reiz des Neuen war bald verflogen, und damit auch die Unterstützung.

Ich ließ mich davon nicht abschrecken, vielleicht auch, weil ich zu diesem Zeitpunkt schon eine Einladung zur Nationalmannschaft bekommen hatte. Das Ganze erwies sich dann aber als sehr enttäuschend, und war eigentlich nur ein Spiel, in dem verschiedene Gruppen des Kaders gegeneinander antraten. Da fragte ich mich schon, wie es wohl weitergehen würde. Und eine Zeit lang passierte überhaupt nichts.

Dann hatte ich 1998 die Idee, eine Highschool-Liga für Mädchen zu gründen. Ich trat an den jamaikanischen Frauenfussballverband (JWFA) heran, und dort fand man den Vorschlag gut. Die Insports High School League war aus der Taufe gehoben. Am Anfang bestand sie nur aus acht Teams, und meine Highschool – Merl Grove High – war eins davon.

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Zwei Lehrer erklärten sich bereit, das Team zu trainieren, aber sie warfen bald das Handtuch, weil sie fanden, wir seien nicht gut genug. Unsere Rektorin war der festen Überzeugung, dass Mädchen im Fussball nichts verloren hatten, und wenn sie erfahren hätte, dass die Lehrer ausgestiegen waren, hätte sie uns von der Liga abgemeldet. Dazu kam es aber nicht, weil ich als Spielführerin in die Bresche sprang, das Team trainiert und alle Angelegenheiten geregelt habe, ohne dass die Verwaltung etwas mitbekommen hat. Schließlich belegten wir den dritten Platz, und ich wurde als beste Verteidigerin der Liga ausgezeichnet.

Kurz darauf kam mein erstes Länderspiel, und ich wurde auch für die U-23-Auswahl nominiert – für das erste offizielle Trainingslager der Reggae Girlz seit Jamaikas Länderspieldebüt im Jahr 1991. Aber auf nationaler Ebene gab es keine Entwicklung, deshalb hängten sehr viele Spielerinnen ihre Fussballschuhe an den Nagel oder suchten ihre Chance anderswo.

Ich hatte Glück, denn ich bekam ein Stipendium in den USA. Damals träumte jede Spielerin davon, an einer Universität in den USA zu spielen und später dann in die Profiliga (WUSA) zu wechseln. Aber als meine letztes Jahr an der Universität zu Ende ging, war die Liga schon eingestellt worden.

Trotzdem habe ich durch das Fussballstipendium eine Ausbildung und die Möglichkeit erhalten, auf einem hohen Wettbewerbsniveau zu spielen. Außerdem habe ich Ressourcen und Mittel bekommen, um mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich bin Funktionärin geworden, habe das Frauenteam Los Perfectos betreut und schließlich als erste Frau in Jamaika als Fussballanalystin für das Fernsehen gearbeitet.

Die große Bühne wartet

Jetzt mache ich mich auf den Weg nach Frankreich, um über Jamaikas historische erste WM-Teilnahme zu berichten. Wenn ich an das Schulteam von Merl Grove zurückdenke, sehe ich Parallelen zu dem Team, über das ich berichten werde. Die Reggae Girlz sind auch Außenseiter, die mit mangelnden Ressourcen und mangelnder Unterstützung zurechtkommen und viele Hürden überwinden mussten. Aber auch sie wollen ihre Sache unbedingt gut machen und sich durchsetzen.

Jamaika ist kein großes Fussballland, aber weil wir diese WM erreicht haben, hoffen wir, eines zu werden. Es zeigt, dass sich unser Status langsam ändert und dass wir eine Basis haben, auf der wir aufbauen können. Ich glaube, diese WM ist nur der Anfang.

Eines ist auf jeden Fall klar: Die Reggae Girlz sind kein normales Team. Niemand hat damit gerechnet, dass sie sich überhaupt qualifizieren, und unsere Starstürmerin, Khadija Shaw, hat mehr Tore erzielt (19) als jede andere Spielerin der 144 Länder, die an der Qualifikation für Frankreich teilgenommen haben.

Ich kann kaum in Worte fassen, wie wichtig dieses Turnier für die Frauen und Mädchen in Jamaika und der gesamten Region ist. Dass wir die erste Mannschaft aus der Karibik sind, die bei einer WM dabei ist, wird für mehr Interesse und Popularität sorgen. Das zieht dann mehr Chancen, mehr Beteiligung und eine positive Entwicklung des Fussballs nach sich. Wir spüren das schon jetzt, denn einige jamaikanische Spielerinnen haben dieses Jahr schon Profi- und Ausrüsterverträge unterschrieben.

Die Teilnahme der Reggae Girlz an der WM in Frankreich ist ein Hoffnungsschimmer und ermutigt Frauen in allen Entwicklungsländern. Außerdem erfüllen sich dadurch die Träume aller jamaikanischen Spielerinnen – und auch meine eigenen. Die WM-Teilnahme zeigt, dass all die harte Arbeit und das Engagement der letzten Jahre sich endlich auszahlen. Bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ können wir die Früchte ernten.