Freitag 12 April 2019, 09:38

Herdman über das WM-Duell seiner beiden früheren Teams in Frankreich

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  • John Herdman nahm mit Kanada und mit Neuseeland an der WM teil

  • Die beiden Teams treffen 2019 in Frankreich erneut aufeinander

  • Herdman blickt zurück auf 2015 und prophezeit ein völlig offenes Titelrennen 2019

2019 in Frankreich wird die erste FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ seit 2003, die John Herdman lediglich als Zuschauer verfolgt.

Die Turnierteilnahmen waren die Höhepunkte in der Karriere des aus England stammenden Trainers, von seinem Debüt auf der Trainerbank mit gerade einmal 32 Jahren bis hin zur Teilnahme mit Gastgeber Kanada vor vier Jahren. Herdman ist mittlerweile Trainer der kanadischen Männer-Nationalmannschaft und erwartet voller Spannung die "wohl offenste Frauen-WM aller Zeiten."

Und natürlich wird er dabei seine beiden früheren Teams Neuseeland und Kanada ganz besonders genau beobachten. Die beiden Konkurrenten treffen in zwei Monaten in Gruppe E aufeinander. Herdman sprach schon jetzt mit FIFA.com über die Erfolgsaussichten der Kiwis und der Canucks.

"Ein großes Lob für Neuseeland: mit Tom Sermanni hat man einen großartigen Trainer geholt", so seine Einschätzung. "Und zudem rücken dort wirklich viele Talente nach – das hat die FIFA U-17-Frauen-WM vor Kurzem ja gezeigt.

Für mich ist Neuseeland auf jeden Fall ein Team für die Zukunft. Das Überstehen der Gruppenphase wäre eine tolle Leistung dieses Teams. Und mit Tommy am Ruder kann man nie wissen. Er schafft es einfach immer, das Beste aus den Leuten herauszuholen.

Kanada peilt auf jeden Fall größere Erfolge an. Wenn ich auf dieses Team und auf die vielen anderen Spitzenteams schaue, ist alles völlig offen. Es gibt mindestens zehn Teams, die es bis ins Halbfinale schaffen können, dazu gehört auch Kanada. Das konnte man in der Vergangenheit nicht sagen. Das Turnier ist viel unberechenbarer als früher und das ist einfach fantastisch für den Frauenfussball."

Herdmans Karriere-Highlights

2007: Neuseeland ist mit Herdman erstmals seit 1991 wieder bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ dabei 2011: Die Football Ferns holen ihren ersten WM-Punkt 2012: Gewinn der Bronzemedaille mit Kanada beim Olympischen Fussballturnier der Frauen von London 2015: Kanada erreicht das WM-Viertelfinale 2016: Erneuter Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen von Rio de Janeiro

Herdman ist zwar vom Potenzial der bevorstehenden WM begeistert und empfindet möglicherweise sogar etwas Wehmut, weil das Turnier nun ohne ihn stattfindet. Doch wenn man hört, welche Erinnerungen er an die Partie zwischen Neuseeland und Kanada 2015 hat, dann wird schnell klar, dass der Coach nicht bedauert, beim bevorstehenden Duell in Grenoble nicht dabei zu sein.

"Ich habe dieses Spiel wirklich gehasst und um ehrlich zu sein auch gefürchtet", so seine Erinnerung. "Ein Remis gegen Neuseeland war so ziemlich das Schlimmste, was passieren konnte, denn der Druck auf dem Team und auf mir selbst war bei dieser WM ohnehin schon enorm hoch. Den zusätzlichen Druck, gegen mein früheres Team anzutreten, hätte ich wirklich nicht gebraucht. Mir war klar, dass die Spielerinnen alles tun würden, um gegen ihren Ex-Trainer zu gewinnen."

"Am Ende blieb es beim 0:0. Es war ein schweres Spiel, genau wie erwartet. Letztlich war ich mit dem Ergebnis sogar zufrieden. Denn im Hintergrund hatte stets die Angst vor einer Niederlage gestanden. Auf jeden Fall habe ich diese Partie kein bisschen genossen."

Tatsächlich kann man bei Herdmans Erinnerungen an 2015 ein leichtes Bedauern heraushören. Er ist zwar stolz darauf, dass er mit dem kanadischen Team "die Herzen des gesamten Landes erobert" hat, doch sein Urteil über den Turnierverlauf und das Ausscheiden des Gastgeberteams schon im Viertelfinale ist unmissverständlich.

"Das war eine verpasste Gelegenheit", so seine Einschätzung. "Wir waren alle am Boden zerstört. Eine WM ist eben etwas ganz anderes als andere Turniere. Es ist alles viel schwerer. Wir hatten Teampsychologen dabei und haben alles getan, um das richtige Umfeld zu schaffen und den Druck vom Team fernzuhalten. Aber das ist bei einer WM kaum möglich.

"Die wichtigste Lektion, die ich dort gelernt habe, war, dass sich die Fans von wirklich kreativem Fussball begeistern lassen wollten. Doch in diesem Umfeld unter derart hohem Druck ist es sehr schwierig, Kreativität zu bieten, denn der natürliche Instinkt lautet erst einmal Absicherung. Das ist das Wichtigste, das ich anders machen würde. Das hätte ich wohl damals schon als Trainer tun sollen – dafür sorgen, dass Kanada kaum zu bezwingen ist und dann selbst zum Erfolg kommt, so ähnlich wie die Franzosen bei der Männer-WM in Russland. Rückblickend war wohl die Psychologie das Problem."

Eine gewohnt offene Feststellung von einem bekanntermaßen freimütigen Trainer, der nie ein Blatt vor den Mund nimmt. Herdman ist zwar nun in der Rolle des Zuschauers, doch er wird das Turnier in Frankreich ganz sicher intensiv verfolgen und auch dabei mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg halten.