Samstag 08 Juni 2019, 13:50

Kerr: "War noch nie besser auf ein Turnier vorbereitet"

  • Sam Kerr im Vorfeld der WM in Torlaune

  • Die neu ernannte Spielführerin Australiens hofft in Frankreich auf Höhenflug

  • "Es ist gut, dass die Erwartungen an uns hoch sind. Wir sind da, wo wir immer sein wollten."

Von Peter Smith, Teamreporter Australien

Sam Kerr hat sich seit der letzten FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ in den Reihen Australiens von einem vielversprechenden Talent zu einem anerkannten Weltstar entwickelt.

Kerrs Torausbeute hat in dieser Zweit nahezu galaktische Ausmaße angenommen. Innerhalb von zwei Jahren erzielte sie 23 Treffer für die Matildas – das entspricht im Durchschnitt fast einem Tor pro Spiel. Auf Vereinsebene bot die 24-Jährige eine ähnlich beeindruckende Leistung. In den beiden letzten Spielzeiten der NWSL- und W-League holte sie jeweils die Torjägerinnenkrone.

Australien hat in den letzten beiden Jahren vielversprechende Ergebnisse erzielt. Beim zweimaligen Viertelfinalisten ist man daher optimistisch, bei der aktuellen WM-Auflage die beste Leistung aller Zeiten abliefern zu können.

Vor dem Auftaktspiel der Matildas gegen Italien in Gruppe C sprach FIFA.com mit Kerr über ihre jüngste Ernennung zur Spielführerin, die hohen Erwartungen für die WM, ihren legendären Rückwärtssalto beim Torjubel und vieles mehr.

Kerrs Torausbeute (seit 2017) Australien: 23 Tore in 27 Spielen NWSL: 39 Tore in 48 Spielen W-League: 39 Tore in 36 Spielen

Sie waren in den letzten paar Jahren ungemein erfolgreich. Was hat sich seit der WM 2015 in Kanada geändert? Für mich ist enorm wichtig, dass ich von Verletzungen verschont geblieben bin. Vor der letzten WM hatte ich mit vielen Verletzungen zu kämpfen. Ich bin professioneller geworden, habe gelernt, besser auf meinen Körper zu achten und weiß jetzt, was gut für ihn ist und was nicht. Ich schieße jetzt offensichtlich mehr Tore, aber ich glaube nicht, dass sich außer meiner Einstellung und dem achtsameren Umgang mit meinem Körper wirklich viel geändert hat. Ich wünschte, da steckte mehr dahinter, aber gleichzeitig finde ich es auch toll, dass ich mich einfach ganz natürlich zur Torjägerin entwickelt habe. Ich habe mich lange nicht mehr so gut für ein Turnier vorbereitet gefühlt.

Ist Ihr Rückwärtssalto beim Torjubel eine spontane Sache? Das ist etwas ganz Impulsives. Bei ganz wichtigen Spielen oder tollen Toren kommt es einfach über mich. Die Leute fragen mich immer, wann ich das wieder mache, aber ich weiß das eigentlich nie. Das ist eine ganz emotionale Angelegenheit.

Erinnern Sie sich noch, wie Sie sich vor Ihrer ersten WM-Teilnahme gefühlt haben? War es anders als diesmal? Ich war wirklich super nervös, total aufgeregt, und jede Kleinigkeit brachte mich aus dem Gleichgewicht. Mit 17 war das alles ziemlich überwältigend, besonders in Deutschland, wo der Fussball eine so wichtige Rolle spielt. So einen Wirbel hatte ich noch nie erlebt. Es fühlte sich fast so an, als würde ich die Chance verpassen, das alles zu genießen. Ich musste mir erstmal der Tatsache bewusst werden, dass ich bei einer WM war. Jetzt, bei meiner dritten Weltmeisterschaft, weiß ich, welche Ausmaße das Ganze annehmen wird. Es ist eine unglaubliche Ehre, und ich möchte das Turnier in vollen Zügen genießen. Ich werde an Spieltagen trotzdem noch nervös sein, aber jetzt habe ich das Gefühl, meine Nerven im Griff zu haben. Ich werde kein nervöses Wrack mehr sein, sondern die Anspannung in etwas Positives ummünzen.

Was gefällt Ihnen daran, Spielführerin zu sein, und hat dieses Amt Ihren Blickwinkel verändert? In Bezug auf das Team hat sich mein Blickwinkel nicht verändert. Es macht mir wirklich Spaß, eng mit [Trainer] Ante [Milicic] zusammenzuarbeiten. Ich finde, dass ich viel über mich selbst, über das Team und über die Spielweise gelernt habe. Ich genieße es wirklich, engeren Kontakt zum Trainer zu haben. Ich wollte schon immer gern eine Führungsrolle übernehmen, aber ich glaube nicht, dass ich schon bereit dafür war, als ich die Spielführerinnenbinde bekam. Ich musste erst in die Rolle hineinwachsen. Die engere Verbindung zwischen mir und dem Trainer hat mir von Anfang an gut gefallen.

Vielleicht zum ersten Mal gibt es zu Hause in Australien gewisse Erwartungen an die Matildas. Hat diese Tatsache Einfluss auf das Team? Natürlich entsteht dadurch etwas Druck, und du möchtest die Leute nicht enttäuschen. Es ist gut, dass die Matildas Gesprächsthema sind und dass gute Leistungen von uns erwartet werden. Wir sind jetzt da, wo wir immer hin wollten. Für uns ist damit ein Traum wahr geworden, und wir hoffen, alle stolz machen zu können. Wir haben wirklich Glück, weil wir spüren, dass wir zu Hause von allen unterstützt werden. Das ist im Profisport eine Seltenheit.

Haben Sie mit Ihren Teamkameradinnen bei den Chicago Red Stars viel über Australiens Chancen bei der WM gesprochen? Oder darüber, ob Australien mit den USA mithalten kann? Es gab schon ein paar Neckereien, vor allem zwischen mir und den amerikanischen Spielerinnen, aber wirklich nur im Guten. Ich glaube, wenn die Spielerinnen von Chicago die Wahl hätten, würden sie alle die USA und Australien im Finale sehen wollen. Darauf hoffen wir natürlich alle. Letztendlich will jede nur, dass es für ihre Teamkameradinnen gut läuft, und alle haben mir den Rücken gestärkt.