Dienstag 21 Mai 2019, 10:26

Heinrichs: "Das wird die schnellste Frauen-WM aller Zeiten"

April Heinrichs, eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Frauenfussballs, wird die Technische Studiengruppe (TSG) der FIFA für die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2019™ leiten. Kürzlich sprach Sie mit FIFA.com über ihre Erwartungen an das wichtigste Turnier des Frauenfussballs.

"Der Frauenfussball entwickelt sich sehr schnell, und Frankreich ist ein perfekter Austragungsort für die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft. Wir erwarten viele Fans aus Europa und dem Rest der Welt, und die Zeitzone verspricht hohe Zuschauerzahlen. Frankreich hat eine enorm starke Mannschaft und letztes Jahr auch die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft gewonnen. Das wird also eine tolle Sache werden. Ich bin überzeugt, dass selbst Leute, die jetzt gar nicht vorhaben, das Geschehen zu verfolgen, am Ende den Fernseher einschalten oder ins Stadion gehen werden. Die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft wird Frankreich in ihren Bann ziehen“, meint Heinrichs, die als Spielführerin mit den USA bei der ersten Auflage der FIFA Frauen-WM 1991 in China den Titel errang, 2000 das Amt der Cheftrainerin übernahm und das Team bei den Olympischen Spielen 2000 zur Silber- und 2004 gar zur Goldmedaille führte.

Welche Spielweise erwarten Sie bei der WM?

Meiner Meinung nach wird dies die schnellste Frauen-WM aller Zeiten werden, insbesondere mit Blick auf das Umschalten von Abwehr auf Angriff oder zwischen dem Spiel mit und ohne Ball. Hier spielen technische und taktische Aspekte eine wesentliche Rolle. Wir erwarten viele Anpassungen, und ich glaube, dass taktische Entscheidungen am Ende sehr wichtig sein werden. Die Teams werden die Initiative ergreifen, proaktiven Fussball spielen und versuchen, so viele Tore wie möglich zu schießen, um zu gewinnen.

Worin werden im Vergleich zur WM 2015 in Kanada die grössten Unterschiede liegen?

Die Frauen-WM in Kanada war fantastisch. Es war die erste Auflage mit 24 Teams, und wir haben von allem etwas gesehen. Es gab Gruppen, wie die von Kanada, in denen nicht gerade viele Tore fielen. Ich glaube aber, dass alle Trainer dieses Jahr in Frankreich etwas stärker die Initiative ergreifen und versuchen werden, Torchancen herauszuarbeiten.

Mit Chile, Jamaika, Schottland und Südafrika sind in Frankreich vier Turnierneulinge dabei. Ist dies ein Beleg dafür, dass der Frauenfussball weiter Fortschritte macht? Und was erwarten Sie von diesen Teams?

Es zeigt tatsächlich, dass der Frauenfussball rasante Fortschritte macht. Für Chile, Jamaika, Schottland und Südafrika wird die WM eine tolle Erfahrung sein, von der sie im eigenen Land profitieren werden. Einige Debütanten werden wohl eher vorsichtig an die Sache herangehen, während wir bei anderen einen offenen Schlagabtausch erwarten können. Sie alle sind verdientermaßen bei der Endrunde dabei.

Gibt es junge Spielerinnen, von denen Sie glauben, dass sie in Frankreich glänzen werden?

Bei Japan, Spanien, Deutschland, Frankreich und den USA haben Spielerinnen den Sprung von den U-20-Nationalteams der Jahre 2016 oder 2018 in die A-Auswahl geschafft. Es wird interessant sein, ihre Auftritte zu verfolgen. Besonders Spanien, Japan und vielleicht auch Deutschland haben ihre Kader verjüngt. Das will schon etwas heißen, wenn man bedenkt, dass es für junge Spielerinnen extrem schwierig ist, einen Platz im A-Nationalteam ihres Landes zu ergattern. Insgesamt dürfen wir eine spannende Mischung aus Routiniers und Nachwuchstalenten erwarten.

Welchen Einfluss werden Video-Schiedsrichterassistenten (VAR) auf das Geschehen haben?

In der Regel fallen bei jedem Turnier fünf bis zehn strittige Tore. Dies wird nun nicht mehr passieren. Obwohl im Frauenfussball bislang mit Ausnahme einiger Ligaspiele wenig simuliert wurde, wird der Einsatz des VAR dafür sorgen, dass alle ehrlich bleiben. Das ist eine sehr gute Sache, und der Einsatz lohnt sich. Wenn du früher bei der Frauen-WM ein reguläres Tor erzielt hast, das dann fälschlicherweise aberkannt wurde, warst du total enttäuscht, denn womöglich war es das einzige Tor, das dir je auf dieser großen Bühne gelang. Jetzt freuen wir uns darüber, solche Situationen mithilfe des VAR richtig auflösen zu können.

Sie waren schon Spielführerin, Nationaltrainerin und technische Direktorin. Wie würden Sie Ihre Rolle als Leiterin der TSG einstufen?

Ich habe unglaubliches Glück und sehe dies als berufliche Ehre. Es wird nie langweilig, bei Frauen-Weltmeisterschaften dabei zu sein, weil du jedes Mal ein neues Gastgeberland erlebst, neue Spielerinnen entdeckst und neue Ansätze in Abwehr und Angriff siehst – und dabei arbeitest du mit fantastischen und taktisch geschulten Menschen aus anderen Ländern zusammen. Ich kann es kaum erwarten.

Inwiefern können außer den 24 Trainern der Turnierteilnehmer auch andere Trainer vom technischen Bericht der TSG profitieren?

Ich halte es für sehr wichtig, jede Frauen-Weltmeisterschaft zu dokumentieren. Dabei geht es um Schulungsmaterial, das Trainern auf allen Ebenen des Fussballs zur Verfügung gestellt werden kann. So können Statistiken über Dinge wie die Anzahl der Tore, die durchschnittliche Laufdistanz und die Positionen erstellt werden. Gleichzeitig produzieren wir aber auch hochwertige Videoclips, die in den kommenden Jahren als inspirierendes Anschauungsmaterial dienen können.