Donnerstag 25 Juni 2020, 08:00

Giuliani und der WM-Traum der "Ragazze Mondiali" 

  • Italien war die große Entdeckung der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2019™

  • Torfrau Laura Giuliani zählte zu den Stars des Teams

  • Sie blickt auf den Auftritt der Azzurre bei der "WM der Torhüterinnen" zurück

"Ich habe von meinen Teamkameradinnen sehr positive Schwingungen empfangen", meint Laura Giuliani mit einem breiten Lächeln.

Die Italienerinnen kehrten zum ersten Mal seit 20 Jahren auf die Weltbühne zurück und hatten im Vorfeld von Frankreich 2019 wenig Aufsehen erregt. Doch sie waren gut vorbereitet, und bei dieser WM sollte ihre Stunde schlagen. Italien war die große Überraschung des Turniers. Die Schützlinge von Milena Bertolini siegten gegen Australien, fuhren einen Kantersieg gegen Jamaica ein, brachten Brasilien in Bedrängnis und ließen China keine Chance. Im Viertelfinale wurden die Ragazze Mondiali schließlich vom späteren Finalisten Niederlande von ihrer Wolke geholt (2:0). Doch zu diesem Zeitpunkt waren sie schon in aller Munde.

"Wir hatten das Gefühl, dass wir wirklich etwas erreichen können. Niemand hat über das Ergebnis nachgedacht, sondern wir haben alle den Augenblick gelebt und wollten unsere Sache so gut wie möglich machen. Wir waren praktisch in einer Blase und ganz auf das Training und die Spiele konzentriert. Erst als wir nach Hause zurückkehrten, wurde uns bewusst, was wir da geleistet hatten. Man sagte uns: 'Ihr habt ja keine Ahnung, was in Italien los ist. Alle Welt spricht über euch'. Als wir dann ankamen, war es einfach unglaublich.

Seitdem ist ein Jahr vergangen, aber Giulianis Erinnerungen sind keinesfalls verblasst. "Wenn ich darüber spreche, werde ich immer noch emotional", meint sie. Wir haben die Torfrau von Juventus Turin und des italienischen Nationalteams gebeten, ihre Erinnerungen für FIFA.com noch einmal aufleben zu lassen. So hat sich dieses Traumturnier der Azzurre in ihren Augen abgespielt.

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Empfang in Valenciennes

"Das erste Bild, das ich vor Augen habe, wenn ich an die WM denke, ist unsere Ankunft in Valenciennes. Im Hotel wurde uns ein super Empfang bereitet. Ich weiß noch, dass ich mir gesagt habe: 'Mein Gott, hier sind wir nun. In wenigen Tagen starten wir in die WM, und es könnte genial werden.'" Die Italienerinnen bestritten drei ihrer fünf Partien in der nordfranzösischen Stadt.

Auftakt nach Maß: Aufholjagd und Sieg gegen Australien (2:1)

"Wenn ich ein Spiel hervorheben soll, dann ist es dieses. Es war etwas Besonderes. Unser erstes WM-Spiel. Es hieß, dass Australien ein sehr kniffliger Gegner sei und dass es schwer werden würde. Wir hörten nur negative Dinge, aber innerhalb des Teams gingen wir sehr positiv an die Sache heran. Wir waren hoch motiviert. Ich weiß noch, dass ich das Spielfeld betreten und mir gesagt habe: 'Vielleicht geht heute was.' Als wir dann 0:1 in Rückstand gerieten, dachte ich: 'Okay, mach dir keine Sorgen. Wir drehen das Ding.' Und so kam es dann auch!"

Ihr bester Auftritt: im Achtelfinale

"Ich glaube, mein bestes Spiel habe ich gegen China abgeliefert. Ich hatte zwar nicht besonders viel zu tun, aber die Chinesinnen hatten einige Chancen und ich musste auch einige Male herauslaufen. Jedes Mal, wenn ich aktiv werden musste, fühlte ich mich gut vorbereitet. Außerdem hat mich während der ersten Halbzeit die Sonne geblendet, aber ich weiß noch, dass ich wirklich die ganze Zeit hoch konzentriert war."

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Die WM der Torhüterinnen?

"Ich finde, hier geht es nicht um eine bestimmte Torhüterin, sondern das Niveau war generell sehr hoch. Sari Van Veenendaal hat ein super Turnier gespielt und die Niederlande mit ihren Paraden ins Finale katapultiert. Christiane Endler ist eine Spitzentorfrau und es ist schade, dass Chile nach der ersten Runde ausgeschieden ist. Ich erinnere mich noch an sehr gute Paraden der Torhüterinnen von England, Kamerun, Argentinien und Schottland, und ich glaube, ich habe noch nie eine so gute Torhüterin gesehen wie die Japanerin Ayaka Yamashita. Sie ist einfach unglaublich."

Giuliani selbst war eine der besten Torhüterinnen des Turniers und konnte beispielsweise gegen Brasilien (0:1) mit besonderen Glanzleistungen aufwarten. An diesem Tag kassierte sie zwar ein Elfmetertor, ließ aber ansonsten nichts zu. Ihre Glanzparade gegen Debinha in der ersten Halbzeit zählt zu ihren Favoriten. "Ich erinnere mich noch daran, als sei es gestern gewesen. Es stand 0:0, und ich glaube, das war eine der besten Paraden, die ich je abgeliefert habe."

Für die italienische Torhüterin gibt es eine ganz einfache Erklärung für den Leistungsaufschwung. "Dass die großen Klubs in den Frauenfussball eingestiegen sind, hat sich sehr positiv auf das Niveau ausgewirkt, und die Position der Torhüterin gehört zu denen, die sich am stärksten weiterentwickeln. Bei der letzten WM im Jahr 2015 hatte Juve beispielsweise noch nicht einmal ein Frauenteam. Das wurde erst 2017 eingerichtet. Natürlich musst du selbst deinen Beitrag leisten, aber diese Klubs stellen dir auf der Ebene von Mitteln und Planung alles zur Verfügung, wovon du träumen kannst. Du bekommst alles, was du brauchst, um das Beste aus dir herauszuholen."

Und jetzt?

In Frankreich wurden große Hoffnungen geweckt, und nun möchten Giuliani und ihre Teamkameradinnen aus dem italienischen Nationalteam nur zu gern ein weiteres großes Turnier bestreiten. Im Augenblick stehen sie im Qualifikationswettbewerb für die auf 2022 verschobene EURO, und die WM 2023 zeichnet sich ebenfalls am Horizont ab. Als Neulinge gelten sie inzwischen jedoch nicht mehr.

"Es ist immer einfacher, gute Leistungen zu bringen, wenn du aus dem Nichts kommst und nicht unter Druck stehst. Wenn von dir erwartet wird, dass du deine Leistungen verbesserst, wird es schon komplizierter. Aber wir steuern mit derselben Spielerinnenbasis auf das nächste große Turnier zu. Daher verfügen wir auch über die Erfahrung und Charakterstärke, die erforderlich sind, um zu bestehen und den Augenblick zu genießen, auch wenn es schwieriger wird."