Donnerstag 27 Juni 2019, 09:46

"Fussball als multiples Sprintspiel" - Leistungssteuerung bei den DFB-Frauen

  • Individualisierte Trainingssteuerung durch GPS-Tracking beim DFB-Team

  • Direkte Eingriffe ins Training

  • Live-Blog zum Viertelfinale #GERSWE

Von Steffen Potter, Teamreporter Deutschland

Daten und ihre Analyse sind aus dem heutigen Fussballl nicht mehr wegzudenken. FIFA.com traf sich mit Deutschlands Assistenztrainer Patrik Grolimund zu einem Gespräch über dieses Thema.

Die DFB-Frauen erhalten in Frankreich bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2019™ vor allem aus zwei Quellen ihre Daten: Zum einen greifen sie teamintern auf ein GPS-Tracking zurück, das Lauf- und Sprintleistungen der Spielerinnen erfasst, zum anderen erhalten sie von der FIFA nach jedem Spiel einen sogenannten Match Report, wo sich neben taktischen Fakten auch ein Fitness Report findet.

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"Das ist für uns besonders interessant, denn dort kann man sich mit den Daten des Gegners vergleichen, auf die wir normal ja keinen Zugriff haben", erläutert Grolimund. Der Baseler arbeitete bereits bei der Schweizer Frauen-Nationalmannschaft mit Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg zusammen. "Wir sind im Achtelfinale gegen Nigeria [3:0] zum Beispiel zwölf Kilometer mehr gelaufen als der Gegner."

Dabei sind es gar nicht einmal so sehr die Laufleistungen, die in der Öffentlichkeit gerne zum Vergleich herangezogen werden, auf die der DFB-Trainerstab seine Aufmerksamkeit richtet. Es geht vor allem um Sprintwerte, Spitzengeschwindigkeiten und wie oft und zu welchem Zeitpunkt des Spiels diese Sprints wiederholt werden können.

"Das Fussballspiel als solches ist auf höchster Stufe sehr intensiv. Fussball ist ein multiples Sprintspiel. Ich bin permanent in Sprints unterwegs, muss mich schnell erholen, muss wieder maximale Beschleunigung erreichen und abbremsen", erläutert der 38-Jährige. "Es ist völlig egal, ob wir da über den Jugendbereich, Männer oder Frauen sprechen. Die Auswirkungen auf den Organismus sind vergleichbar."

Es sind dynamische Läufe, die im Fussball eine Verteidigung durchbrechen können, sie durcheinander bringen oder auch dafür sorgen, dass sich zum Beispiel Abseitslinien verändern und dadurch Raum für andere Spieler geschaffen wird. "Nicht nur der Zeitpunkt ist wichtig, sondern auch das Tempo. Wenn ich mit 30 km/h auf eine Abwehr zulaufen, dann löse ich etwas aus."

Seit April – also mit dem Testspielsieg in Schweden (2:1) – arbeitet die Frauen-Nationalmannschaft mit Unterstützung durch die neu gegründete DFB-Akademie mit diesem GPS-System. "Unser Ziel war es, dass wir die Spielerinnen im Vier- bis Fünftagesrhythmus auf Spielbelastungen vorbereiten. So haben wir das anhand des optimalen Turnierverlaufs geplant und die Belastungsspitzen so auch definiert", so Grolimund weiter.

Die Vorbereitung gemeinsam als Team fiel bei Deutschland kürzer aus als bei anderen Mannschaften, dafür wurden Spielerinnen mit individualisierten Plänen ausgestattet. Der Assistenztrainer lobt den Leistungswillen der deutschen Spielerinnen, die ihre Werte im Turnierverlauf sogar noch steigern konnten.

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Dabei werden Belastungen mittlerweile per Tablet live in fast jedem Training gemessen – und Anpassungen vorgenommen. "Im Mittwochstraining wollten wir im Elf-gegen-Elf in eine Spielbelastung gehen, da will sich jeder aufdrängen und man hat positionsspezifisch die Läufe, die die jeweilige Spielerin dann auch braucht", sagt Grolimund. "Unsere Kapitänin Popp war dabei so motiviert, dass sie alles nahezu maximal gemacht hat, so dass wir sie nach 15 Minuten auf eine andere Position genommen haben, wo sie keine langen Distanzsprints mehr hatte. Wir passen das sehr schnell an, wissen, dass uns solche Szenarien im Training erwarten."

"Mit der richtigen Belastungssteuerung, was wir 'Load' nennen, ist man leistungsfähiger und weniger anfällig für Verletzungen. So wird anhand der Daten bei Spielen schon mal diskutiert, ob eine Spielerin für eine Einwechslung die erste oder zweite Option ist", heißt es weiter. Dabei lässt man sich allerdings nicht nur von den Daten leiten. "Der Teamprozess ist mindestens so wichtig, es gibt Einheiten, da ist es von Vorrang, dass alle dabei sind, auch wenn es belastungstechnisch vielleicht nicht das Beste ist, wenn Spielerin X diese fünf Minuten auch noch macht. Es ist immer ein Abwägen."

Im Spiel selbst verzichten die DFB-Frauen bewusst auf die Live-Nutzung der Daten. "Da möchten wir uns vor allem auf das verlassen, was wir selber wahrnehmen. Wer weiß, in zwei Jahren sieht man das aber dann vielleicht anders", schließt Grolimund diesen spannenden Einblick in die Leistungssteuerung.

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Tickets Fans, die die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2019™ vor Ort in Frankreich erleben möchten, können für die verbleibenden Spiele die noch erhältlichen Tickets online unter de.fifa.com/tickets erwerben, ebenso wie bei den Ticket-Verkaufsstellen direkt an den Stadien.