Donnerstag 04 Dezember 2014, 11:27

Bergeroo, der Hüter der wichtigen Dinge

Philippe Bergeroo ist stets auf der Hut. Schon als ehemaliger Nationaltorwart gestattete er sich auf der Linie selten eine Unaufmerksamkeit. Inzwischen ist er Trainer der französischen Frauen-Nationalmannschaft, und er ist nach wie vor bestrebt, immer wachsam zu bleiben. Nur dass er heute nicht mehr darauf achten muss, dass sein Kasten sauber bleibt, sondern eher, dass die wichtigen Dinge nicht aus dem Blick geraten. Ganz besonders der Ehrgeiz und die Motivation der Bleues beispielsweise. Aber auch die Bedeutung seiner Lieblingsposition im aktuellen Fussball, sei es in der Männer- oder der Frauendisziplin.

Wenn folglich die Bilanz der Französinnen in der Qualifikation für die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Kanada 2015™ erwähnt wird, hütet sich Bergeroo, von Perfektion zu sprechen. Stattdessen begnügt er sich damit, sie als zufriedenstellend zu bezeichnen. Dabei eroberte sein Team mit zehn Siegen in zehn Spielen und mit 54:3 Toren in seltener Überlegenheit das Ticket nach Kanada. "Es gab drei Mannschaften, die sich hätten qualifizieren können, auch wenn wir der Favorit waren", sagt er im Gespräch mit FIFA.com abwehrend. "Wir wussten, dass die Partie in Österreich sehr schwer werden würde und wir insbesondere auf Finnland achten mussten. Gewiss, es gab in dieser Gruppe auch schwächere Teams, doch es war wichtig, auswärts keine Punkte zu lassen. Denn in der Qualifikation hätte es auf das Torverhältnis ankommen können. Wir wollten vor allem vermeiden, die Playoffs spielen zu müssen. Denn mit Halbfinale und Finale war es eine sehr schwere Etappe. Die Mädchen haben also ihre Pflicht erfüllt."

Den Kurs halten und bescheiden bleiben Es ist außerdem wichtig, auf dem richtigen Kurs zu bleiben. Dies gelang dem ehemaligen Trainer von Paris Saint-Germain, indem er seine Schützlinge in Testspielen gegen Brasilien oder Deutschland jeweils zu Siegen führte. Auch den traditionellen WM-Favoritinnen aus den USA konnte sein Team in Freundschaftspartien einen harten Kampf liefern. "Das Wichtige ist, dass wir uns den großen Teams annähern", sagt er wenige Tage vor der Endrundenauslosung für Kanada 2015. "Ich will mich mit den größten Mannschaften messen, um zu sehen, wo wir stehen. Wir nähern uns an. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir müssen bescheiden bleiben. Denn bisher hat Frankreich noch nie etwas gewonnen."

Ganz im Gegensatz zum Trainer selbst, der als Assistent von Aimé Jacquet in Frankreich 1998 den WM-Pokal holte, nachdem er in der Auflage von 1986 als dritter Torhüter im Halbfinale gescheitert war. Als ehemaliger Schlussman weiß Bergeroo wenige Wochen vor der Verleihung des FIFA Ballon d’Or auch um die bisweilen schwierige Beziehung zwischen den Torhütern und den individuellen Auszeichnungen. "Es ist sehr schwer für einen Torhüter, diese Auszeichnung zu gewinnen", gibt er zu bedenken, obwohl Manuel Neuer neben Lionel Messi und Cristiano Ronaldo zu den drei Finalisten zählt. "Sehr häufig sieht man nur die schlechten Seiten am Torwart, wenn er Tore kassiert. Wenn er einen Fehler macht, kann man das hinten nicht mehr ausbügeln. Doch ich habe einen deutschen Super-Torwart gesehen, der wirklich außergewöhnlich war. Es wäre also gut, diesen Posten aufzuwerten. Er verdient einen anderen Blick auf die Leistungen, die dort geboten werden."

Ausbildung und Koordination Ausgerechnet im Frauenfussball übrigens hat Nadine Angerer - zufällig ebenfalls Deutsche - 2013 gezeigt, dass auch eine Schlussfrau zur FIFA-Weltfussballerin gewählt werden kann. Sie hat bei dieser Gelegenheit das Klischee widerlegt, dass die Torhüterinnen noch der Schwachpunkt im Frauenfussball seien. Gleichwohl räumt Bergeroo ein, dass es in diesem Bereich noch einiges zu tun gibt. "Bei uns gibt es eine oder zwei sehr gute Torhüterinnen, doch es ist wahr, dass es dahinter schwierig wird", gibt er zu. "Ich denke, man muss ein wenig mehr an der Entdeckung arbeiten. Vor allem darf man die Mädchen nicht von Beginn an auf die Torhüterposition spezialisieren."

Der französische Nationalcoach weiß, wovon er spricht, denn er selbst spielte bis zu seinem 16. Lebensjahr Rugby. Nur durch Zufall kam er zum Fussball, als er in einem Nachbarschaftsspiel in seinem Geburtsort Saint-Jean-de-Luz einen verletzten Keeper ersetzte. "Man muss den Spielerinnen zunächst die allgemeine Koordination geben", führt er aus. "Das können zwei Bewegungen in einer anderen Sportart sein. Man darf sich nicht zu sehr auf das Spezifische konzentrieren. Ich kann den auszubildenden Torhüterinnen den Rat geben, dass sie sich zuerst auf anderen Positionen oder in anderen Disziplinen ausprobieren sollten. Und wenn sie hinsichtlich der Koordination bereit sind, kann man sie im Tor einsetzen. Das ist es, woran es momentan am meisten fehlt: die Koordination", sagt er zum Abschluss. Eine Lektion, die man sich merken sollte.