Wilkinson lässt sich nicht unterkriegen

Innerhalb von nur drei Tagen stürzte Kanada vom höchsten Gipfel in ein Tal der Tränen. Das strahlende Lächeln, dass die Canucks am 13. August in São Paulo nach dem Viertelfinale des Olympischen Fussballturniers der Frauen Rio 2016 zur Schau trugen, wich nach der 0:2-Halbfinalniederlage gegen Deutschland einem tieftraurigen Schluchzen. Wie die nach dem Schlusspfiff am Boden zerstörte Ashley Lawrence sind viele ihrer Teamkameradinnen in ihrer Verzweiflung buchstäblich zusammengebrochen. Obgleich ebenfalls niedergeschlagen, sind es in einer solchen Situation die erfahrenen Spielerinnen, die die Jungen trösten. Die Linksverteidigerin Rhian Wilkinson ist eine von ihnen.

"Deutschland ist eine großartige Mannschaft, sie haben unsere Pläne durchkreuzt. Es hat uns in allen Belangen an der Präzision gefehlt. Sie haben verdient gewonnen, aber wir haben trotzdem Grund, sehr enttäuscht zu sein. Ich würde sogar sagen, dass wir traurig sein müssen. Wir sind Wettkämpferinnen. Es ist sehr hart, ein solches Spiel zu verlieren und Gold abschreiben zu müssen", betont sie im Gespräch mit FIFA.com. "Aber morgen müssen wir die Maschine unbedingt wieder anwerfen. Wir sind nicht für einen vierten Platz hierhergekommen. Wir sind hier, weil wir eine Medaille wollen. Heute Abend weinen wir und morgen greifen wir wieder an. Wir haben keine Wahl."

Es ist die Erfahrung, die aus ihr spricht. Die 34-jährige Wilkinson ist nur wenige Monate jünger als die älteste Akteurin des kanadischen Teams, Melissa Tancredi. Mit 180 Länderspielen liegt sie in der Liste der Rekordnationalspielerinnen ihres Landes auf Rang drei. Sie hat seit ihrem Länderspieldebüt 2003 wirklich fast alles erlebt - unter anderem zwei Olympische Spiele und vier FIFA Frauen-Weltmeisterschaften. Sie weiß besser als jede andere, dass im Fussball zwischen Lachen und Weinen nur ein kleiner Schritt liegt. Der Beweis:

Erinnerung an London Diesen Tweet postete die aus Québec stammende Spielerin nach dem Sieg gegen Frankreich. Doch unabhängig davon hatte sie schon einmal - fast auf den Tag genau vor vier Jahren - nach der größten Enttäuschung dennoch ihren schönsten Moment in der Nationalmannschaft erlebt. Sie gehört zu einer von sechs Spielerinnen im heutigen Kader von John Herdman, die im Halbfinale von London 2012 am großen Rivalen USA gescheitert waren, bevor sie im Spiel um Platz drei Bronze holten. In jener Partie unterlagen die Canucks erst durch einen Treffer der U.S.-Amerikanerinnen in der Nachspielzeit - nachdem sie zuvor drei Mal in Führung gelegen hatten! Dennoch gelang es ihnen danach, sich über diese bittere Niederlage hinwegzutrösten.

"Es stimmt, ich habe in London einen wunderbaren Moment erlebt, zweifellos der größte meiner Karriere", räumt Wilkinson ein, im Gesicht noch die Spuren von der Niederlage gegen die Deutschen wenige Minuten zuvor. "Aber dieses Team ist noch stärker als vor vier Jahren. Davon bin ich überzeugt. Wir müssen und werden alles tun, um erneut eine Bronzemedaille zu gewinnen und das noch einmal zu erleben", bekräftigt sie.

Gegen ganz Brasilien Es wird aber wohl schwer werden, den Worten Taten folgen zu lassen. Angesichts der Verzweiflung einiger Spielerinnen und der Erschöpfung nach einer epischen Schlacht fällt es schwer zu glauben, dass sich die Kanadierinnen noch einmal motivieren können. Doch Wilkinson, die neben ihrer Spielerkarriere inzwischen als Coach an der Universität von Tennessee arbeitet, weiß, wie vorzugehen ist. "Unmittelbar danach, ob als Spielerin oder als Trainerin, ist es immer gleich: Es gibt nichts zu sagen, es gibt keine Worte, die trösten können", erklärt sie. "Ich glaube, man muss den Spielerinnen genug Zeit geben, damit sie die Niederlage verdauen, weinen, mit ihrer Familie reden und sich erholen können. Das ist sehr wichtig. Danach wieder an die Arbeit!"

Denn die Aufgabe ist nicht leicht: Am 19. August in São Paulo warten das brasilianische Team und Tausende von Fans auf die Kanadierinnen. Die Seleçao und ihre Anhänger werden nach dem Ausscheiden gegen Schweden im Maracana keine erneute Enttäuschung erleben wollen. "Es ist ein sehr starkes Team. Sie werden das Publikum hinter sich haben, was in solch wichtigen Spielen natürlich hilft", sagt Wilkinson. "Es gibt weder ein Geheimnis noch eine Zauberformel für den Gewinn einer Medaille: Wir müssen auf dem Platz alles geben. Vielleicht haben wir das gegen Deutschland nicht genug getan", bemerkt sie. "Wir müssen einen starken Abschluss hinlegen, um später nichts zu bereuen. Wir müssen unbedingt etwas holen, für uns und für Kanada."