Dienstag 19 Juli 2016, 12:59

Cristiane: "Wichtigstes Ziel ist der Gewinn der Goldmedaille"

Mit zwölf Toren ist Cristiane die erfolgreichste Torschützin in der Geschichte des Olympischen Fussballturniers der Frauen. Obwohl sie durchaus stolz darauf ist, würde sie diesen Meilenstein ohne zu zögern für eine Goldmedaille eintauschen. Zwei Mal war sie nur eine Stufe davon entfernt, doch in den Endspielen von Athen 2004 und Peking 2008 unterlagen die Brasilianerinnen jeweils den USA.

Die heute 31-jährige Cristiane steht nun vor ihren vierten Olympischen Spielen und hat sich zunächst einmal ein persönliches Ziel gesetzt. "Ich werde versuchen, die Serie fortzusetzen und den Vorsprung auf die Torschützinnen hinter mir auszubauen, obwohl ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, wer sie sind und wie viele Tore sie geschossen haben", räumt die Stürmerin im Exklusiv-Interview mit FIFA.com ein. "Ich bin sehr stolz auf diese Marke, vor allem, weil ich sie sehr jung erreicht habe", ergänzt die Brasilianerin, die ihr erstes olympisches Fussballturnier in Athen im Alter von 19 Jahren bestritt.

"Aber das wichtigste Ziel ist der Gewinn der Goldmedaille", stellt sie klar. "Alles andere wird von diesem Erfolg abhängen. Meine Tore sind nur dann nützlich, wenn sie der Mannschaft helfen."

Die Spiele in Rio 2016 werden für sie zweifellos etwas Besonderes sein, weil sie in ihrer Heimat stattfinden. Ein Umstand, der sich als zweischneidiges Schwert für die Gastgeberinnen erweisen könnte. Einerseits die große Unterstützung, andererseits der hohe Erwartungsdruck.

"Es ist ein gewisses Risiko dabei, aber ein gutes Risiko", betont die in São Paulo geborene Akteurin. "Und auch wenn immer gesagt wird, dass es keine Pflicht ist, die Goldmedaille zu gewinnen: Für mich ist es Pflicht, weil ich schon mehrere Olympische Spiele bestritten, zwei Silbermedaillen gewonnen und Gold so knapp verpasst habe."

"Zu Hause zu spielen und die Fans auf unserer Seite zu haben, ist die gute Seite daran, weil wir Unterstützung haben werden. Aber es gibt auch den hohen Anspruch. Der Brasilianer ist ein wenig ungeduldig. Er feuert dich bis zu einem gewissen Moment an, aber wenn sich die Erwartungen nicht erfüllen, wird er nervös", sagt sie lächelnd.

In Athen und Peking wurde sie mit je fünf Toren zwei Mal mit dem goldenen Ball ausgezeichnet und stand beide Male auch im Endspiel. In London 2012, als Brasilien im Viertelfinale an Japan scheiterte, steuerte sie zwei Treffer bei.

Wir bitten Cristiane, uns ihr Lieblingstor unter diesen zwölf Treffern zu nennen. "Da muss ich nachdenken. Ich glaube, mein schönstes Tor bei Olympia war das gegen Deutschland im Halbfinale 2008. Ich bekam im Mittelfeld den Ball, umspielte drei oder vier Gegnerinnen und schloss mit einem flachen Diagonalschuss ab. Es war das schönste meiner Olympia-Laufbahn", erklärt sie.

Doch auf die Frage, welches Turnier sie am meisten beeindruckt hat, geht sie weiter in die Vergangenheit zurück nach Athen. "2004 war die große Chance in meiner Laufbahn. Ich arbeitete mit René Simoes, und er gab meiner Karriere in mehrerer Hinsicht eine neue Richtung - auf dem Spielfeld und was die Disziplin betrifft. Er hat mir sehr geholfen und an mich geglaubt. Er nahm mich als 19-Jährige mit zu den Olympischen Spielen, obwohl er erfahrenere Spielerinnen hätte mitnehmen können. Er wusste, dass ich talentiert war, und gab mir eine Chance. Durch die Verletzung einer Teamkameradin bot sich die Gelegenheit, in die Startelf zu rücken, und ich nutzte sie. Meine Karriere nahm damals Fahrt auf. Jenes Turnier veränderte meine Karriere."

Die Stürmerin von Paris Saint-Germain, wo sie bis 2017 verlängert hat, weiß um die Bedeutung der großen Turniere als Schaufenster für den Nachwuchs. Und die aktuelle Seleçao steckt voller frischer Hoffnungsträgerinnen. So werden Cristiane und die anderen Routiniers wie Marta oder Formiga (die ihre sechsten Olympischen Spiele bestreitet) nicht müde, ihren jungen Mitstreiterinnen einzubläuen, wie wichtig es ist, auf dem Platz alles zu geben. "Als Einzelspielerin öffnet es dir viele Türen. Die großen Klubs verfolgen das Geschehen aufmerksam und es kann dir einen guten Vertrag in einer großen Liga einbringen. Es ist ein kürzerer Wettbewerb als eine WM, aber intensiver. Das hier ist ein rundum erneuertes Team. Die meisten werden ihre ersten Spiele bestreiten, doch sie sind sehr gut vorbereitet."

Cristiane nutzt die Gelegenheit, um den Scouts ein wenig die Arbeit abzunehmen und hebt einige Namen hervor, die man nicht vergessen sollte: "Da ist Bia Zaneratto, eine Stürmerin, die stark und schnell ist und einen guten Schuss hat. Sie hat sich technisch verbessert und kann den Unterschied machen. Außerdem Andressinha, eine offensive Mittelfeldspielerin. Eine sehr gute und intelligente Spielmacherin, die tolle Pässe spielt. Es sind Mädchen, die in der gegenwärtigen Struktur noch keine sehr große Rolle spielen. Doch man sollte sie aufmerksam beobachten, denn sie sind die Zukunft."

Dabei sollte niemand auf die Idee kommen, dass Cristiane bereits der Vergangenheit angehöre. Der Linksfuß will noch ein Wörtchen mitreden und ist noch lange nicht zufrieden. "Ich kann es nicht dabei belassen, die erfolgreichste Torschützin der Amarelinha zu sein. Ich brauche einen Titel", betont sie.

Die Goldmedaille ist eine offene Rechnung, weshalb sie ihre jungen Mitstreiterinnen zum Äußersten treibt, um Revanche zu nehmen. "Ich sporne die Mädchen jetzt immer an und sage zu ihnen: Wenn die Auswahlen von 2004 und 2008 die Mittel gehabt hätten, über die wir heute verfügen, hätten wir Gold geholt", verrät sie halb scherzhaft, halb mit Bitterkeit. "Es sind viele Dinge erreicht worden, aber vielleicht nicht so schnell, wie wir es uns gewünscht hätten. Noch fehlt es an Anreizen, Struktur und Mitteln. Vielleicht gibt uns der Gewinn einer Goldmedaille diesen letzten Schub", sagt sie zum Abschied.