Montag 09 Dezember 2019, 03:44

Bell sorgt für neue Impulse

  • Colin Bell ist seit Oktober 2019 Cheftrainer der Republik Korea

  • Der Engländer ist der erste ausländische Trainer der Frauen-Nationalmannschaft des Landes

  • FIFA.com hat ihn nach seinen Zielen, Konzepten und Plänen gefragt

Colin Bell zählt zu den erfahrensten Trainern im Frauenfussball und steht nun vor einer Herausforderung, die selbst für einen Mann mit seinem Hintergrund einzigartig ist. Der Engländer hat in den letzten Jahren bereits Teams wie den 1. FFC Frankfurt und die Republik Irland trainiert. Im Oktober 2019 avancierte er nun zum ersten ausländischen Trainer des Frauennationalteams der Republik Korea, und im Februar steht die Qualifikation für das Olympische Fussballturnier der Frauen an.

Kurz vor Beginn der vom ostasiatischen Fussballverband (EAFF) organisierten Ostasienmeisterschaft der Frauen spricht Bell im Exklusivinterview mit FIFA.com über seine Ziele und Zukunftspläne mit dem Team, das derzeit in der FIFA-Frauenweltrangliste den 20. Platz belegt. Außerdem ging es um seine Trainingsphilosophie sowie weitere Themen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Frauenfussballs.

Bei der Medienkonferenz, auf der Sie vorgestellt wurden, haben Sie die einleitende Ansprache komplett auf Koreanisch gehalten. Das war ziemlich beeindruckend. Wie wollen Sie während Ihrer Zeit als Nationaltrainer die Sprachbarriere überwinden? Ich tue mein Bestes, um so schnell wie möglich so viel wie möglich zu lernen. Ich versuche, jeden Tag ein neues Wort oder einen neuen Satz zu lernen. Ich glaube einfach, dass Kommunikation ungeheuer wichtig ist. Außerdem ist es eine Respektbezeugung für das Land, in dem ich arbeite, und für die Menschen, die dort leben, dass ich mein Möglichstes tue, um ihre Muttersprache zu lernen. Darüber hinaus habe ich Spaß an Sprachen. Ich hoffe, dass ich nach zwölf Monaten einigermaßen gut sprechen kann.

Haben Sie fussballtechnisch schon einen Lieblingssatz auf Koreanisch? 'Pass nae-beun pan-dae' – das bedeutet 'vier Pässe und Wechsel'. Damit arbeiten wir ziemlich häufig auf dem Kleinfeld. Am schwierigsten ist die Aussprache. Ich muss versuchen, Hangeul zu lernen, das koreanische Alphabet. Wenn ich stattdessen probiere, mit dem lateinischen Alphabet auszukommen, werde ich die Sprache nicht so gut in den Griff bekommen, aber im Moment schwanke ich noch. Ich tue mein Bestes.

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Können Sie uns etwas darüber sagen, wo das Programm hinführen soll, wie die langfristige Vision aussieht und wie Sie in diese Pläne passen? Der [koreanische Fussballverband] KFA hat mit der erstmaligen Verpflichtung eines ausländischen Trainers für das Frauennationalteam einen großen Schritt getan, vielleicht einfach, um eine andere Perspektive zu bekommen. Die Verantwortlichen erwarten nun neue Höhenflüge. Jetzt ist es an uns, gemeinsam Bewegung in die Sache zu bringen. Jeder muss erkennen, dass Teamarbeit erforderlich ist, damit alle an einem Strang ziehen und die Republik Korea im Frauenfussball zu einer Macht werden lassen. Ich bin davon überzeugt, dass es möglich ist.

Wir haben gesehen, dass ein kleineres Land wie die Niederlande die EURO gewinnen konnte. Sie haben zwar 30 Jahre gebraucht um so weit zu kommen, aber es gibt durchaus Beispiele für kleinere Nationen, die das Beste aus ihrer Situation machen. Wenn ich klein sage, meine ich damit, dass dort nur eine geringe Anzahl von Mädchen Fussball spielt. Auch diese Statistiken muss man betrachten. Wir müssen eine Änderung der Einstellung erreichen und dafür sorgen, dass mehr Mädchen mit dem Fussball in Kontakt kommen und Spaß am Spiel finden. Es gibt viel zu tun, aber es ist eine spannende Aufgabe. Es gibt so viele Räume, die wir besetzen können. Das Land kann Weltklassespielerinnen hervorbringen. Ji Soyun ist der Beweis dafür.

Welche lang- und kurzfristigen Ziele verfolgen Sie mit dem Team? Auf kurze Sicht wollen wir versuchen, uns für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Uns ist natürlich bewusst, dass es schwer werden wird, da nur zwei Plätze zu vergeben sind. [Anm. d. Red.: Die Republik Korea tritt in der Asien-Qualifikation für Tokio 2020 gemeinsam mit der DVR Korea, Vietnam und Myanmar in Gruppe A an.] Langfristig möchten wir ein Team aufbauen, das stark genug ist, um bei der Weltmeisterschaft mitzuhalten. Das heißt, sich nicht nur zu qualifizieren, sondern wirklich erfolgreich dabei zu sein. Ich strebe eine neue Dynamik innerhalb des Teams an und möchte die Spielweise etwas verändern – hin zu einem aktiveren Ansatz. Ich werde versuchen, ein jüngeres Team aufzubauen, das mit viel Energie und Torhunger bei der Sache ist.

Wie arbeiten Sie? Versuchen Sie direkt, eine bestimmte Spielweise umzusetzen oder entwickeln Sie diese Spielweise erst, nachdem Sie einige Zeit mit den Spielerinnen verbracht haben. Welche Identität wird das koreanische Team unter Ihnen bekommen? Für mich spielt Organisation eine große Rolle, daher müssen wir zunächst einmal wirklich gut verteidigen. Ich wünsche mir eine offensive, aggressive Spielweise, aber wenn du nicht verteidigen kannst, gerätst du damit immer in Schwierigkeiten. Wir wollen ein schwer zu spielendes Team sein, dessen Abwehr die Gegner nicht so leicht knacken können. Es ist ein aktiverer Ansatz. Es geht darum, in der Lage zu sein, den Ball während des Spiels über längere Perioden in den eigenen Reihen zu halten oder mit Spielintelligenz Situationen zu erkennen, in denen nur zwei Pässe nötig sind, um eine Torschussmöglichkeit zu bekommen oder nur drei Pässe, um einen Treffer zu erzielen.

Ich möchte mit wirklich aktivem Fussball Spiele gewinnen. Dabei ist aber immer auch eine gut organisierte Defensive wichtig, denn ich glaube, dass wir aus einer stabilen Abwehr heraus besser angreifen können. Das ist kein Hexenwerk, nichts wirklich Neues. Aber es kommt vor allem darauf an, wie wir im Spiel mit und ohne Ball organisiert sind. Darauf wollen wir die Betonung legen.

Sie sind der Auffassung, dass der Fussball sehr komplex ist. Einige sagen, es sei ein einfaches Spiel. Warum ist er in Ihren Augen komplex? Der Fussball ist komplex, weil er von Menschen gespielt wird und Menschen komplexe Wesen sind. 22 von ihnen stehen auf dem Platz, plus Schiedsrichter und Assistenten. Jetzt kommen sogar noch die Videoassistenten hinzu und dann wäre da die begrenzte Zeit, begrenzter Raum, begrenzte Bereiche. Es gibt also viele Faktoren. Die Komplexität liegt in der Entscheidungsfindung und in der Vielzahl der Informationen, die eine Spielerin innerhalb kürzester Zeit aufnehmen muss. Das ist eine komplexe Angelegenheit. Ziel ist es, das Spiel zu vereinfachen, obwohl es komplex ist, und bestimmten Dingen Priorität einzuräumen.

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In Gesprächen über Frauenfussball kommen oft Themen wie die Wahrnehmung oder gesellschaftliche Akzeptanz ins Spiel, die beim Männerfussball gar nicht erst aufkommen. Viele Trainer von Männerteams müssen sich über so etwas keine Gedanken machen. Wie bewältigen Sie diese Zusatzaufgaben in einer Position wie der Ihren? Ja, diese Themen scheinen immer wieder aufzukommen. Der Fussball ist die einzige Sportart, bei der es diesen Vergleich gibt oder versucht wird, Männer- mit Frauenfussball zu vergleichen. Das ist gar nicht nötig. Es ergeben sich ganz automatisch Unterschiede. Das Geschlecht ist ein anderes, und damit auch die körperliche Verfassung und die Geschwindigkeit des Spiels. Wer aufgeschlossen ist und sich einfach nur darauf konzentriert, wie die Mädchen spielen, welche Leistung sie bringen und auf welchem Niveau sie sind, der vergisst die anderen Dinge ganz schnell. Die Einstellung wird sich ändern, wenn wir erfolgreich sind. Dann werden die Leute sich hinter das Team stellen.

Bei der Medienkonferenz anlässlich Ihrer Vorstellung haben Sie mit Boris Becker und Steffi Graf ein interessantes Beispiel gebracht, um zu untermauern, dass Männer- und Frauenfussball nicht miteinander verglichen werden sollten. Warum ist Ihnen das so wichtig? Welche Botschaft möchten Sie vermitteln? Tennis war in den 1980er und 90er-Jahren ein nettes Spiel, das eher den oberen Zehntausend vorbehalten war. Dann boomte die Sportart plötzlich, weil diese beiden Spieler auf der Bildfläche erschienen und einfach Weltklasse waren. Trotzdem kam niemand auf die Idee, sie miteinander zu vergleichen. Sie waren beide Weltklasse. Du konntest dir begeistert ein Spiel von Boris ansehen und danach mit der gleichen Begeisterung ein Spiel von Steffi. Genau diese Einstellung brauchen wir auch in Bezug auf den Frauenfussball. Schau dir das Spiel an, unterstütze dein Team und genieße es einfach.

Warum ist die Situation im Fussball so festgefahren, was Vergleiche zwischen Männern und Frauen betrifft? Weil die Sportart von Männern dominiert wird und immer dominiert war. Bis 1970 war Frauenfussball in Deutschland noch verboten. In England war er bis 1972 verboten. Man konnte konnte offiziell kaum Spiele veranstalten. Wir kämpfen hier gegen Traditionen an, die viele Jahre und über Generationen hinweg Bestand hatten. Jetzt gelingt den Frauen der Durchbruch, und sie reißen diese Barriere ein. Sie drehen jetzt richtig auf, und das ist großartig, weil wir so viele talentierte Spielerinnen haben. Es ist einfach gut, das zu sehen.

Die Gesellschaft verändert sich langsam. Wir sollten uns über die Auftritte und Leistungen freuen, aber ohne Megan Rapinoe mit Lionel Messi zu vergleichen. Vergleichen Sie Rapinoe mit Ji Soyun, wenn Sie möchten, aber nicht mir Cristiano Ronaldo. Das ergibt keinen Sinn. Ehrlich gesagt glaube ich noch nicht einmal, dass die Messi-Ronaldo-Diskussion Sinn ergibt. Das sind Gespräche, die zu nichts führen.