Donnerstag 21 Juli 2016, 09:00

Thorsteinsdottir: "Island so gut wie noch nie"

Während der UEFA EURO 2016 hatte es den Anschein, als ob sich plötzlich die gesamte Fussballwelt in Island verliebt hätte. Der bezaubernde Außenseiter aus dem am dünnsten besiedelten Land Europas erwies sich als unaufhaltsam, und eine ganze Reihe von bemerkenswerten Statistiken unterstrichen dessen außergewöhnliche Leistungen.

Mit gerade 323.000 Einwohnen hatte sich Island als kleinstes Land, das sich je für ein großes Turnier qualifizieren konnte, schon im Vorfeld einen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert. Alles am isländischen Team schien eine Nummer kleiner zu sein - angefangen von den kaum bekannten Spielern bis hin zum Co-Trainer, der nebenberuflich als Zahnarzt tätig ist. Alles, außer den Ergebnissen natürlich. Davon können der spätere Europameister Portugal und die Multimillionäre aus England ein Lied singen, die zu den Gegnern gehörten, die am Ende ihre Wunden lecken mussten.

Und obgleich den Isländern aus aller Welt die Sympathien zuflogen, erwartete sie zu Hause die allergrößte Welle der Zuneigung. In den vor Menschen überquellenden Straßen Reykjaviks wurde den Spielern ein euphorischer Empfang bereitet. "Wir waren alle so stolz auf sie", sagt Harpa Thorsteinsdottir, die Star-Stürmerin der isländischen Frauennationalmannschaft, im Gespräch mit FIFA.com. "Es war eine so tolle Zeit für das Land. Alle sind einfach nur stolz darauf, wie weit wir es im größten Sport der Welt gebracht und wie wir uns einen Platz auf der Fussballlandkarte verschafft haben. Wir sind so wenige in Island, deshalb war es fantastisch, unser Team gegen größere Länder mit riesigen Bevölkerungen und einer reichen Geschichte antreten zu sehen. Es hat uns allen Freude bereitet." Den Weg geebnet Es war tatsächlich ein fantastisches Ereignis. Gleichwohl ist es eine weit weniger bekannte Tatsache - und Thorsteinsdottir weiß dies nur zu genau -, dass die isländischen Männer eigentlich nur dem Weg gefolgt sind, den die Frauen bereits geebnet hatten. Denn bei all der riesigen Aufmerksamkeit für das "Wunder", dass das isländische Team in Frankreich das Viertelfinale erreicht hat, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die weiblichen Kolleginnen bei der EURO schon zwei Mal bis zu dieser Turnierphase vorgedrungen sind. Und während die Männer im Kielwasser der Erfolge in Frankreich mit Platz 22 die höchste Weltranglistenplatzierung ihrer Geschichte erreicht haben, liegen die Frauen auf Platz 16 und gehören schon seit acht Jahren zu den Top 20 der Welt.

Thorsteinsdottir und ihre Mitstreiterinnen stehen nun also kurz davor, sich zum dritten Mal in Folge für eine EM-Endrunde zu qualifizieren. Und dies haben sie sich mit bemerkenswerten Leistungen verdient. Die Zahlen sprechen für sich: Sechs Siege aus sechs Spielen mit einem Torverhältnis von 29:0. Nicht weniger beeindruckend sind die zehn Tore, mit der die Stürmerin zur erfolgreichsten Torjägerin des Wettbewerbs avancierte.

"Ich denke, wir sind in so guter Verfassung wie noch nie", sagt Thorsteinsdottir. "Das Gleichgewicht zwischen der Erfahrung der älteren Spielerinnen, die seit zehn Jahren den Kern des Teams bilden, und dem Talent und der Frische einiger neuer Gesichter, die zunehmend beeindruckende Leistungen zeigen, scheint derzeit perfekt zu sein", erklärt sie.

"Auf persönlicher Ebene habe ich das Gefühl, dass die letzten zwei oder drei Jahre die besten meiner Karriere waren. Das Team erarbeitet mir mehr Chancen als je zuvor, deshalb ist es logisch, dass dies zu mehr Toren führt - dafür bin ich ihnen dankbar! Doch auch ich selbst fühle mich dank der über die Jahre gesammelten Erfahrungen viel stärker und selbstbewusster, und ich denke, dass sich das in meinem Spiel niederschlägt, vor allem vor dem Tor."

Erfolgsgeheimnis? Gute Ausbildung! Nachdem Thorsteinsdottir uns ihr Erfolgsgeheimnis verraten hat, baten wir sie, uns das des isländischen Fussballs insgesamt zu offenbaren. Wie ist das möglich, dass ihr kleines Land konstant in der höchsten Gewichtsklasse mithalten kann?

"Wir verfügen nicht nur über großartige Einrichtungen, sondern haben auch qualifizierte Trainer, die mit unseren Kindern ab einem Alter von drei oder vier Jahren arbeiten", erklärt sie. "Der Verband leistet bei der Ausbildung sehr gute Arbeit und die meisten Klubs würden keinen Trainer verpflichten, der nicht über die höchsten Qualifikationen verfügt. Dies hat auf Trainerebene zu einem hohen Niveau geführt. Die Folge davon ist, dass alle Spieler gut ausgebildet werden."

Die 30-Jährige sieht auch in der zunehmend besser werdenden Frauenfussball-Szene ihres Landes Grund zur Zuversicht und räumt ein, dass ein Wechsel in die glamouröseren Ligen in den USA oder in Kontinentaleuropa sie nicht allzu sehr reizt.

"Ich bin sehr zufrieden, wo ich bin, wobei meine Familie sicherlich ein großer Faktor dafür ist", sagt die Stürmerin von Stjarnan. "Ich habe einen Sohn und einen Stiefsohn, und obwohl es langsam besser wird, ist im Frauenfussball selbst in den größeren Ligen immer noch nicht viel Geld zu holen. Es wäre schwer für mich, ins Ausland zu ziehen und genug zu verdienen, um sie zu unterstützen", wendet sie ein.

"Ich genieße den Fussball und mein Leben hier mit meiner Familie, und wir machen schon Pläne, damit die Jungs im nächsten Jahr zur EURO kommen, um mir zuzuschauen. Wir werden wie das Männerteam für viel Furore sorgen. Wir haben schon einmal das Viertelfinale erreicht, und nun wollen wir sogar noch weiter kommen. Ich hoffe wirklich, dass es für Island erneut ein fantastisches Turnier wird."