Donnerstag 16 April 2020, 07:42

Sarah Essam - Stokes ägyptische Königin 

  • Sarah Essam liebt den Fussball und hat dafür viele Opfer gebracht

  • Sie zog nach England und unterschrieb bei Stoke City

  • Neben dem Fussball treibt die Ägypterin ihr Ingenieurstudium voran

Mit ihrem langen, schwarzen Haar und ihren glänzenden braunen Augen entspricht Sarah Essam dem Bild einer typischen Ägypterin. Ihre Stimme ist sanft, ihre Manieren wirken reserviert, und wenn sie spricht, erkennt man ihre große Selbstsicherheit. Und ihre Stimme lässt erahnen, dass hinter der besonnen wirkenden Fassade viel Leidenschaft und große Ambitionen stecken.

Sarah Essam machte 2017 Schlagzeilen, als sie als erste Ägypterin und Araberin in der englischen Women's Super League (WSL) spielte. Die begabte Spielerin erlangte erst kürzlich bei ihrer Rückkehr nach Ägypten öffentliche Anerkennung, nachdem sie auf die Kritik in der Heimat stark reagiert und die von den ägyptischen Behörden zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie ergriffenen Maßnahmen gelobt hatte. Damit zeigte sie, dass das Leben im Ausland ihre Liebe zu Ägypten, einer Wiege der Zivilisation, in keiner Weise geschmälert hat.

Während ihrer Quarantäne in Kairo feierte sie ihren 21. Geburtstag. Die erste ägyptische Profispielerin in Europa sprach mit FIFA.com unter Anderem über den bisherigen Verlauf ihrer Karriere und die Umstände des Wechsels nach England.

Herausforderung und Auswahl

Auf die Frage nach dem Beginn ihrer Karriere im Fussball erzählte Essam: "Als Kind habe ich mit meinem Bruder Fussball gespielt. Ich war das einzige Mädchen in einer Gruppe von Jungen, die zum Spaß gekickt haben. Ich mochte Fussball sehr, aber ich war auch recht gut beim Basketball. Als ich mich dann für eine Sportart entscheiden musste, fiel die Wahl auf den Fussball, weil ich große Herausforderungen mag."

"Mit der Zeit habe ich mich im Wettstreit mit den Jungs immer weiter verbessert, bis ich schließlich besser war als sie. Es war ein schönes Gefühl, die Anerkennung der Jungen für mein fussballerisches Können zu bekommen, vor allem in einer Gesellschaft, die Fussball immer als 'Jungenspiel' betrachtet hat. In meiner Familie gab es allerdings auch einigen Widerstand. Anfangs dachten sie, dass Fussball nicht das richtige Umfeld für mich wäre", fügte sie hinzu.

Sarah setzte den einmal eingeschlagenen schwierigen Weg jedoch fort und trat dem Klub Wadi Degla bei, wo sie es schon bald ins erste Team schaffte. Es folgte eine Einladung in die ägyptische Nationalmannschaft, die in der Vorbereitung auf den CAF Afrikanischen Nationen-Pokal der Frauen 2016 steckte. "Ich hatte das Gefühl, dass alles gut läuft. Ich stand morgens um fünf auf und begann mit dem Training, um körperlich und technisch gut vorbereitet zu sein. Es war ein Schock, als ich dann doch nicht zum endgültigen Kader für das Turnier gehörte."

Erste Schritte

Doch Sarah gab nicht auf, sondern glaubte fest daran, dass sich ihre Mühen irgendwann auszahlen würden. Zwei Jahre später packte sie ihre Taschen und begleitete ihre Schwester nach England, wo sie sich um Probetrainings bei englischen Klubs bemühen wollte. "Ich habe an sehr viele Türen geklopft und Probetrainings bei nicht weniger als sieben Klubs absolviert. Letztlich unterschrieb ich 2017 bei Stoke City. Das war der bis dahin beste Moment meiner Karriere. Ich war sehr froh, dass ich endlich an einem Ort war, wo ich mein Potenzial zeigen konnte."

Eine möglichst gute Anpassung an die stark unterschiedlichen Lebensumstände in England war eine Voraussetzung für den Erfolg, das war Sarah klar. Rückblickend sagt sie: "Ich wusste, dass es für mich nicht leicht würde, doch ich war mental gut für diese Umstellung motiviert. Und ich gebe gern zu, dass meine schnelle Anpassung ohne die Hilfe meiner Teamkameradinnen wohl nicht möglich gewesen wäre. Sie haben mich im Training und in den Spielen bestmöglich unterstützt. Sie sind nicht nur Teamkameradinnen, sondern mittlerweile auch enge Freundinnen, und ich halte auch jetzt aus Kairo Kontakt zu ihnen."

Essam genießt ihre Erfahrung in England und die Intensität in der WSL erinnert sie an das packende Geschehen in der Premier League, das sie als Kind in Ägypten im Fernsehen verfolgte. "Ja, der Frauenfussball hat sich in den vergangenen Jahren enorm entwickelt. Die Spielerinnen wissen, dass viele Fans zuschauen und ein hohes Niveau auf dem Spielfeld erwarten. Ich denke, dass wir sehr hart arbeiten und unser Können in den Spielen unter Beweis stellen, was wiederum die Fans motiviert, zu den Spielen zu kommen und uns zu unterstützen", erklärt sie.

Ambitionen und Träume

Profis müssen einen Großteil ihrer Zeit dem Fussball widmen. Doch Sarah, die bereits enorme Opfer für den Fussball und ihren Klub gebracht hat, hat darüber ihre akademischen Ziele nicht aus den Augen verloren. "Ich stecke viel Aufwand in den Fussball, aber mein Universitätsstudium habe ich trotzdem nicht aufgegeben. Ich studiere in England Bauingenieurwesen, obwohl mich viele Leute gewarnt haben, dass es sehr schwer wäre, Fussball und Hochschule unter einen Hut zu bringen. Ich habe die Herausforderung angenommen und versuche, weiterhin an beiden Fronten mein Bestes zu geben. Ich will als Profi spielen und damit etwas für mein Land tun, und ich will einen Hochschulabschluss machen und damit etwas für meine Zukunft tun", so ihre Erläuterung.

"Mein Tag beginnt ziemlich früh. Um sechs Uhr morgens bereite ich meine Mahlzeiten für den ganzen Tag zu, dann nehme ich den Zug zur Universität, die in einer anderen Stadt liegt, und dann fahre ich zu Stoke City. Mein Frühstück esse ich normalerweise im Zug, wobei ich auch noch etwas lerne. Ich habe mich entschieden, mein Leben meinen beiden Leidenschaften zu widmen. Und auch im Urlaub sitze ich nicht etwa faul auf dem Sofa und schaue fern, sondern halte mich mit viel Sport fit und in Form. Ich sehe darin übrigens kein Opfer, denn ich tue, was ich liebe", fügte sie hinzu.

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Ernten, was man sät

Ein Jahr später konnte Essam erste Früchte ihrer harten Arbeit ernten. Von der London Arabia Organization wurde sie mit einer Auszeichnung für ihre sportlichen Verdienste geehrt. Dazu sagt sie: "Ich bin sehr stolz auf diese Auszeichnung, denn nie zuvor hat jemand aus Ägypten diese Ehrung erhalten. Meine Leistungen haben die Aufmerksamkeit zahlreicher Personen und Institutionen erregt."

"Ich bekam ein Angebot von der BBC, als Kommentatorin bei der Verleihung der CAF-Auszeichnungen für 2018 zu arbeiten, bei der Mohamed Salah als Afrikas Fussballer des Jahres geehrt wurde. Und ich gehörte auch zum Kommentatorenteam beim CAF Afrikanischen Nationen-Pokal in meinem Heimatland Ägypten. Diese Erfahrungen stärken mich in meinem Wunsch, auch weiterhin in vielen Bereichen zu arbeiten."

2019 war ein gutes Jahr für die junge Ägypterin: In zwölf Spielen erzielte sie zwölf Tore für Stoke City. "Überhaupt in England zu spielen wäre schon ein großartiger Schritt in meiner angestrebten Karriere gewesen. Nun bin ich sogar die beste Torjägerin meines Teams geworden. Das ist fantastisch und motiviert mich, weiter hart zu trainieren."

"Ich wünsche mir, möglichst viel von meinen Erfolgen und Erfahrungen an die anderen Spielerinnen in Ägypten weitergeben zu können. Der Frauenfussball hat immer noch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen und ich hoffe, dass der ägyptische Fussballverband die Unterstützung verstärkt. Erfolg können wir nur durch eine lange Zeit harter Arbeit erreichen. Ich hoffe, dass meine Teamkameradinnen und ich das größte Ziel erreichen können, nämlich uns mit Ägypten für die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ zu qualifizieren", so die Spielerin.

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Ein unvergesslicher Geburtstag

Ihren 21. Geburtstag musste Essam in Quarantäne verbringen, doch Grund zum Freuen gab es trotzdem. "Ich hatte eigentlich an diesem Tag gar keine Erwartungen, weil ich ja in meinem Hotelzimmer isoliert war. Ich wollte mit meiner Familie nachfeiern, wenn das alles hier vorbei ist. Sie hatten jedenfalls daran gedacht, mir eine ganze Menge Glückwunschkarten zu schicken. Doch dann klopfte es an der Tür und als ich öffnete, stand eine Gruppe Hotelangestellter davor, mit einem Geburtstagskuchen in Form eines Fussball-Spielfelds. Und ein paar kleine Sportartikel zur Nutzung im Zimmer schenkten sie mir auch. Ich war sehr glücklich und glaube, dass ich diese Erfahrung nie vergessen werde", erzählte sie.

Die Königin Ägyptens

Ihren Spitznamen und ein von ihr geteiltes Foto, das sie auf einem Garten-Schachbrett neben der Spielfigur der Königin zeigt, erklärt sie so: "Mo Salah und ich gingen im gleichen Jahr nach England und haben unsere Verträge bei Liverpool und Stoke City sogar im gleichen Monat unterschrieben. Als Liverpools Fangesang für Mo Salah ["The Egyptian King"] sehr populär wurde, machten die Fans von Stoke City auch einen für mich, darin hießt es 'Oh Sarah, The Egyptian Queen'. Man hält mich also für eine weibliche Version von Mo – das ist doch großartig! Als 'Egyptian Queen' besungen zu werden – besser geht's nicht."

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