Montag 08 März 2021, 19:06

Radioübertragungen, die neue Wege beschreiten und Türen öffnen

  • Ein Frauenteam ist in Argentinien für Radioübertragungen des Fussball der Primera División in Argentinien verantwortlich

  • Eine von ihnen war bereits vor 25 Jahren bei der kurzen Premiere dabei

  • FIFA.com sprach mit den Verantwortlichen eines Produkts, das zum Träumen einlädt

Als Fabiana Segovia im November 2020 ihren Posten als Direktorin beim Sender Radio Del Plata antrat, war eine ihrer großen Aufgaben die Neuorganisation der Übertragung von Männerfussballspielen auf einem der bekanntesten Mittelwellensender Argentiniens.

"Seit frühester Kindheit bin ich Fussballfan und ging jedes Wochenende ins Stadion, bis ich anfing, als Produzentin für das Radio zu arbeiten, erzählt die 51-jährige Segovia FIFA.com. Sie kann schon auf eine mehr als 20-jährige Erfahrung in dieser Branche zurückblicken. "Ich war der Überzeugung, dass wir bei Radio Del Plata zumindest die Partien von River und Boca übertragen sollten, wollte aber auch ein innovatives Angebot präsentieren."

In einem Gespräch mit Hernán Avella, einem Radiosprecher, mit dem sie schon lange zusammenarbeitet, kam dann die Idee auf. "Warum probierst du es nicht mit Frauen?" sagte ihr Avella und damit begann alles.

"Es war Samstag und ich sagte ihm: 'Tolle Idee, am Montag werde ich mal nachfragen.' Dann erst bemerkte ich, dass ich das ja entscheiden konnte! Daran war ich noch gar nicht gewöhnt."

Sie war unvoreingenommen, wollte aber auch andere Meinungen anhören. "Ich sprach mit Fernández Llorente, meinem Kollegen in der Geschäftsführung, und ihm gefiel die Idee auch. So wurde das Projekt geboren, ein Team von Frauen zu bilden, das die Spiele von River und Boca kommentieren würde."

Das Team mit unterschiedlichen Biographien

Nun stand sie vor einer weiteren Herausforderung. "Es gibt viele Frauen, die etwas vom Fussball verstehen, aber Kommentatorinnen … da gibt es kaum jemanden. Ich habe mit verschiedenen Personen darüber gesprochen und auch einige Probebänder erhalten. Viele waren jung und enthusiastisch, aber ihre Stimme war noch nicht ausreichend geschult. Bis ich dann auf Laura Corriale traf. Sie ist Stadionsprecherin bei Huracán und war genau die Person, die ich gesucht hatte."

Die 30-jährige Corriale ist ebenfalls ein großer Fussballfan. "Das war ich immer schon, ich habe sogar auf dem Platz meine ersten Schritte gemacht", erzählt sie FIFA.com. Mit 21 Jahren arbeitete sie bereits als Sprecherin, wenngleich sie als Reporterin immer eng mit Huracán verbunden war, dessen Pressechefin sie war. 2016 wurde sie dann Stadionsprecherin und war damit erst die zweite Frau, die eine solche Position in einem Verein der ersten argentinischen Liga innehatte.

"Ich habe 2013 einen Kurs als Sprecherin gemacht. Wir waren zunächst drei Mädchen und zwei Unterrichtseinheiten später war nur noch ich übrig. Ich hatte jedoch nur einmal als öffentliche Sprecherin gearbeitet, nämlich 2018 während der Weltmeisterschaft im Frauenprojekt eines lokalen Radiosenders. Deswegen habe ich zunächst etwas gezögert, aber Fabiana ließ mir eigentlich gar keine Zeit, groß darüber nachzudenken. Jetzt bin ich hier und glücklich darüber."

Eine der ersten Personen, die Segovia kontaktierte, war Elsa Silvestre, eine gute Bekannte. "Sie ist ein wenig der Grundstein unseres Produkts, denn vor 25 Jahren war sie bei der ersten Spielübertragung dabei, an der ausschließlich Frauen beteiligt waren. Und da sie das damals gemacht hatte, frage ich sie erneut, ob sie bei uns die Hauptsprecherin sein wollte."

Silvestre ist eigentlich kein Fussballfan, auch wenn ihre ersten Arbeiten im Radio, als sie 1978 als externe Reporterin bei der WM tätig war, wie auch im Fernsehen immer im Zusammenhang mit Fussball standen. Somit gehörte sie zu den Pionierinnen im argentinischen Radio.

"Wir waren sieben und sendeten auf Kurzwelle und Mittelwelle, wenn auch mit geringer Reichweite", erzählt sie FIFA.com. "Wir waren zwischen 1976 und 1997 auf Sendung, aber es hat nicht richtig funktioniert, weil uns die Unterstützung fehlte. Danach hatte ich nichts mehr mit Fussball zu tun – bis heute, denn es erschien mir sehr wichtig, dieses Projekt zu unterstützen."

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Ein Produkt in der Entwicklung

Alle erkennen an, dass "es das Projekt ohne Fabiana gar nicht gegeben hätte". Gleichzeitig wird das Projekt im Kontext einer größeren Bewegung gesehen, bei der die Frauen in neue Bereiche vorstoßen. Trotz alldem und des Machismo im Fussball, auf den sie während ihrer beruflichen Laufbahn immer wieder gestoßen sind, trifft die Gruppe beim ersten Treffen eine wichtige Entscheidung.

“Wir wollten keine feministische Übertragung. Wir haben uns gesagt: 'Das ist eine große Chance, man soll uns zuhören, weil wir gut sind und nicht weil wir Frauen sind'", bekräftigt Segovia.

Corriale merkt an: "Wir haben nie besonders betont, dass wir die einzige reine Frauenübertragung von Spielen machen, dennoch befassen wir uns auch auf unsere Weise mit Themen mit Bezug zu Frauen. Wenn es zum Beispiel einen Spieler gibt, der schon wegen Gewalt gegen Frauen angezeigt wurde, und er spielt gut, dann erwähnen wir das. Wir nennen dabei aber auch die Nummer der zentralen Hotline für häusliche Gewalt. Diese Gelegenheit können wir uns nicht entgehen lassen."

Vor diesem Hintergrund feierten sie im Dezember ihr Debüt. "Jede hatte einen eigenen Blick auf den Fussball, eine typische Stimme, und die Herausforderung bestand und besteht darin, das alles anzugleichen. Die Praxis ist wirklich wichtig, aber sowohl das Produkt, das wirklich gut ist, wie auch die Mädchen, die ihren eigenen Stil suchen, werden noch geformt", glaubt Segovia.

Das Feedback war bislang äußerst positiv. "Während der Übertragung gab es viel Unterstützung seitens der Frauen, vor allem in den sozialen Netzwerken. Männer melden sich mehr mit Textnachrichten, und auch wenn manche sich etwas mehr Tempo wünschen, sind die allgemeinen Reaktionen sehr ermutigend", erzählt Silvestre.

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Zwischen der Gegenwart und der Zukunft

Die einzige Partie im Frauenfussball, die die Gruppe bislang übertragen hat, war das Finale des ersten Profiturniers zwischen River und Boca, in vielerlei Hinsicht eine besondere Herausforderung. "Normalerweise gibt es im Vorfeld mehr als genügend Informationen, aber bei diesem Spiel war es äußerst schwierig, Informationen aufzutreiben. Da hat man schon einen erheblichen Unterschied gemerkt", meint Vázquez.

Dennoch waren die Reaktionen sehr ermutigend. "Wir haben Mitteilungen aus Spanien, Holland, Frankreich erhalten … Es war verrückt! Es war eine sehr bereichernde Erfahrung, die uns viel zu denken gab und auch zeigte, dass wir das Team vergrößern müssen. Heute haben wir eine zweite Sprecherin und die mussten wir auch schulen, denn so viele gibt es nicht", erklärt Segovia.

Es zeigte sich, dass es an weiblichen Vorbildern im Radio für diese Art von Projekt fehlte. Die Teilnehmerinnen sind sich dieser Rolle zunehmend bewusst. "Der Gedanke ein Vorbild zu sein, beschämt mich ein wenig", räumt Corriale ein. "Ich sage mir dann immer, einige Mädchen möchten wohl sprechen, um wie ich zu sein, und bei anderen ist genau das Gegenteil der Fall."

Pujol sieht das ähnlich. "Dass gerade die jungen Mädchen sehen und hören können, dass Frauen vom Fussball berichten, dass sie sagen 'Ja, das möchte ich auch tun', das ist für mich besonders wertvoll. Es ist sehr wichtig Vorbilder zu haben."

Vázquez sieht es als sehr interessantes Konzept. "Ich bin überzeugt davon, dass dieses Projekt als Multiplikator dienen wird. Es gibt bereits Leute, die eine entsprechende Ausbildung machen. Wir sind Vorbilder und wir öffnen Türen. Daran muss man denken und in großen Maßstäben denken. Das Ganze ist Gegenstand verschiedener Ausbildungen und nicht mehr nur Thema von Vorträgen und Workshops. Unser Ziel ist es, dass diejenigen, die auf uns folgen, den Job machen, weil sie gut sind und nicht weil es Frauen sind."r

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