Mittwoch 30 Dezember 2020, 08:11

Putellas: Die Unsicherheit war das größte Problem

  • Alexia Putellas ist Schlüsselspielerin bei Barcelona und Spanien

  • Die 26-jährige Mittelfeldspielerin ist in der Form ihres Lebens

  • Sie sprach mit FIFA.com über das komplizierte Jahr 2020

Anfang 2020 sah für Alexia Putellas alles sehr rosig aus. Mit ihrem Klub, dem Barcelona, lag sie in der spanischen Meisterschaft klar auf Titelkurs und mit der spanischen Nationalmannschaft war sie beim SheBelieves Cup in den USA auf dem zweiten Platz gelandet, nicht zuletzt dank ihrer starken Leistungen. Doch zwei Tage nachdem sie als wertvollste Spielerin des Turniers ausgezeichnet wurde, musste sich die Spanierin in Ihrer Heimat den Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie beugen. Der Lockdown begann und der Spielbetrieb in der spanischen Liga wurde ausgesetzt (Barcelona wurde später zum Titelgewinner erklärt). Dann kam auch noch die Nachricht, dass ihre Freundin und Teamkameradin Virginia Torrecilla sich wegen eines Hirntumors einer Operation unterziehen musste.

Trotz all dieser Schwierigkeiten und der langen Zwangspause beendete Putellas das Jahr mit ihrem typischen Optimismus. Sie will im kommenden Jahr nun erst recht durchstarten. Die in Katalonien geborene Stürmerin sprach mit FIFA.com über die Herausforderung, mitten in einer Pandemie zu spielen, die Vorbildfunktion von Torrecilla und die veränderte Mentalität, die Barça und Spanien antreibt.

FIFA.com: Alexia, das Jahr 2020 war für uns alle ein schweres Jahr. Was war aus Ihrer Sicht der schlimmste Aspekt?

Alexia Putellas:Das größte Problem war die Unsicherheit. Das war für mich persönlich das Schlimmste, und ich denke, für viele andere auch. Nicht zu wissen, was von einem Tag auf den nächsten geschieht. Das kann ziemlich kompliziert und belastend sein. Im Fussball setzt man sich bestimmte Ziele. Man kann beispielsweise eine gesamte Woche rund um ein einziges Spiel planen... und am Abend zuvor bricht dann alles zusammen und das Spiel wird abgesagt. Psychologisch gesehen ist es die Unsicherheit, mit der sich am schwersten umgehen lässt. Das zehrt an den Kräften.

Sie haben mit Spanien einen sehr erfolgreichen SheBelieves Cup in den USA gespielt und mussten direkt nach der Rückkehr nach Spanien mehrere Monate lang zu Hause bleiben. Was war das für ein Gefühl?

Ich erinnere mich an ein Spiel in den USA, bei dem rund 20.000 Zuschauer im Stadion waren. Nach dem Spiel schüttelten wir noch zahlreiche Hände der Zuschauer. Meine Mutter schickte mir ein Video und fragte: "Was machst du denn da?" Ich sagte: "Das kann doch nicht falsch sein, oder?" Sie war in Spanien und ich weiß noch genau, wie sie sagte: "Du hast keine Vorstellung davon, was uns bevorsteht." Wir reisten zurück nach Hause - und zwei Tage später wurde der Notstand ausgerufen und für uns alle begann der Lockdown mit Ausgangssperren.

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Sie haben die Liga gewonnen und das Halbfinale der UEFA Champions League der Frauen erreicht. Hat die Pandemie Sie trotzdem einer sonst wohl absolut phänomenalen Saison beraubt?

Ja, das denke ich. Hier geht es um Fussball, dabei kann sich grundsätzlich alles innerhalb eines kurzen Moments verändern. Aber bis dahin lief die Saison einfach großartig für uns, im Klub und im Nationalteam. Alles schien in bester Ordnung. Blickt man zurück, dann kann man nur sagen, dass das Jahr absolut vielversprechend schien. Und dann ganz plötzlich - na, Sie wissen ja, was passiert ist. Alles war auf einen Schlag vorbei.

Auch die Krankheit Ihrer Freundin und langjährigen Teamkameradin Virginia Torrecilla muss ein schwerer Schlag für Sie gewesen sein. Wie haben Sie davon erfahren?

Alles ging ganz schnell. Wir waren jede bei sich zu Hause im Lockdown. Ich bekam eine Nachricht von Lola Gallardo, der Torhüterin von Lyon und Spanien, denn schon am nächsten Tag sollte Virginia operiert werden. Sie fing an und sagte: "Du wirst nicht glauben, was passiert ist. Ruf mich an, sobald du kannst." Als sie erklärte, was los war, wurde ich weiß wie die Wand. Dann habe ich mit Virginia gesprochen. Diese Nacht war sehr schlimm, das gebe ich gern zu. Virginia ist ein wahres Vorbild, wie sie damit klarkommt und wie es ihr geht. Das hängt miteinander zusammen, denke ich.

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Bis Virginia in die Nationalmannschaft zurückkehrt, werden Sie ihr Trikot mit der Nummer 14 tragen. Wie kam diese Idee zustande?

Sobald ich konnte, bin ich nach Madrid gefahren, um sie zu besuchen. Wir sprachen natürlich auch über die Nationalmannschaft, schließlich spielen wir schon seit vielen Jahren zusammen. Wir schwelgten auch in Erinnerungen an die UEFA U-17-EURO, die wir gewonnen haben - solche Dinge eben. Und ich sagte ihr, dass es sehr merkwürdig sein würde, ein Trainingslager ohne sie zu erleben. Dann sprachen wir darüber, dass eine andere Spielerin ihre Rückennummer übernehmen muss, weil die Trikots fortlaufend von 1 bis 23 nummeriert sind. Ich sagte: "Weißt du was, ich übernehme deine Nummer, bis du zurück bist. Du musst dich dann allerdings beeilen und so schnell wie möglich zurückkommen." Sie meinte auch, wenn es schon jemand anders übernehmen müsste, dann am besten ich.

Barça hat in der neuen Saison der Primera Division noch keinen einzigen Punkt abgegeben. Sie haben rund ein Drittel Ihres Lebens bei dem Klub zugebracht und können daher bestimmt bestens die Entwicklungen und Fortschritte in den vergangenen Jahren einschätzen. Was sehen Sie als Schlüsselfaktoren?

Ich denke, am stärksten hat sich die Mentalität gewandelt. Wir haben uns so stark verbessert, weil wir jetzt eine Siegermentalität haben. Die hatten wir auch schon in den letzten Jahren, als wir in der Liga noch nicht ganz vorn lagen. Es war sehr wichtig, dass der Klub seine Ziele nicht zurückgeschraubt hat und uns weiterhin vertraut hat. Jetzt kann man anfangen, die Früchte zu ernten. Noch nicht, was die europäischen Wettbewerbe angeht, aber bei uns herrscht die Überzeugung, dass wir es jetzt mit jedem Gegner aufnehmen können.

Ganz ähnlich war auch die Entwicklung in der Nationalmannschaft. Auch deren Resultate haben sich in den vergangenen Jahren beständig und deutlich verbessert. Stellen Sie fest, dass die Gegner Ihnen jetzt mit mehr Respekt begegnen?

Zum Respekt kann ich nichts sagen. Letztlich spielt es keine wirklich große Rolle, was unsere Gegner von uns denken. Aber ich selbst empfinde, und das ist auch bei Barça so, dass die Gegner besonders motiviert sind und dass wir es ihnen zeigen wollen. Das liegt an unserer Einstellung: Wir streben nicht nur einfach den Sieg an, sondern versuchen immer mehr zu erreichen und uns stets weiter zu verbessern. Wenn man aufhört, Fortschritte zu machen, dann fällt das Niveau wieder ab. So sehe ich das.

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Spanien braucht nur noch einen einzigen Punkt, um sich für die UEFA EURO der Frauen zu qualifizieren. Da dieses Turnier auf 2022 verschoben wurde, steht viel mehr Zeit für die Vorbereitung zur Verfügung. Was benötigt das Team, um gute Chancen zu haben, bei dem Turnier einen starken Eindruck zu hinterlassen?

Zunächst einmal müssen wir uns noch endgültig qualifizieren. Um dann einen wirklich guten Eindruck zu machen, was natürlich unser Ziel ist, müssen wir weiter hart arbeiten und jeden einzelnen Aspekt unseres Spiels verbessern. Wir müssen stets und immer nach herausragenden Leistungen streben. Das alles garantiert allerdings keineswegs, dass wir auch tatsächlich gute Resultate holen. So ist das nun einmal im Fussball. Wir müssen jedenfalls alles tun, was wir können, also unsere Trainingslager und unsere Spiele stets bestmöglich nutzen. Hoffentlich hilft uns das, dann zu gegebener Zeit optimal vorbereitet zu sein.

Sie spielen derzeit besser als je zuvor. Fast jeder Schuss ist ein Treffer, und es waren einige wunderschöne Tore darunter. Wie wichtig ist das Selbstvertrauen und welche Aspekte Ihrer Spielweise würden Sie gern verbessern?

Ich gehöre zu den Menschen, für die Selbstvertrauen alles bedeutet. Eine selbstbewusste Spielerin agiert völlig anders als eine, der es an Selbstvertrauen mangelt. Was ich verbessern muss? Ganz einfach: Alles! Ich möchte eine viel komplettere Spielerin werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ich eine Torchance bekomme, sage ich mir, dass ich sie unbedingt nutzen muss. Wenn ich zwei Mal ins Kopfballduell gehe, muss ich beide Male gewinnen. Wenn ich in der Defensive eine Eins-gegen-Eins-Situation habe, muss ich den Ball erobern. Das sind die kleinen Ziele, die man sich selbst setzt. Und wenn man sie alle erreicht, dann wird man zu einer besseren Spielerin.

Zum Abschluss noch diese Frage: Welchen Wunsch haben Sie für 2021?

Ich hoffe wirklich, dass allmählich alles wieder so wird, wie es früher war. Das vermisse ich sehr, sowohl im professionellen wie auch im privaten Bereich. Mehr wünsche ich mir gar nicht.