Sonntag 08 März 2020, 10:25

Lucía Barbuto: "Frauen stehen den Männern in Leitungsfunktionen in nichts nach"

  • Sie ist die erste Präsidentin eines argentinischen Profiklubs

  • Seit mehr als 15 Jahren in der Vereinsführung von Club Atlético Banfield

  • Leiterin der argentinischen Delegation bei der Frauen-WM 2019

Als Kind sagte Lucía Barbuto den Jungen in ihrem Viertel, dass sie Fussball mag und wurde daraufhin zunächst einmal einer eingehenden Prüfung unterzogen. "Wirklich? Dann erklär uns mal die Abseitsregel!" Außerdem wollten sie wissen, wer bei Boca das Trikot mit der Nummer neun trägt oder welcher Spieler bei River mit der fünf aufläuft. All solche Dinge.

"Anfangs wollte ich ihnen beweisen, dass ich das alles weiß und habe geantwortet", so die einzige Präsidentin eines argentinischen Erstligisten im Gespräch mit FIFA.com.

"Später wurde ich es dann leid. Ich stellte ihnen ja auch keine Testfragen, warum mussten sie mir also welche stellen? Heute denken sie sicher: 'Sie hatte Recht, sie hat wirklich etwas vom Fussball verstanden!' Mittlerweile passiert mir das nicht mehr. Entweder haben sie bei mir resigniert oder sie machen das mit keiner Frau mehr. Das hoffe ich jedenfalls."

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Die 34-Jährige ist ausgebildete Geburtshelferin und leitet seit Oktober 2018 den Club Atlético Banfield. Sie ist in ihrem Land erst die zweite Frau, die als Präsidentin eines Profiklubs fungiert und die erste, die über eine Wahl an diese Position gekommen ist.

Zwar strich der Gegenkandidat am Ende die Segel, aber 15 Jahre im Sportmanagement sprachen auch klar für Barbuto. Gemeinsam mit FIFA.com analysiert sie ihr Fussballumfeld.

Lucía, wie begann Ihre Liebe zum Fussball?

Ich habe Banfield gewissermaßen mit der Muttermilch aufgesogen. Meine gesamte Familie gehört seit jeher zur Fangemeinde und ist mit dem Klub verbandelt. Bei meinem ersten Stadionbesuch hat mein Vater mich noch getragen. Später habe ich die Spiele dann mit meiner Schwester und meinen Freunden besucht. Mit 18, als ich die weiterführende Schule abgeschlossen hatte, war ich es dann leid, meine Meinung nur auf der Tribüne kundzutun. Ich habe beschlossen, mich in die Vereinspolitik einzubringen.

Haben Sie zwischendurch nicht selbst gespielt?

Ich habe nie Fussball gespielt! In der Schule stand für Mädchen Handball und Leichtathletik auf dem Programm. Es gab keine Möglichkeit, Fussball zu spielen. Das habe ich gemeinsam mit dem Sportdirektor auf den drei Ebenen der vereinseigenen Schule geändert. Ich möchte keine Sportarten für Mädchen und Jungen mehr haben, sondern gemischte Aktivitäten. So bleibt der Fussball nicht mehr länger den Jungen vorbehalten.

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Sie haben schon häufig gesagt, dass der Fussball mehr und mehr weibliches Einfühlungsvermögen gebrauchen kann. Wie meinen Sie das?

In einer von Männern dominierten Welt ist der Blickwinkel der Frauen immer wichtig, weil es ein anderer ist! Das liegt daran, dass wir uns kulturell bedingt anders entwickelt haben. Da wir es schwerer haben, an Entscheidungspositionen zu kommen, war für uns die Zusammenarbeit mit anderen Frauen immer die beste Lösung – die Bildung eines Netzwerks, in dem wir uns kontinuierlich miteinander abstimmen. Dadurch haben Frauen ein Einfühlungsvermögen entwickelt, das Männer nicht haben.

Konnten Sie dies in Ihrem Klub umsetzen?

Wir sind dabei. Manchmal spiegelt die Anzahl der Frauen in der Vereinsführung den Arbeitsalltag nicht wider. Im letzten Jahr sind in unseren Abteilungen für Geschlechtergleichheit, gegen Gewalt gegen Frauen und für Menschenrechte sowie in der Mitgliederbetreuung und im Frauenfussball viele junge Frauen hinzugekommen. Hier sind die Frauen in der Mehrheit. Das wird in naher Zukunft unweigerlich zu mehr Frauen in Entscheidungspositionen führen.

Ist dieser Prozess auch generell im argentinischen Fussball im Gange? Auf den Fotos von wichtigen Zusammenkünften sind Sie noch immer die einzige Frau.

Ich habe da widersprüchliche Gefühle. Einerseits sind wir schon viel weiter gekommen, als ich mir mit 16 Jahren hätte vorstellen können. Andererseits gibt es noch viel Raum für Verbesserungen. Es wäre schön, wenn es mehr als eine Präsidentin oder mehr als eine Frau in einer wichtigen Funktion gäbe. Für diejenigen von uns, die über 30 sind, ist es ein langer Weg. Ich hoffe allerdings, dass die jüngeren Frauen gestärkt ins Rennen gehen, überzeugt davon sind, dass sie diese Positionen verdienen und sie für sich beanspruchen. Sie werden mehr erreichen als wir erreicht haben.

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Wie werden Sie von den männlichen Fans auf den Tribünen behandelt? Müssen Sie sich diskriminierende Bemerkungen anhören?

Das geschieht immer seltener und in der Regel nicht der direkten Konfrontation, sondern in den sozialen Netzwerken. Ein machohaftes Gebaren zahlt sich nicht mehr aus und trifft sogar bei anderen Männern auf Ablehnung. Ich akzeptiere es, wenn man mich mit Respekt hinterfragt, aber auf der Ebene Mitglied – Funktionärin, nicht auf der Ebene Mann – Frau.

Und wie sieht es mit Ihren männlichen Kollegen auf der Führungsebene aus? Haben Fussballfunktionäre sich im Umgang mit Frauen verbessert?

Ich wurde sehr gut aufgenommen, und im allgemeinen werden viele Vorurteile abgebaut, insbesondere bei Vätern von Frauen. Aber auch hier können wir weitere Fortschritte machen, und dazu dienen die Abteilungen für Geschlechtergleichheit. Niemand wird wissend geboren, und wir dürfen diejenigen, die noch hinterherhinken, nicht verurteilen. Vielmehr müssen wir sie davon überzeugen, dass wir alle gleich sind und dass die Frauen den Fussball für sich entdeckt haben, weil sie ihn lieben und ihnen in Leitungsfunktionen in nichts nachstehen.

Haben Sie es nicht satt, immer als 'die erste Frau, die zur Präsidentin eines Erstligaklubs gewählt wurde' bezeichnet zu werden?

Nein, überhaupt nicht! Es stimmt doch! Ich freue mich sehr darüber und bin auch stolz darauf. Das bringt jedoch auch viel Verantwortung mit sich, und manchmal spüre ich den Druck, alles besonders gut machen zu müssen, um ein gutes Vorbild für Frauen zu sein, die etwas Ähnliches anstreben.

Welches Vermächtnis möchten Sie diesen Frauen gern hinterlassen?

Ich hoffe, dass meine Präsidentschaft den Frauen auch bei anderen Klubs Türen öffnet. Den Klubs sollte bewusst werden, dass sie in anderen Bereichen bereits sehr fähige Frauen haben, die durchaus Managementaufgaben übernehmen können, und dass es wichtig ist, sie auf Schlüsselpositionen einzusetzen.

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Barbuto über …

Das war eine einzigartige Gelegenheit, mich als Führungskraft weiterzuentwickeln und mich mit den Protokollen der FIFA vertraut zu machen. Es hat mir Spaß gemacht, mit einer Gruppe hervorragender Spielerinnen zusammen zu sein, die mit ihren Aktionen viele Mädchen für den Frauenfussball begeistern konnten.

  • den Frauenfussball in Argentinien

Dank der Entscheidung für die Professionalisierung haben wir enorme Fortschritte gemacht. Durch Sponsoring wurden wichtige Ressourcen gewonnen, und die Fernsehübertragungen haben die Sportart in den Blickpunkt gerückt. Auch die Auftritte des Nationalteams in Frankreich waren entscheidend. Es gibt noch viel zu tun, weil wir erst am Anfang stehen, aber wir lernen aus unseren Fehlern. Im Vergleich zur Vergangenheit sind wir schon Lichtjahre weiter.