Dienstag 30 Oktober 2018, 09:25

Eine Trainerin revolutioniert den iranischen Frauenfussball

  • Die in den USA geborene Katayoun Khosrowyar sorgt für frischen Wind im iranischen Frauenfussball

  • Nach einem Familienurlaub blieb sie im Land und leitete umfangreiche Veränderungen im Frauenfussball ein

  • Die Trainerin der U-19-Nationalmannschaft will alle Stufen der Nationalteams beeinflussen

Oftmals dauert es im Leben frustrierend lang, bis bedeutsame Veränderungen erreicht werden. Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Entwicklung im iranischen Frauenfussball umso bemerkenswerter. Dabei beeindruckt nicht nur die Geschwindigkeit der Umwälzungen, sondern auch die Zielrichtung.

"Was ich hier mache, wäre vor fünf Jahren noch völlig unvorstellbar gewesen", so Katayoun Khosrowyar im Gespräch mit FIFA.com, unmittelbar nach einer Trainingseinheit mit der iranischen U-19-Frauen-Nationalmannschaft. Hier treibt sie die Umsetzung ihrer Vision voran und entwickelt eine Planung, um den iranischen Frauenfussball von ganz oben bis ganz unten vollständig umzukrempeln.

Und es spricht für sich, dass Khosrowyar und ihre Spielerinnen zu den Frauen gehörten, die vor wenigen Wochen als erste eingeladen wurden, ein Spiel der Männer-Nationalmannschaft im Azadi-Stadion in Teheran zu besuchen. Der neue Schwung, für den sie im Frauenfussball sorgt, schlägt Wellen im gesamten Sport und in der Gesellschaft.

Erste Reise nach Iran Khosrowyar wuchs in einer sportbegeisterten Familie auf. Ihr iranischer Vater war Triathlet und Profischwimmer. Schon als 17-Jährige hatte sie den Sprung aus der lokalen in die überregionale Fussballszene geschafft. Ihr weiterer Weg schien vorgezeichnet: Ein Stipendium für ein Fussball-College war ihr sicher und die Frauen-Nationalmannschaft der USA war der große Traum.

Doch die erste Reise nach Iran mit ihrer Familie sorgte für einen vollständigen Kurswechsel. Die junge Frau mit ihrem knallrot gefärbten Haarschopf und einem Augenbrauen-Piercing verliebte sich in das Land, die Kultur und die warmherzige Gastfreundschaft der Menschen. Natürlich wollte sie auch dort fit bleiben und Fussball spielen. "In unserem Haus hieß es stets: Essen, Trainieren, Schlafen – und dann das Ganze wieder von vorn", lacht sie.

Allerdings war Futsal für sie die einzige Möglichkeit, und obwohl sie damit nach eigener Aussage überhaupt nicht glücklich war, fiel ihr Talent einem Scout auf. Am Tag vor ihrer geplanten Abreise wurde Khosrowyar gefragt, ob sie für die gerade im Aufbau befindliche Frauen-Nationalmannschaft spielen wolle. Ihre Antwort stand sofort fest: "Wenn du als 17-Jährige gefragt wirst, ob du für eine Nationalmannschaft spielen möchtest, dann kann die Antwort nur 'Ja!' lauten."

Nachdem sie ihre Eltern überredet hatte, begann für Khosrowyar das große iranische Abenteuer – und das, obwohl sie kaum ein Wort Farsi sprach. "Die Kraft, die Entschlossenheit und die lebhafte Begeisterung der Frauen hier hat mich einfach in ihren Bann gezogen", so ihre Erklärung. "Sie waren fest entschlossen und willensstark – und ich wollte eine von ihnen sein."

Als sie 24 wurde, zog sich Khosrowyar indes aus dem Team zurück, da es so gut wie keine Weiterentwicklung gab. Ihr wurde klar, dass sie nur als Trainerin tatsächlich etwas bewegen konnte. "Ich habe beschlossen, mich auf die Zukunft zu konzentrieren. Dorthin wollte ich meine Energie lenken."

Veränderungen schon an der Basis Mit finanzieller Unterstützung der FIFA erwarb sie bereits als 26-Jährige eine Trainer-A-Lizenz. Seitdem arbeitet sie unermüdlich – und oftmals nahezu auf sich allein gestellt – dafür, im ganzen Land eine Infrastruktur aufzubauen, um Mädchen die Türen zum Fussball zu öffnen. Dafür allerdings musste sie die Mädchen erst einmal finden.

"Wenn ich in eine Stadt kam, ging ich zunächst einmal etwas herum und fragte, ob es vielleicht eine Fussballschule oder einen anderen Ort gibt, an dem Mädchen spielten", so Khosrowyar. "Meist wurde ich dann in einen Park geschickt, wo die Mädchen mit ihren Brüdern und Cousins spielten.

Anders konnte man sie nicht finden. Meine Familie scherzt immer, dass ich die Spielerinnen im Park regelrecht gekidnappt hätte", erzählt sie mit einem Lachen.

Zudem musste sie ein Netzwerk aus vertrauenswürdigen Trainerinnen aufbauen, die auch auf Aspekte wie Ernährung, Fitness und Vorbereitung achteten. Und die Methoden mussten modernisiert und ins 21. Jahrhundert überführt werden. "Sie hatten Bücher von vor 50 Jahren! Ich will nicht sagen, dass alles schlecht war, was vor 50 Jahren geschrieben wurde, aber sich den modernen Zeiten zu öffnen ist ja nun auch eine gute Sache." Heute verschaffen YouTube, Instagram und Co. stets neue Inspiration und immer wieder neue Variationen für die Trainingseinheiten.

Und mittlerweile steht auch der Fussballverband hinter Khosrowyar. "Die Unterstützung von dieser Seite kam eigentlich ganz unerwartet", erzählt sie. "Der Generalsekretär ging mit einer Gruppe Männer an einem Spielfeld vorbei und dachte, er würde Jungen beim Training sehen. Sie brachten Flanken herein, spielten Kopfbälle, gingen in Zweikämpfe... Der Generalsekretär rief mich zu sich und fragte: 'Sind das wirklich Mädchen?' Er erzählt mir immer wieder, dass er dank mir und meinem Team den Frauenfussball respektieren und schätzen gelernt hat. "

Da Khosrowyar das Spiel stets auch mit amerikanischen Augen sieht, bleiben natürlich Enttäuschungen nicht aus. Doch die veränderte Wahrnehmung des Sports hat dazu geführt, dass statt der früheren Widerstände nun Enthusiasmus ihre Ideen begleitet. "Wir haben diese Entwicklung beobachtet, die es so noch nie gegeben hat. Und auch die Spielerinnen selbst sind sich dessen bewusst."

Sollte Khosrowyar mit ihren Methoden Erfolg haben, dürften diese schnell auf alle Frauen-Nationalmannschaften des Landes übertragen werden. "Es beginnt alles mit der U-19-Auswahl. Wir sind das Vorbild, das nach oben und nach unten abfärben wird."

Und offenbar ist sie mit ihren Schützlingen auf dem richtigen Weg: Am Wochenende hat Khosrowyars Team den Einzug in die letzte Runde der Qualifikation für die AFC U-19-Frauen-Meisterschaft geschafft.