Mittwoch 06 Mai 2020, 06:00

Hussein: "Was für den Fussballplatz gilt, gilt auch in der Apotheke"

  • Riem Hussein wurde 2020 zur DFB-Schiedsrichterin des Jahres gewählt

  • Hussein, seit 2005 DFB-Schiedsrichterin, darf sich nach 2013 und 2016 zum dritten Mal über den Titel freuen

  • 2017 übernahm sie mit ihren Geschwistern die Apotheke ihres Vaters im Kurzentrum in Bad Harzburg

Auf dem Fussballplatz ist sie die "Chefin". Als Schiedsrichterin sorgt sie dafür, dass die Regeln eingehalten werden, trifft Entscheidungen, die nicht immer auf Gegenliebe stoßen und muss das eine oder andere Mal regelwidriges Verhalten durch disziplinarische Maßnahmen ahnden. Doch auch für Riem Hussein ruhte der Ball in diesen Zeiten. "Mir fehlt der Fussball schon sehr", erzählt sie im Interview mit FIFA.com. "Mein Berufsleben hat sich eigentlich nicht viel verändert. Ich habe schon immer neben der 'Schiedsrichterei' Vollzeit gearbeitet. Jetzt fehlt mir der sportliche Wettbewerb. Ich trainiere selbstverständlich weiterhin sehr ausgewogen – vielleicht sogar mehr als zu Wettbewerbszeiten, denn ich kann mein Training so planen, wie ich will. Es kommt kein Spiel, keine Reise oder irgendeine andere Belastung dazwischen. Von daher ist mein Leben in dem Bereich ein bisschen ruhiger geworden.“

Wenn Hussein von ihrem Berufsleben spricht, dann meint sie ihre Tätigkeit als Apothekerin. 2017 übernahm die dreimalige Schiedsrichterin des Jahres gemeinsam mit ihren Geschwistern Fadi und Fadwa die Apotheke ihres Vaters im Kurzentrum in Bad Harzburg. Beide Tätigkeiten unter einen Hut zu bringen? Nicht immer einfach. "Wenn ich Spiele oder Turniere habe, die ich weit im Voraus planen kann, ist das kein Problem. Wir arbeiten von Montag bis Samstagmittag und haben tagsüber durchgehend geöffnet. Aus rechtlichen Gründen muss immer ein Apotheker anwesend sein. Das ist die Besonderheit und die Schwierigkeit bei der Einteilung unserer Arbeitszeit. Zu dritt bekommen wir das aber sehr gut hin", sagt die 39-Jährige.

"Bei Spieleinsätzen in der 3. Liga, in der ich pfeife, oder in der 2. Bundesliga, in der ich als vierter Offizielle fungieren darf, erhalten die Spieloffiziellen die Ansetzungen offiziell nur wenige Tage vor dem Spieltag. Dieser erstreckt sich mitunter von Freitag bis Montag. Wir haben unsere Arbeitszeiten dann schon längst eingeteilt, so dass nach einer erfolgten Spieleinteilung für mich die Planung erst richtig losgeht. Ich tausche mit meinen Geschwistern die Dienste hin und her und versuche, Arbeit und Freizeit bestenfalls auszubalancieren, dass es keine Benachteiligungen innerhalb des Dienstplans gibt. So arbeite ich zumeist an den Wochenenden, an denen ich keine Spiele habe und bekomme frei, wenn ich im Einsatz bin. Dieser Planungsstress fällt in der jetzigen Zeit komplett weg.“

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Zwar fiel auf der einen Seite der Stress weg, dafür kam er auf der anderen hinzu. Als Apothekerin bekommt Hussein die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie hautnah zu spüren. "Insbesondere die Zeit im März war für uns sehr anstrengend. Es war sehr viel zu tun, es gab fast tagtäglich neue Meldungen von der Bundesregierung oder vom Robert-Koch-Institut. Jeden Tag haben die Wissenschaftler neue Erkenntnisse mitgeteilt und Verhaltensregeln empfohlen. Da wir immer für unsere Kunden da sein durften, waren wir eine der ersten Anlaufstellen, um auf die vielen offenen Fragen und Verunsicherungen, die unsere Mitmenschen hatten, zu reagieren. Wir haben beraten, beruhigt, betreut und beliefert. Wir haben unseren bisherigen Erfahrungsschatz, den wir mit anderen Infektionskrankheiten hatten, mit unseren Kunden geteilt und waren jeden Tag an vorderster Front, allerdings ohne Angst“, beschreibt sie, wie das Virus ihren Arbeitsalltag durcheinandergebracht hat. "Ich denke, das ist genau der richtige Weg den Mitmenschen zu zeigen, dass wir es ernst nehmen, aber uns nicht einigeln. Das ist ein sehr wichtiges Signal, das man an seine Mitmenschen aussendet.“

Als Schiedsrichterin versteht sich Hussein als Manager, hat es auf dem Platz mit den unterschiedlichsten Charakteren zu tun. Mit umgänglichen Menschen, aber auch etwas schwierigeren. Das spiegelt sich auch in ihrem Arbeitsleben wider.

"Wir versuchen Tag für Tag mit Hochdruck für die Bedürfnisse und Nöte unserer Kunden da zu sein. Bestimmte Lieferengpässe, die es momentan an Mund- und Nasenschutz, Desinfektionsmitteln oder auch vielen Arzneistoffen gibt, bringen auch uns an unsere Grenzen. Hier helfen mir meine Erfahrungen als Schiedsrichterin weiter", so die gebürtige Bad Harzburgerin.

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"Ich versuche mit sachlichen Argumenten und mit meiner Persönlichkeit die Kunden zu überzeugen und erreiche so in den meisten Fällen auch ein sehr gutes Miteinander. Als Schiedsrichterin im Berufsleben hilft es dabei, den richtigen Ton anzuschlagen und zu erkennen, welcher Ton in bestimmten Situationen angebracht und erforderlich ist. Glücklicherweise habe ich meine Gelbe und Rote Karte in der Apotheke bisher noch nicht gebraucht. Aber was für den Fussballplatz gilt, gilt für mich auch in der Apotheke: Viele Dinge entscheide und tue ich intuitiv."

Die letzten Wochen haben auch Spuren hinterlassen, waren körperlich und mental sehr fordernd und haben von Hussein und ihrem Team viel abverlangt. "Die Wochenenden und das tägliche Training helfen mir meine Batterien wieder aufzuladen. Das gelingt mir auch in der aktuellen Fastenzeit des Ramadans, denn in diesem Monat erlebe ich eine Art Selbstreinigung meines Körpers. Ansonsten versuche ich genug Schlaf zu bekommen und die Sorgen, die in uns allen stecken, wegzuwischen. Zum Glück habe ich einen Job, in dem ich mir um meine wirtschaftliche Situation keine Sorgen machen muss. Ich habe das große Glück, dass mein Beruf zu einem systemrelevanten Sektor gehört, der auch zu Zeiten des Lockdowns seine Türen öffnen durfte. Auch das Wissen, dass es meiner Familie gut geht, gibt mir viel Energie und Kraft."

Dr. Riem Hussein im Kurzporträt

  • Geboren am 26. Juli 1980 in Bad Harzburg

  • DFB-Schiedsrichterin seit 2005

  • FIFA-Schiedsrichterin seit 2009

  • FIFA-Turniere: U-20-Frauen-WM 2016, Frauen-WM 2019

  • Schiedsrichterin des Jahres 2012/2013 & 2015/2016

  • Beruf: Apothekerin

Dies ist ein Artikel unserer neuen Serie 'Women in Football - Frauen im Fussball', in der wir hinter die Kulissen blicken.