Dienstag 26 Mai 2020, 06:28

Hegerberg : "Ich werde noch stärker zurückkommen"

  • Ada Hegerberg wird nach ihrer Rückkehr eine andere Spielerin sein

  • Im Interview erklärt sie, wie schwierig es ist, auf dem besten Niveau zu bleiben

  • Die Stürmerin sieht Spielerinnen bei der Entwicklung des Frauenfussballs in der Verantwortung

"Nichts macht mir mehr Spaß als Fussball. Jetzt liegt es an mir, so hart zu arbeiten wie möglich, damit ich hoffentlich eines Tages davon leben und sehr lange auf höchstem Niveau spielen kann." Diese Aussage traf Ada Hegerberg 2012 anlässlich der FIFA U-20-Frauen-Weltmeisterschaft gegenüber FIFA.com. Sie war damals die jüngste Spielerin im norwegischen Team und machte deutlich, dass sie weiß, wo sie hin will und wie sie es schaffen kann.

Acht Jahre später ist das erste Ziel erreicht, denn Ada Hegerberg bestreitet ihren Lebensunterhalt mit dem Fussball. Darüber hinaus zählt sie mittlerweile zu den besten Spielerinnen des Planeten. Mit Blick auf die Philosophie hat sie sich keinen Deut verändert. Die Torjägerin von Olympique Lyon präsentiert sich Saison für Saison mit mustergültigem Arbeitseinsatz und großer Zielstrebigkeit, um das höchste Niveau aufrechtzuerhalten.

Diese Mentalität hilft ihr nun, den ersten schweren Rückschlag in ihrer Karriere zu überwinden. Hegerberg zog sich nämlich im Januar eine schwere Kreuzbandverletzung am Knie zu. Hinzu kam die durch die COVID-19-Pandemie erzwungene Isolation. Eine solche Situation hätte sicherlich so manche Spielerin entmutigt. Für Hegerberg stellt sie hingegen eine Zusatzmotivation dar: "Ich habe den Ehrgeiz, stärker als zuvor zurückzukommen", erklärt sie in einem Interview mit FIFA.com, in dem sie auch betont, wie wichtig es ist, dass sich jede einzelne Spielerin für die Förderung des Frauenfussballs einsetzt.

Ada, wie weit sind Sie mit Ihrem Rehaprogramm? Hat die Aussetzung der Wettbewerbe Sie veranlasst, Ihr Programm ein wenig zu ändern und sich mehr Zeit für die Vorbereitung zu nehmen?

Im Moment läuft alles sehr gut. Wir liegen gut im Zeitplan, und dem Knie geht es gut. Nach den ersten zweieinhalb Monaten habe ich die Talsohle durchschritten. Man hat mir gesagt, dass sei die schwierigste Zeit, daher bin ich jetzt sehr zuversichtlich. Aber die Situation hat nichts geändert. Das Programm ist gleich geblieben. Ich habe mir vorgenommen, mir so viel Zeit zu nehmen, wie ich brauche, um bei meiner Rückkehr aufs Spielfeld wieder bei 100 Prozent zu sein. Es geht darum, wieder auf dem Platz zu stehen, aber auch stärker als zuvor zurückzukommen. Diesen Ehrgeiz habe ich und darauf arbeite ich hin. Das ist eine mentale und körperliche Herausforderung, an der ich wachse.

Haben Sie durch die Zwangspause etwas mehr Zeit für sich gewonnen? Konnten Sie einen Schritt zurücktreten und über das nachdenken, was Sie bereits erreicht haben?

In der aktuellen Situation sind wir alle in unserem Leben etwas eingeschränkt und haben unsere persönliche Freiheit für das Wohl aller zurückgestellt. Das gibt einem Zeit, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Wenn ich mir überlege, was ich mit meiner Familie, meinen Freunden und meinem gesamten Umfeld alles erlebt habe, betrachte ich mich im Leben als privilegiert. Die mentale Gesundheit ist in dieser Situation sehr wichtig. Durch die Verletzung, aber auch durch Covid, habe ich etwas Abstand vom Fussball gewonnen und die Zeit genutzt, über das nachzudenken, was ich in den letzten Jahren erlebt habe und was ich in Zukunft machen möchte. Diese Situation ist eine große Herausforderung für mich. Gleichzeitig erlaubt sie mir aber auch, in meiner Karriere in eine neue Phase einzutreten und alles umzusetzen, was ich mir noch vorgenommen habe.

Ihre Verletzung und Reha sind mit den Ausgangsbeschränkungen zusammengefallen. Dabei braucht man gerade in einem solchen Moment Unterstützung. Wie sind Sie mit der Isolation zurechtgekommen?

Am meisten habe ich das Team vermisst, die Atmosphäre in der Kabine, mit allen gemeinsam auf dasselbe hinzuarbeiten. Das ist Fussball: Das gesamte Team hat dieselben Ziele, und wir arbeiten gemeinsam hart daran, sie zu erreichen. Und dann findest du dich plötzlich etwas abseits von allem wieder ... Das ist schon eine Herausforderung, aber dann konzentrierst du dich wieder mehr und mehr auf die Arbeit und die Reha, und es geht besser. Trotzdem kann ich es natürlich kaum erwarten, die Mädels und das ganze Team wiederzusehen!

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Gehören Sie zu den Menschen, die sich kurzfristige Ziele setzen, oder planen Sie eher langfristig?

Ich konzentriere mich immer voll und ganz auf die Vorbereitung. Wenn du weißt, dass du gut vorbereitet bist, stellen sich die Ergebnisse von ganz alleine ein. Das war schon immer meine Philosophie. Kurzfristige Ziele sind wichtig, zum Beispiel analysiere ich meine Leistung nach jeden Spiel, um es im nächsten Spiel besser zu machen. Aber auch große Träume musst du haben, ein Ziel, auf das du jeden Tag hinarbeitest. Allerdings darf man darüber nicht vergessen, in der Gegenwart zu leben. Es hat mir viel gebracht, mich auf jeden einzelnen Tag zu konzentrieren, den Augenblick zu genießen und der Zukunft nicht vorzugreifen. Letztendlich geht es darum, ein Gleichgewicht zwischen kurz- und langfristigen Zielen zu finden. Ich brauche beide, um gut zu arbeiten und Erfolg zu haben.

Glauben Sie, dass Sie sich noch verbessern können? Oder ist es ganz einfach Ihr Ziel, das aktuelle Niveau so lange wie möglich zu halten?

Die größte Motivation meiner Karriere ist es, mein Potenzial wirklich voll und ganz auszuschöpfen. Und das habe ich noch nicht getan! Wenn ich es schaffe, werde ich an dem Tag glücklich sein, an dem ich aufhöre. Das motiviert mich Tag für Tag. Ich hoffe, so lange wie möglich auf höchstem Niveau zu spielen und Freude daran zu haben, denn die Zeit geht schnell vorbei. Das ist eine Sache, die ich von älteren Teamkameradinnen gelernt habe: Die Karriere geht so schnell vorbei, dass du alles tun musst, um wirklich alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Mein Ziel ist es jetzt, die nächste Stufe zu erklimmen. Ich glaube nicht, dass ich nach meiner Rückkehr aufs Spielfeld noch dieselbe Spielerin sein werde, weil ich jetzt eine andere Phase durchmache – mental und auch körperlich. Ich gehe das Ganze mit viel Begeisterung und hoch motiviert an.

Für Olympique Lyon stellt sich aber dennoch die Frage: Kann man es überhaupt noch besser machen, wenn man ohnehin schon immer alles gewinnt? Ist es frustrierend sich sagen zu müssen, dass man nicht mehr höher hinaus kann?

Aber es ist doch immer noch besser, wenn man einen Erfolg ein zweites, drittes oder viertes Mal schafft! Das ist es doch, was im Sport am schwersten ist: sich auf dem höchsten Niveau zu halten, den Erfolg zu wiederholen. Die größten Sportler sind diejenigen, die sich am längsten auf dem Gipfel gehalten haben. Als Team haben wir das erreicht. Das ist fantastisch, aber es wird auch mit jedem Mal schwerer, sich oben zu halten. Das ist eine noch größere Herausforderung. Man muss vom Geleisteten profitieren, intelligent sein, jede Saison analysieren, schauen, was man gut gemacht hat, was man besser machen kann, was man ausbauen und was man ändern muss. Dazu sind viel Charakterstärke und Arbeit erforderlich. Und dieses Gerede, dass es 'langweilig' ist, immer zu gewinnen, muss aufhören! Von Zeit zu Zeit hören wir, dass etwas Neues kommen muss. Bei Lyon sind wir in der Lage, alles zu gewinnen, Jahr für Jahr. Aber das erfordert viel harte Arbeit, hohe Maßstäbe und Charakterstärke.

Der Frauenfussball entwickelt sich immer weiter. Haben Sie manchmal den Eindruck, dass Sie unablässig dafür werben müssen, damit die Begeisterung nicht schnell wieder abebbt?

Die größte Herausforderung besteht darin, dieses Interesse über die ganze Saison hinweg aufrechtzuerhalten. Es gibt super Spiele auf Vereinsebene, super Teams, super Spielerinnen und die Champions League hat ein gutes Niveau. Ziel ist es, dass die Leute jedes Wochenende ins Stadion kommen. Wir haben nach jedem großen Turnier erlebt, dass das Interesse abgeebbt ist, nachdem die Spielerinnen zu ihren Klubs zurückgekehrt sind. In der nächsten Etappe geht es also darum, das Interesse wachzuhalten. Alle Spielerinnen sind dafür verantwortlich. Wir müssen jeden Tag unsere Leistung bringen, mehr und mehr trainieren, ein gutes Niveau erreichen. Aber auch die Hilfe der Klubs, der Verbände, der UEFA und der FIFA ist erforderlich, um den Frauenfussball weiter zu fördern. Wir tun das nicht nur für uns als Einzelne, sondern für den Sport. Wir lieben diesen Sport sehr und wissen, dass es auch nach uns Mädchen und Frauen geben wird, die ihn praktizieren, genauso wie es die Pionierinnen vor uns gegeben hat. Wir haben die Chance, die Dinge zu ändern, damit die Entwicklung in die richtige Richtung geht.

Die Stars des Männerfussballs können sich ganz auf die Aktion auf dem Spielfeld konzentrieren, doch im Frauenfussball reicht es offenbar nicht aus, eine gute Spielerin zu sein. Müssen die Spitzenspielerinnen gleichzeitig als Botschafterinnen fungieren und abseits des Spielfelds für den Sport kämpfen?

Wenn die Frauen das Wort ergreifen können, umso besser. Sie tun das aus einem Verantwortungsgefühl für den Sport heraus. Unsere Sportart braucht Frauen, die etwas bewegen können. Wenn diese Spielerinnen vortreten, gehen sie damit auch die Verpflichtung ein, gute Leistungen zu bringen. Und das ist vielleicht das Wichtigste. Wenn du keine gute Leistung bringst, hat deine Stimme nicht dasselbe Gewicht. Erst kommt die Leistung. Dann bist du in der Position, etwas sagen zu können. Und wenn du aufgrund von guten Leistungen die Möglichkeit hast, ein Wörtchen mitzureden, dann wäre es schade, es nicht zu tun. Schließlich spielen wir nicht nur für uns selbst. Wir spielen für eine Welt, in der alle Mädchen die gleichen Chancen haben sollen. Ich finde es gut, dass sich immer mehr Spielerinnen Gehör verschaffen, denn wir können wirklich Einfluss auf die Entwicklung nehmen.

Viele charismatische Spielerinnen, die sich für die Entwicklung des Frauenfussballs stark machen, stehen am Ende ihrer Karriere, beispielsweise Megan Rapinoe oder Marta. Sind Sie bereit, den Staffelstab zu übernehmen?

Ja, aber erst einmal kommt es für mich darauf an, wieder Fussball zu spielen und meine Leistung zu bringen. Die Grundlage ist immer das Spiel, deshalb will ich zunächst einmal auf dem Platz alles geben. Andererseits ist es heute fast unmöglich, Fussballspielerin zu sein, ohne abseits des Spielfelds für den Sport zu kämpfen. Es gibt so viel zu tun, und wir möchten natürlich, dass die Dinge sich verbessern und die richtigen Bedingungen vorherrschen. Es stimmt, dass viele Spielerinnen, deren Stimmen Gewicht haben, erfahrener sind und vor dem Ende ihrer Karriere stehen. Das zeigt auch, dass es nicht immer leicht ist, sich Gehör zu verschaffen. Es gibt viel Kritik, viele Vorurteile, in der Gesellschaft und innerhalb des Sports. Wenn du etwas älter bist, hast du vielleicht mehr Erfahrung, mehr Selbstvertrauen. Es ist ganz wichtig, markante Persönlichkeiten zu haben, die den Weg weisen.

Ist das Niveau der letzten FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ ein guter Indikator für die Wirksamkeit der Maßnahmen zur Förderung des Frauenfussballs?

Diesen Eindruck hatte ich in Frankreich. Die WM hat den Menschen die Augen geöffnet, sie war ein großartiges Spektakel. Wir haben natürlich ein amerikanisches Team gesehen, das den europäischen Teams eine Lektion erteilt hat, aber insgesamt war es ein hervorragendes Turnier und eine sehr gute Werbung für den Frauenfussball. Jetzt gilt es, diesen Trend im Alltag der Klubs fortzusetzen, denn es wird die ganze Saison über viel gute Arbeit geleistet. Genau darin besteht die Herausforderung. Wir müssen das Interesse, das der Frauenfussball bei einer WM weckt, das ganze Jahr hindurch wachhalten.

Welche Ihrer Trophäen (kollektive und individuelle Auszeichnungen eingeschlossen) erfüllt Sie mit dem größten Stolz?

Diese Frage sollte man mir am Ende meiner Karriere stellen, denn noch gibt es viele Ziele, die ich erreichen möchte! Aber die schönsten Erinnerungen habe ich an die vier Titelgewinne in der Champions League. Auf individueller Ebene würde ich den Ballon d'Or nennen. Es wird mir jetzt erst richtig bewusst, was es bedeutet, die Erste zu sein. In dem Augenblick realisierst du das nicht, du willst jeden Tag weiter deine Leistung bringen. Aber ich hatte Zeit, über all das nachzudenken, was ich bis jetzt erlebt habe, und diese Trophäe, der erste Ballon d'Or des Frauenfussballs, war ein Riesenereignis für mich und für unseren Sport.

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