Donnerstag 22 März 2018, 07:15

Fara Williams: Zwischen den Welten 

  • Fara Williams war mehr als sechs Jahre ihres Lebens obdachlos

  • Das Nationaltrikot war lange Zeit ihr Rettungsanker

  • Englands Rekordnationalspielerin erzählt FIFA1904 ihre Geschichte

Das Nationaltrikot überzustreifen, ist immer noch ein ganz besonderer Moment für Fara Williams, auch wenn sie den Vorgang nun schon Dutzende Male zelebriert hat. Die englische Rekordnationalspielerin hat über 150 Einsätze mit den drei Löwen auf der Brust bestritten, das Gefühl aber ist immer noch dasselbe wie beim ersten Mal. Für ihr Land aufzulaufen, löst bei der 34-Jährigen einen Adrenalinstoß aus – gepaart mit einer gehörigen Portion Stolz.

Der Fussball nahm von klein auf einen wichtigen Teil im Leben von Fara Williams ein, die mit einer Schwester und zwei Brüdern bei ihrer Mutter aufwuchs – alle glühende Anhänger des FC Chelsea. Die Partien des Lieblingsklubs zu schauen, gehörte für sie zum Alltag dazu. So wie das Frühstück am Morgen und der Gang zur Schule. Als sie dann mit zwölf Jahren selbst zu Chelsea wechselte, ging ein Traum für das Mädchen in Erfüllung. "Das ist immer noch einer der unvergesslichsten Momente meiner Karriere", erinnert sie sich. Und es war auch der erste Schritt in Richtung Nationalteam, das sie in der Folge prägen sollte.

Fara Williams und ihr Jersey – es ist eine Verbindung, die für große Erfolge steht. Für Verantwortung, energiegeladene Partien und verwandelte Elfmeter. Gleichzeitig jedoch symbolisiert das Nationaltrikot für Williams etwas, das weit über das Sportliche hinausgeht. Es war lange Zeit ihr Rettungsanker, auf den sich ihr gesamtes Blickfeld richtete. Denn so hell Williams’ Fussballkarriere leuchtet, so beschwerlich gestaltete sich zeitweise der Weg, den sie dafür zurücklegen musste.

Williams war mehr als sechs Jahre ihres Lebens obdachlos. Während sie im Verein und beim Nationalteam konstant Leistung auf höchstem Niveau zeigte und dabei immer ein entschlossenes Gesicht aufsetzte, kämpfte sie mit privaten Problemen. Die Entfremdung von ihrer Familie führte dazu, dass sie mit 17 Jahren ihr Zuhause in Battersea, einem Stadtteil Londons, verließ und sich alleine durch die Großstadt kämpfte. Einmal hierhin, einmal dorthin. Im Sommer wie im Winter.

Sie erinnert sich daran, in welchem Ausmaß sie die Obdachlosigkeit getroffen hat. Wie sollte man sich auch als junge Frau auf eine Situation wie diese vorbereiten? Sie erinnert sich, wie sehr sie auf der Straße versuchte, möglichst verrückt und unnahbar zu erscheinen, damit die Leute Angst vor ihr hatten. Wie sie sich im Zickzackkurs fortbewegte und laute Geräusche von sich gab, damit man sie in Ruhe ließ. Und wie sie bei diesem Kampf ums Überleben dennoch die Zukunft nicht aus den Augen verlor. "Ich nahm es ziemlich locker, obdachlos zu sein", sagt sie heute mit ein wenig Abstand. "Mein Fokus galt dem Fussball. Ich wollte mein Land vertreten, und nichts konnte mich davon abhalten."

Ihren Freunden und Teamkolleginnen offenbaren konnte sie sich jedoch nicht. "Ich habe mir nie eine Blöße gegeben", sagt sie. Die Gründe dafür sind vielfältig. Natürlich verspürte sie Scham, aber auch den Wunsch, nicht aufgrund ihrer Situation beurteilt zu werden. Nur ganz wenige Menschen wussten, was mit Williams passiert war. Zum Beispiel Rachel Brown, mit der sie sich bei der Nationalelf das Zimmer teilte. "Niemand hat mich in dieser Zeit mehr unterstützt als sie", schwärmt Williams. Und Hope Powell, ihre damalige Trainerin bei Englands U-19, ahnte etwas. Sie hakte nach und schickte Williams zur Obdachlosenhilfe. Ein Schritt, den Williams selbst nie gewagt hätte. Sie erhielt dort einen eigenen Schlafsack und fühlte wieder ein kleines Stück Geborgenheit.

Als sie 2004 von Charlton Athletic zu Everton wechselte, gab das ihrem Leben eine neue Richtung. Mo Marley, Trainerin von Everton, nahm sich ihrer an und verschaffte ihr einen Job als Coach. Dadurch konnte Williams beginnen, etwas Eigenes aufzubauen – und im Fussball endgültig durchzustarten.

WM-Dritte 2015

Fara Williams nahm 2012 an den Olympischen Spielen teil, erreichte mit Englands Nationalteam 2009 bei der Europameisterschaft das Finale, das sie gegen Deutschland verlor (2:6), und wurde 2015 WM-Dritte. Mit fünf Toren ist sie englische Rekordtorschützin bei Weltmeisterschaften und gewann außerdem mit Everton den Ligapokal und den FA Women’s Cup.

Auch mit ihrer Mutter hat sie sich mittlerweile versöhnt. Sie sagt: "Meine Mutter dachte immer zuerst an die anderen. Sie arbeitete hart, hatte mehrere Jobs gleichzeitig und war deshalb ein riesiges Vorbild für mich.“ So lange von ihrer Familie getrennt gewesen zu sein, war das Schlimmste für Williams, auch wenn sie auf Kontaktversuche zunächst nicht reagierte. "Meine Dickköpfigkeit und mein Freiheitsdrang waren einfach zu groß. Ansonsten hätte ich mein Leben vielleicht schon viel früher wieder in den Griff kriegen können.“

Doch Ende gut, alles gut – zumindest für Fara Williams, denn die Bande zu ihrer Familie sind wieder stark. Als sie in der WM-Qualifikation 2011 gegen die Schweiz in der 50. Minute traf, war das der Anstoß dafür, die Kommunikation mit ihrer Mutter, die kurz darauf ihren 50. Geburtstag feierte, wieder aufzunehmen. Williams hat einen Ausweg gefunden und die Integration zurück ins geregelte Leben geschafft. Gleichzeitig hat sie aber ihre Zeit auf der Straße nicht vergessen. Und auch nicht, dass es viele Menschen gibt, die in der gleichen Situation sind, wie sie es war, die aber nicht den Fussball haben, an dem sie sich festhalten können. Diesen Menschen will sie weiterhin helfen – und als Vorbild dienen.

Wenn Fara Williams sich und ihr Leben nun beschreiben müsste, welche Wörter würde sie denn wählen? "Loyal und quirlig", sagt sie und betrachtet stolz ihre Nationaltrikots, die von so viel mehr erzählen als nur von den Spielen, an denen sie getragen wurden.