Montag 20 Februar 2017, 09:21

Ellis: "Wir müssen uns weiterentwickeln"

Das Jahr 2016 ist nicht unbedingt als erfolgreichstes Jahr in die Geschichte des U.S.-amerikanischen Frauenfussballs eingegangen. Nationaltrainerin Jill Ellis, die 2015 mit den Stars and Stripes die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ gewann, treibt ihr Programm indes weiterhin voran. Nach dem Ausscheiden im Viertelfinale von Rio de Janeiro 2016 meldeten sich die USA mit sechs Siegen in Folge in Freundschaftsspielen zurück: Es gab einen 3:1-Sieg gegen die aufstrebenden Niederlande und ungefährdete Erfolge gegen Thailand, Rumänien und die Schweiz, wobei zahlreiche neue Spielerinnen zum Einsatz kamen.

Ellis ist entschlossen, mit ihrem Team trotz der stetig stärker werdenden Konkurrenz den Platz an der Spitze des weltweiten Frauenfussballs zu behaupten. Sie sprach exklusiv mit FIFA.com über die Lektionen des enttäuschenden Jahres 2016, den Umgang mit dem Erfolgsdruck in ihrer Position und viele weitere Themen.

FIFA.com: Auf dem Papier war das Jahr 2016 für die traditionell so erfolgreiche Frauen-Nationalmannschaft der USA nicht besonders denkwürdig. Was aber haben Sie hinter den Kulissen erreicht? Jill Ellis: Es war von Anfang an klar, dass 2016 ein Jahr des Übergangs werden würde, da gleich mehrere unserer Topspielerinnen ihre Karriere beendet haben. Daher war es für uns besonders wichtig, neue Spielerinnen zu integrieren und uns als Mannschaft weiterzuentwickeln. Es ist uns gelungen, bestimmte Aspekte unserer Spielweise zu verbessern.  Doch in Zukunft, bei der nächsten Weltmeisterschaft, wird es sich auszahlen, dass wir jüngere Spielerinnen wie Mallory Pugh ins Team integriert haben und ihnen die Chance gegeben haben, ein Weltturnier wie die Olympischen Spiele zu erleben. Normalerweise unterscheidet sich der Kader für die Olympischen Spiele kaum von dem für die Weltmeisterschaft. Aber dieses Mal haben wir einiges durcheinander gewürfelt und neue Spielerinnen mitgebracht. Das ist sehr wichtig, denn darin besteht unsere Entwicklung. Wir wollen Weltmeistertitel gewinnen. Daher war es wichtig, den Spielerinnen auf diese Weise Erfahrung zu vermitteln.

Trainer werden in gewissem Maße von früheren Trainern und Spielern beeinflusst. Wer hat auf Ihre Karriere als Trainerin besonders großen Einfluss gehabt? Das waren sehr viele. In meiner Zeit im College-Fussball ging es darum, Spielerinnen zu rekrutieren und in diesem Umfeld meine Kenntnisse und mein Können als Trainerin zu verbessern. Das war sehr hilfreich. Das schreibe ich allen Spielerinnen zu, die ich im College-Fussball trainiert habe. Mein Vater hatte großen Einfluss auf mich. Er war selbst auch Trainer und hat mir die ersten tieferen Einblicke verschafft, worauf es bei der Betreuung eines Teams ankommt. Während meiner College-Zeit war April Heinrichs unsere Assistenztrainerin. Sie war früher eine herausragende Spielerin und Nationaltrainerin. Es gab also sehr viele Leute, die mich beeinflusst haben. Und ich lerne begierig. Ich sehe sehr gern Fussball und lerne dabei, und ich schaue auch andere Sportarten und versuche, etwas mitzunehmen. Was die Spielerinnen angeht: Man kann sich von jeder Spielerin etwas abschauen und etwas lernen. Abby (Wambach) beispielsweise war eine fantastische Spielerin, mit der man prima arbeiten konnte. Sie verfügte über Führungsstärke, eine perfekte Einstellung und konnte die Spielerinnen um sie herum motivieren. Es war fantastisch, diese Stärken immer wieder mitzuerleben.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie ein Talent als Trainerin haben? Schon als ich noch sehr jung war, stellte mein Vater mich in seinen Trainingslagern manchmal vor 250 Leute und sagte: 'Los, bring ihnen die Grundlagen des Angriffs und der Verteidigung bei!' Ich bin also schon seit Langem daran gewöhnt, vor vielen Leuten zu stehen. Eigentlich bin ich ja eher etwas schüchtern, doch wenn man dann da steht, muss man einfach diesen Schritt tun und die Aufgabe erfüllen. Mir wurde klar, dass es mir eigentlich gar nicht so schwer fällt, vor vielen Menschen Präsenz zu zeigen. Ich habe mich selbst nie daran gemessen, mit meiner Tätigkeit erfolgreich oder gut zu sein. Ich habe es einfach gemacht. Wenn man an eine Aufgabe so herangeht, dann hofft man einfach, dass eins zum anderen kommt. Dass ich mir selbst treu geblieben bin, ist wohl der wichtigste Aspekt meiner Tätigkeit als Trainerin. Meine Persönlichkeit spiegelt sich in vielen Aspekten in meinem Stil als Trainerin wider.

Warum lieben Sie die Trainertätigkeit? Warum sind Sie Trainerin geworden? Eigentlich hatte ich das nicht geplant. Damals war in Amerika eine Trainerlaufbahn noch nicht unbedingt der Weg für viele Frauen. Ich war einige Jahre im Unternehmensbereich tätig und habe mich auch als Autorin betätigt. Aber meine Leidenschaft hat mich zurück zum Fussball geführt und ich bekam die Gelegenheit, einen Job zu übernehmen. Da habe ich nicht lange gezögert. Es war in gewisser Weise ein Sprung ins Ungewisse. Die Bezahlung war sehr gering. War das also damals tatsächlich die Entscheidung, diesen Karriereweg einzuschlagen? Nein. Es war eher eine Entscheidung aus Leidenschaft für das, was ich liebe. Ich liebe die Menschen im Fussball und natürlich den Fussball selbst. Es sind die Menschen, mit denen man es zu tun hat, die man trifft, von denen man lernt und die man beeinflusst, die diesen Sport so aufregend und interessant machen.

Welche Lektionen haben Sie als Trainerin im vergangenen Jahr gelernt? Eine ganze Reihe guter Lektionen. Die wichtigste Erkenntnis der WM habe ich auch meinen Spielerinnen erläutert. Der Frauenfussball entwickelt sich derzeit so schnell, dass unser aktueller Stand nicht ausreichen wird, um 2019 die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Wir müssen uns weiterentwickeln. Die Spielerinnen haben das verinnerlicht. Wenn man etwas gewonnen hat, denkt man nicht selten, man wäre am Ziel angekommen. Keine Chance! Wir müssen uns weiterentwickeln, weil sich der gesamte Frauenfussball so schnell weiterentwickelt. Was die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele angeht, mussten wir dieses Mal mehr Faktoren berücksichtigen als zuvor. Beispielsweise auch die Verpflichtungen der Spielerinnen bei ihren Klubs. Damit müssen sich viele Trainer in aller Welt beschäftigen. Unsere Spielerinnen haben versucht, ihre Verpflichtungen bei den Klubs zu erfüllen und zusätzlich für die Nationalmannschaft zur Verfügung zu stehen. Das war für uns eine neue Erfahrung. Früher hatten wir die Spielerinnen stets zur Verfügung, wenn wir sie brauchten. Es war sehr wichtig, in dieser Hinsicht mit den Klubtrainern zusammenzuarbeiten. Außerdem mussten wir auch mit Verletzungen und anderen Problemen klar kommen. All diese Dinge haben auch zu meiner Entwicklung beigetragen.

Die USA sind an hohen Leistungs- und Erfolgsdruck bei großen Turnieren gewöhnt. Wie gehen Sie mit diesem Druck um? Genießen Sie diese Situation? Wer nicht darauf vorbereitet ist, mit dem Druck umzugehen, sollte nicht ins Trainergeschäft einsteigen. Schließlich bemisst sich hier alles an Siegen und Niederlagen, oder nicht? Wenn man schon mit der Angst vor einer Niederlage an eine Herausforderung herangeht, kann man eigentlich keinen wirklichen Erfolg haben. Man muss jedes Detail in der Planung berücksichtigen. Wenn dann am Ende alles wie geplant funktioniert, ist das ein fantastisches Gefühl. Aber wenn nicht? Dann muss man wieder zurück zur Planung und sich wieder neu engagieren. Ich habe diese Aufgabe bewusst gewählt und ich wusste, wie es läuft. Ich weiß, dass man sich in dieser Position kaum Fehler leisten kann. Man weiß einfach, dass man siegen muss. Aber mir gefällt das und  ich kann nachts gut schlafen. Ich empfinde keinen Druck. Denn wenn man die Erwartungen kennt, dann weiß man, worauf man sich einlässt. Man lebt einfach damit.

2017 steht für die USA kein großes Turnier auf dem Programm. Wie sieht für Sie und Ihr Team ein erfolgreiches Jahr 2017 aus? Unser wichtigster Schwerpunkt nach den Olympischen Spielen lag darauf, weiterhin ein anspruchsvolles Programm zu absolvieren. Wir werden gegen Japan, England, Deutschland, Frankreich und Brasilien spielen. Gegen all diese Teams sind Spiele geplant. Das ist wichtig. Man kann sich nicht einfach ein Jahr Pause gönnen. Der zweite Schwerpunkt war die Erweiterung unseres Kaders. Ich habe mir sehr viele Spielerinnen angesehen. Damit haben wir sofort nach den Olympischen Spielen begonnen. Eine ganze Reihe Spielerinnen haben ihre ersten Länderspiele bestritten. Wir bauen also bereits das Team für 2019 auf. Zunächst muss man geeignete Spielerinnen finden, sie in den Kader holen und dann dafür sorgen, dass die Mannschaft zusammenwächst. Wir haben durchaus einige größere Turniere vor uns. Da wäre beispielsweise der SheBelieves Cup, zu dem Deutschland, England und Frankreich kommen. Das ist ein sehr anspruchsvolles Turnier, bei dem wir eine gute Standortbestimmung bekommen. Wichtig ist für uns in diesem Jahr, dass unsere jüngeren Spielerinnen Erfahrungen gegen diese Spitzenmannschaften sammeln. Das wird uns in Zukunft zugute kommen.

Welches Vermächtnis hoffen Sie zu hinterlassen, wenn Sie Ihre Karriere als Trainerin beenden? Ich hoffe, dass die Spielerinnen spüren, dass sie mit mir eine Trainerin haben, die sich für ihre Entwicklung und Leistung engagiert und dass sie ihre Erfahrungen genießen. Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist der "Draht" zu den Spielerinnen und dem gesamten Stab. Es ist ein gutes Vermächtnis, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle wohlfühlen und dazugehören wollen. Und wenn wir auf dem Weg noch ein paar Titel und Medaillen holen können, wäre das natürlich auch nicht schlecht! Im Rückblick auf meine Karriere denke ich allerdings nicht in erster Linie an Medaillen. Ich denke an die Menschen, die meinen Weg gekreuzt haben, von denen ich etwas gelernt habe, mit denen ich gemeinsam gelacht und vielleicht auch mal ein paar Tränen vergossen habe. Das sind die Erinnerungen, die ich mitnehmen werde.