Montag 18 Januar 2021, 11:37

Ein historisches Finale: zwei Geschichten und ein "Superclásico"

  • Boca und River spielen ersten Profititel in Argentinien aus

  • Lorena Benítez und Lucía Martelli spielen eine wichtige Rolle bei diesem Duell

  • Ihre Geschichten verdeutlichen, um welchen Meilenstein es sich hier handelt

Lorenzo – so wurde Lorena Benítez als Kind von ihren Teamkameraden genannt, wenn sie bei Turnieren zwischen den Stadtvierteln antrat. Um überhaupt spielen zu dürfen, musste sie sich außerdem die Ohrringe herausnehmen und sich als Junge ausweisen.

Bei Lucía Martelli wollten die Eltern nicht, dass sie Fussball spielte. Sie hielten den Fussball für kein gutes Umfeld für ihre Tochter und konnten sich schon gar nicht vorstellen, dass sie damit in Zukunft ihren Lebensunterhalt verdienen könnte. Sie sollte einmal studieren.

Heute ist Benítez 22 Jahre alt, hat bereits an einer FIFA Frauen-Weltmeisterschaft teilgenommen und gilt als eine der besten Fussballspielerinnen Argentiniens. Außerdem ist sie Mutter von Zwillingen und arbeitet auf dem zentralen Obst- und Gemüsemarkt in Buenos Aires.

Martelli ist 31 Jahre alt und bringt seit einigen Spielzeiten die gegnerischen Verteidigerinnen in Bedrängnis. Aber das ist noch nicht alles. Mitten in der Pandemie machte sie ihren Abschluss als Tierärztin, ein Beruf, den sie neben ihrer Leidenschaft für das runde Leder ausübt.

Am Dienstag, 19. Januar, werden die beiden Akteurinnen nun in den Reihen von Boca Juniors und River Plate eine wichtige Rolle im Finale der ersten Meisterschaft des professionellen Frauenfussballs in Argentinien spielen. Der Superclásico stellt in dem südamerikanischen Land einen Meilenstein für den Frauenfussball dar.

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Das Leben geht verschlungene Wege

"Ich war mir nicht wirklich bewusst, was da vor sich ging, aber ich wollte einfach nur spielen und hatte Spaß daran", so Benítez im Gespräch mit FIFA.com. "Heute hat sich die Situation geändert, und es gibt viele Frauenfussballschulen. Das alles hat mir geholfen, mich als Spielerin und als Persönlichkeit zu entwickeln", fügt die Mittelfeldspielerin hinzu.

Erst mit elf Jahren stieß Benítez zu einer Mädchenmannschaft und lernte dort diejenigen kennen, die sie zu San Lorenzo de Almagro brachten. Dort gab sie im Alter von 14 Jahren ihr Debüt in der ersten Liga. Den Sprung zu Boca schaffte sie dann 2016, zwischenzeitlich war sie bereits in die Juniorinnen-Nationalteams berufen worden.

2017 konnte sie sich außerdem im Futsal profilieren, und zwar bei Kimberley. Dort lernte sie Verónica kennen, ihre Lebensgefährtin, mit der sie die Zwillinge Renata und Ezequiel hat, die wenige Tage vor ihrer Abreise zur WM nach Frankreich zur Welt kamen. "Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn sich die Dinge anders entwickelt hätten. Heute bin ich glücklich."

Martelli blickt auf eine andere Lebensgeschichte zurück. "Der Fussball hat mich ausgesucht, nicht umgekehrt. In meinen Plänen kam er eigentlich nicht vor. Als Mädchen wurde ich davon abgehalten zu spielen, dabei wäre das in technischer Hinsicht sicher gut für mich gewesen. Der Wunsch, Fussballerin zu werden, entstand erst vor etwa drei Jahren", so die Stürmerin gegenüber FIFA.com.

Ich habe Tiermedizin studiert und nebenbei mit meinen Freundinnen für die Auswahl der Universiät Buenos Aires (UBA) gespielt. Wir haben zweimal die Woche trainiert und einmal im Jahr ein Turnier gespielt. Doch dann hat das Leben mir Chancen eröffnet", meint sie.

Die erste bekam sie 2018, als sie schon nicht mehr für die UBA spielte, und Fabiana Vallejos (heute bei Boca) ihr vorschlug, nach Kolumbien zu ziehen und dort für Deportivo Huila zu spielen. "Obwohl das total verrückt zu sein schien, habe ich das Angebot angenommen und meinen ersten Vertrag unterzeichnet, bevor ich dann hier Profi wurde", so Martelli weiter.

Noch im selben Jahr gewann sie die Copa Libertadores und steuerte ein Tor zu diesem Erfolg bei. "Da wurde mir bewusst, dass ich nicht nur Spaß am Fussball hatte, sondern dass die Trainer ein Auge auf mich geworfen hatten und dass ich mit diesem Talent etwas anfangen könnte. Das war schon der Hammer, mit 28 Jahren zu erkennen, dass ich damit wirklich etwas machen konnte."

Bei ihrer Rückkehr war sie zunächst vereinslos, durfte jedoch bei River mittrainieren. Einige Monate später unterzeichnete sie dort ihren zweiten Vertrag. "Bis heute habe ich mich immer wieder für den Fussball entschieden, der mein Hauptberuf ist. Ich bin zwar auch Tierärztin, aber das steht an zweiter Stelle."

Professionalisierung, Derby und dann ...

Obwohl beide noch eine zweite Beschäftigung ausüben, ist die Professionalisierung des argentinischen Frauenfussballs für sie ein historischer Meilenstein, der sie begeistert. "[Die Sportart] entwickelt sich in Riesenschritten, insbesondere seit der WM. Es ist schade, dass der Aufwärtstrend durch die Pandemie ausgebremst wurde", so Benítez, nachdem die erste Auflage des Turniers durch COVID-19 kürzer ausfiel als geplant.

"Der AFA und die Klubs haben begriffen, woran es gemangelt hat, aber es gibt noch viel zu tun. Wir müssen dieselben Rahmenbedingungen bekommen wie die Männer. Im Nationalteam ist das schon gelungen: Wir haben Umkleidekabinen, Trainingslager und schlafen im gleichen Bett wie Messi", fügt sie hinzu.

Martelli führt das Ganze näher aus: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich das hier erlebe, aber es ist schön, daran teilzuhaben. Jetzt gilt es, den Fussball im Landesinneren voranzubringen, sich um die Ausbildungsabteilungen zu kümmern und dafür zu sorgen, dass alle Spielerinnen bei ihren Vereinen einen Vertrag bekommen."

Im ersten Spiel der Profi-Ära setzte sich Boca letztes Jahr im September in der berühmten Bombonera mit 5:0 gegen River durch. Diesmal erwarten sowohl Benítez als auch Martelli jedoch eine viel ausgeglichenere Partie. Einmal abgesehen vom sportlichen Aspekt fühlen sich auch beide wohl in ihrer Vorbildrolle. In diesem Zusammenhang ist das "Superfinale" für sie ein ausgesprochen positives Ereignis für die Förderung der Sportart.

"Wir wollten gegen River spielen, weil das diese Revolution, die wir gerade erleben, weiter vorantreibt. Ohne Pandemie wäre der Rahmen dieses Spiels wirklich beeindruckend. Die Leute hätten keine Extra-Einladung gebraucht", versichert Benítez, beste Passgeberin des Viertelfinales (69, 80 % Passgenauigkeit) und des Halbfinales (63, 79 %).

"Der Clásico wird viele Zuschauer anziehen, weil darüber hinaus beide Teams guten Fussball spielen. Es sind die beiden besten Teams", so Martelli, die fünf Tore auf dem Konto hat. "Jetzt müssen alle Akteurinnen und Akteure dafür kämpfen, dass der Frauenfussball in der Gesellschaft kein Exot mehr ist, sondern ein integraler Bestandteil der Fussballkultur wird."

Gegenseitiges Lob

"Sie ist so etwas wie unsere 'Messi', die Beste oder eine der Besten. Mit dem Ball am Fuß vollbringt sie wahre Wunder, und dank ihrer Intelligenz lässt sie den Fussball ganz leicht ausschauen. Außerdem hat sie noch einen zweiten Job und zwei Kinder, die sie versorgen und erziehen muss. Sie ist eine Superfrau, eine Heldin für die Kultur des argentinischen Frauenfussballs." Martelli über Benítez

"Das sind schöne Komplimente, die mich sehr berühren, denn ich kenne sie nur vom Spielfeld. Ich weiß, was sie an der UBA und in Huila geleistet hat und was für eine hochklassige Stürmerin sie ist. Sie hat Zug zum Tor, beherrscht das Stellungsspiel und kann uns gefährlich werden. Wir dürfen sie nicht aus den Augen lassen." Benítez über Martelli

Schon gewusst?

2020, mitten in der Pandemie, stellte der argentinische Fussballverband (AFA) der FIFA seine Estrategia Integral 2021-2025 vor, ein Programm, in dessen Mittelpunkt die Klubs, deren Nachwuchsabteilungen, Lizenzen und die Organisation der Sportart auf Landesebene stehen.

Über das Forward-Programm unterstützt die FIFA den AFA bei der Organisation der Copa Federal del Fútbol Femenino, einem Turnier mit 32 Teams aus allen Landesteilen. Dank dieser Unterstützung ist die Austragung der ersten drei Auflagen gesichert.

Im Rahmen eines weiteren Projekts des Forward-Programms unterstützt die FIFA den AFA beim Bau eines technologischen Entwicklungszentrums für das Schiedsrichterwesen (Centro de Desarrollo Tecnológico de Arbitraje), um den Einsatz des Videobeweises zu ermöglichen und die Fähigkeiten der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter auszubauen.