Donnerstag 10 Mai 2012, 07:05

Bini: "Die Wahrheit liegt auf dem Platz"

"Ich bin nur ein kleiner Traumhändler, der seine Schützlinge so gut wie möglich trainieren und inspirieren will", sagt der Trainer der französischen Frauen-Nationalmannschaft, die bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ im vergangenen Jahr mit dem Erreichen des vierten Platzes sportliches Neuland betrat.

Das überraschend gute Abschneiden bei dem Turnier 2011 in Deutschland hat in Frankreich zu einem enorm gesteigerten Interesse geführt. "Was sich nach der WM geändert hat? Nun, eigentlich fast alles", so Bini im Gespräch mit FIFA.com. "Frankreich hat sich regelrecht in unser Team verliebt und die Mannschaft aus zweierlei Gründen voll und ganz akzeptiert: zum einen wegen der spielerischen Entwicklung und  zum anderen wegen der Werte, für die das Team steht."

Bini übernahm die Leitung der französischen Frauen-Nationalmannschaft 2007. Er führte das Team zum besten Abschneiden bei einer UEFA Europameisterschaft (Viertelfinale 2009), ins Halbfinale der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2011™ und zum Gewinn der Goldmedaille beim Zypern-Cup 2012. Im Juli steht ein weiterer Meilenstein ins Haus, wenn die Französinnen ihr Debüt bei den Olympischen Spielen feiern.

Charisma und Kreativität "Ich schreibe jeden Abend einen Journaleintrag, den ich im Hotel aushänge. Und ich achte darauf, dass jeder daran vorbeigehen und den Text lesen muss", so Bini. "Eine Seite bleibt dabei immer gleich. Nur das Datum wird geändert. 'Heute wird wieder ein schöner Tag.' Das ist meine Philosophie und diese Philosophie will ich auf die französische Mannschaft übertragen. Es ist ein schöner Tag. Immer."

Diese positive, optimistische Grundhaltung des charismatischen Trainers wollen die Französinnen beim Olympischen Fussballturnier der Frauen vom 25. Juli bis 9. August in gute Resultate ummünzen. "Wir treffen gleich im ersten Spiel auf die beste Mannschaft, nämlich Titelverteidiger USA. Es wird ein sehr umkämpftes Spiel werden. Letztlich liegt die Wahrheit auf dem Platz", so Bini.

Nach dem guten Abschneiden bei der WM stehen die Französinnen weitaus stärker im Blickpunkt als bisher. Doch die hohen Erwartungen im Vorfeld der Olympischen Spiele haben auch ihre Tücken. "Nach der WM mit all der medialen Aufmerksamkeit musste ich mit den Spielerinnen sprechen", so Bini. "Bei all dem Rummel und der großen Aufmerksamkeit kommen schnell mal Egos und Allüren an die Oberfläche. Ich musste dafür sorgen, dass allen in der Gruppe klar ist, dass wir auch weiterhin auf die Einheit setzen müssen. Es ist viel leichter, Probleme gemeinsam anzugehen."

Das Projekt "Gemeinsam leben" Die philosophischen Äußerungen, für die Bini mittlerweile bekannt ist, könnte man einfach als schön dahergesagte Phrasen eines leichten Exzentrikers abtun. Der Franzose, der die eigene Person sehr in den Hintergrund stellt, hat sogar einmal gesagt, wenn er kein Fussballtrainer wäre, dann würde er es vielleicht als Clown versuchen. Doch seine Philosophien sind keineswegs nur rhetorische Äußerungen für Pressekonferenzen.

"Als ich das Team 2007 übernahm, habe ich den Schlüssel des Besprechungsraums an die Spielführerin übergeben. Ich sagte: 'In zehn Tagen möchte ich einen Vorschlag sehen, wie wir zusammenleben können.' Also haben die Spielerinnen Regeln aufgestellt und aufgeschrieben. Allerdings waren ihre Regeln viel strenger als ich selbst sie vorgeschlagen hätte. Aber es sind ihre eigenen Regeln, und entsprechend gibt es auch keine Probleme damit."

Die Bekanntgabe der Aufstellung erfolgt oft mit Kinderfotos der Spielerinnen. Außerdem nimmt Bini gern seine Gitarre und singt der Mannschaft etwas vor. Er sagt selbst, dass er über 30 Songs geschrieben hat. Und das sind nur einige der kreativen und kongenialen Maßnahmen, die im Projekt Gemeinsam leben umgesetzt werden. "Wir leben gut miteinander, um gut miteinander zu spielen. Dies ist das Projekt des französischen Auswahlkomitees", so Bini.

Seine teils unkonventionellen Maßnahmen und seine Taktik ziehen durchaus auch Kritik nach sich. Viel davon richtete sich gegen seine Auswahl des Kaders für Deutschland 2011. "Beim Zusammenstellen der Liste musste ich 21 Spielerinnen für das Turnier auswählen. Ich habe mir immer wieder die gleiche Frage gestellt: Was ist für die Gruppe am besten? Dabei habe ich Blut und Wasser geschwitzt, aber das Leben hat mich gelehrt, dass das Beste für mich nicht immer auch das Beste für die Gruppe ist. Doch andersherum ist das Beste für die Gruppe immer das Beste für mich", fügt er hinzu.

Schwere Gruppe Bei ihrem Olympia-Debüt sind die Bleues in Gruppe G gelandet, in der neben Kolumbien und der DVR Korea auch die USA spielen, die bei drei der letzten vier Olympischen Turniere die Goldmedaille holten.

"Wie immer kann man nicht von einer guten oder schlechten Auslosung sprechen", meint Bini. "Wir starten mit dem Spiel gegen die USA, das heißt, wir müssen gleich zu Beginn in Topform sein und versuchen, einen guten Turnierauftakt hinzulegen. Uns stehen drei Gruppenspiele auf hohem Niveau in wunderschönen Stadien bevor."

Frankreich hat noch eine offene Rechnung mit den USA, denn  das Team von Pia Sundhage besiegte die Bleues im Halbfinale der WM 2011. Doch der Trainer stellt nicht die Niederlage an sich in den Mittelpunkt. "Es ist wichtig, dass die Spielerinnen wissen, dass der Trainer ihnen auch Fehler zugesteht", so Bini. "Das Entscheidende ist nicht, einen Fehler nicht zu machen, sondern aus einem Fehler zu lernen."

Für den Trainer stehen Kampf und Widerstandskraft eher im Mittelpunkt, als nur die Ergebnisse. "Gib niemals auf. Lass niemals nach. Wenn Du durch die Tür hinausbefördert wirst, dann komm durch das Fenster wieder herein. Beim nächsten Mal ist die Tür dann vielleicht offen."

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