Sonntag 27 Dezember 2020, 08:12

Berger: "Ich bin noch der Underdog"

  • Mit ihrem Debüt in der DFB-Auswahl ging für Ann-Katrin Berger ein Kindheitstraum in Erfüllung

  • Die Torhüterin des FC Chelsea gehörte zu den Nominierten für die Auszeichnung The Best – FIFA-Welttorhüterin 2020

  • "Für mich persönlich war es ein sehr gutes Jahr"

Wer kennt sie nicht, die legendären Panini-Sammelalben zur Welt- und Europameisterschaft, die für viele Fans ein Muss sind? Sticker und Bilder werden gesammelt, geklebt, getauscht und so manch einer träumt davon, einmal selbst in so einem Album aufzutauchen. So lange wollte Ann-Katrin Berger, die im letzten EM-Qualifikationsspiel Deutschlands ihr Nationalmannschafts-Debüt gab, allerdings nicht warten.

"Ich habe früher immer ein kleines Din-A-4-Blatt von der deutschen Nationalmannschaft gehabt. Ich habe dann ein Schulfoto von mir ausgeschnitten und mein Gesicht auf das Gesicht einer der Torhüterinnen geklebt. Das kam mir als Erstes in den Sinn", beschreibt Berger den Moment, als sie im Spiel gegen die Republik Irland den Platz betrat. "Jetzt hatte ich endlich das geschafft, worauf ich jahrelang hingearbeitet hatte. Es hat mich mit Stolz erfüllt, und für mich ist ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Es hat mich sehr stolz gemacht, auch für meine Familie, die so viel in mich investiert und akzeptiert hat, dass ich im Ausland lebe und wir uns nicht so oft sehen. So einen Moment hätte man natürlich gerne mit der Familie gefeiert, aber sie waren in meinem Herzen dabei und ich habe innerlich gefeiert", führt sie Interview mit FIFA.com weiter aus.

Gefeiert hat die 30-Jährige auch den Umstand zu den Nominierten für die Wahl zur The Best FIFA-Welttorhüterin 2020 zu gehören. In einem Jahr, dass die Normalität vermissen ließ und die Sportlerinnen vor völlig neue Herausforderungen gestellt hat. "Abgesehen von der Pandemie war es für mich ein sehr erfolgreiches Jahr – individuell, aber auch für meine Mannschaft. Aufgrund dessen würde ich sagen, dass die Pandemie zwar statt fand, ich mich nicht zu sehr darauf fokussieren wollte – ich habe mich auf den Sport fokussiert. Das war sozusagen mein safe place, für mich gab es nichts anderes. Ich habe noch mehr Zeit gehabt, an mir selbst zu arbeiten", so die Torhüterin, für die es schon ein Gewinn war unter den besten Sechs zu sein. "Für mich war es nicht enttäuschend, dass ich nicht gewonnen habe, da ich in der Hinsicht noch der Underdog bin. Ich war zum Zeitpunkt der Nominierung die einzige Torhüterin, noch ohne ein Länderspiel für mein Land. Ich bin davon ausgegangen, dass ich nicht gewinne und habe es trotzdem wie einen Sieg gefeiert."

Berger ist eine Kämpfernatur. 2014 zog es sie aus Deutschland von Turbine Potsdam nach Frankreich zu Paris Saint-Germain. Zwei Jahre später verließ sie die Stadt an der Seine und wechselte nach England zu Birmingham City LFC, wo sie zur Stammtorhüterin avancierte und 2017 das FA-Cup Finale erreichte. Im November 2017 wurde ihr Leben durch die Diagnose Schilddrüsenkrebs von einem auf den anderen Tag schlagartig auf den Kopf gestellt. Es folgten Operation und Strahlentherapie. Knapp vier Monate nach der Diagnose gab Berger bereits ihr Comeback, wechselte 2019 zum englischen Spitzenklub FC Chelsea, bei dem sie zur Nummer 1 im Tor aufstieg.

"Sie ist ein spannender, in sich ruhender Typ und strahlt das auch im Tor aus", sagt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg über ihren Schützling. Doch Berger ist so viel mehr. Sie strahlt Stärke aus, Zuversicht, Mut und das man nie aufgeben soll, an seinen Träumen festzuhalten. Ein Vorbild - nicht nur für die nachfolgenden Generationen.

"Ich habe auch viel mit Jungs trainiert – bis zu meinem 14. Lebensjahr. Das würde ich auch jedem kleinen Mädchen ans Herz legen. Man bekommt dann einfach dieses hartnäckige, diese Willenskraft. Bei mir war das zumindest so. Ich wollte genauso athletisch sein wie die Jungs, obwohl du das als Mädchen nicht kannst. Das habe ich damals, als ich noch jünger war natürlich noch nicht verstehen können. Warum sind die jetzt schneller als ich? Man denkt einfach nicht viel darüber nach und setzt sich keine eigenen Grenzen. Man versucht das Bestmögliche daraus zu machen und versucht möglichst nah an das körperliche Niveau der Jungs ranzukommen."

Das Bestmögliche will Berger auch aus den Perspektiven herausholen, die sich den Torhüterinnen heutzutage bieten. Riesengroß sind die Unterschiede zwischen der Zeit des zweiten WM-Titels Deutschland im Jahr 2007 und dem heutigen Fussball. Das Spiel ist schneller, athletischer und attraktiver geworden. "Gerade die Torhüter haben sich weiterentwickelt. Es gibt mehr Trainingsmaschinen und einfach auch mehr qualifizierte Torwarttrainer. Im Frauenfussball gab es früher nicht wirklich Torwarttrainer in jeder Mannschaft. Wie sollten sich da damals die Torhüterinnen verbessern, wenn sie nur ein- bis zweimal die Woche einen Trainer bekommen? Da gibt es jetzt einen enorm großen Unterschied. Das ist wie mit dem Fahrradfahren. Wenn Du es nur einmal die Woche machst, dann dauert es einfach länger bis du es wirklich kannst. Aber wenn du es tagtäglich probierst und trainierst, dann kann es sein, dass du innerhalb einer Woche Fahrradfahren kannst. So ist es auch mit dem Fussball. Wenn Du jeden Tag verschiedene Dinge trainieren kannst, dann entwickelt sich natürlich schnell ein riesengroßer Unterschied", bringt es die 1,80 Meter große Torfrau auf den Punkt.

Jetzt gilt es für Berger an die jüngsten Erfolge anzuknüpfen und darauf aufzubauen. "Ich war schon immer jemand, der Herausforderungen gelassen aber auch ehrgeizig angeht. Jetzt bin ich schon unter die besten sechs Torhüterinnen gewählt worden und in England unter die Top Elf. Das möchte ich bestätigen. Es soll keine einmalige Geschichte sein. Das Ende von 2020 hat sportlich gesehen gut angefangen, und das möchte ich mit ins Jahr 2021 nehmen."

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