Donnerstag 04 März 2021, 11:13

Bai: "Fussballspielerinnen brauchen eine allumfassende Ausbildung"

  • Bai Lili ist die Leiterin der Frauenfussball-Abteilung der AFC

  • Verletzung sorgte für frühes Karriereende der ehemaligen Starspielerin der VR China

  • Seitdem macht sie in der Fussballförderung von sich reden

Ludwig van Beethoven sprach einst davon, "dem Schicksal in den Rachen zu greifen". Der Musikvirtuose ist vor knapp zwei Jahrhunderten verstorben, doch seine Worte hallen bei Menschen, die Schwierigkeiten überwinden müssen, noch immer nach – auch in Fussballkreisen. Unter ihnen ist auch die ehemalige chinesische Nationalspielerin Bai Lili, deren Spielerkarriere aufgrund einer schweren Bänderverletzung ein abruptes Ende fand. Daraufhin nahm sie ihr Schicksal beherzt selbst in die Hand.

Es geschah bei der erfolgreichen Titelkampagne der VR China beim AFC Asien-Pokal der Frauen 2006. Bai zählte zu den Leistungsträgerinnen im Startaufgebot von Trainer Ma Liangxing und wusste auf dem Weg ins Halbfinale durchweg mit Glanzleistungen zu beeindrucken. Dort setzten die Chinesinnen sich dann mit 1:0 gegen Titelverteidiger DVR Korea durch. Dieses Spiel sollte allerdings Bais letztes sein.

Den Finalsieg ihrer Teamkameradinnen im Elfmeterschießen gegen Australien und den achten kontinentalen Titelgewinn musste sie von der Tribüne aus verfolgen. Obwohl sie nicht selbst auf dem Platz stehen konnte, hielt sie bei der Feier nach dem Spiel im Rollstuhl sitzend und von Teamkameradinnen umringt glücklich die Trophäe in den Händen.

"Ehrlich gesagt war mir nicht bewusst, wie schwer die Verletzung tatsächlich war", so die 42-Jährige, mittlerweile Leiterin der Frauenfussball-Abteilung der asiatischen Fussballkonföderation (AFC), im Gespräch mit FIFA.com. "Ich war voller Hoffnung, dass ich schnell wieder fit werden würde. Ich konnte es kaum erwarten, weil im nächsten Jahr die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ in China stattfand."

Für Bai, die ihr Land bereits beim AFC-Asien-Pokal der Frauen 2002 und beim Olympischen Fussballturnier 2004 vertreten hatte, sollte die WM vor eigenem Publikum der Höhepunkt ihrer Karriere werden. Doch die Verletzung war fatal, und obwohl sie sich innerhalb der nächsten beiden Jahre vier Operationen unterzog, schwanden die Hoffnungen auf eine Rückkehr aufs Spielfeld langsam.

"Ich habe getan, was ich konnte, um als Spielerin wieder fit zu werden. Irgendwann wurde mir aber bewusst, dass mein altes 'Ich' nicht mehr zurückkehren würde", meint sie nachdenklich. "Ich war in absoluter Hochform, und trotzdem musste ich meine Karriere beenden. Das war wirklich grausam."

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Ein neues Kapitel

Dem Bild von Bai, die den Titel im Rollstuhl feiert, kommt vor diesem Hintergrund eine noch größere Bedeutung zu. Noch bewegender ist allerdings die nun folgende Geschichte. Sie nahm ihre bislang größte Herausforderung an und baute sich eine spannende neue Karriere auf.

In dem Bewusstsein, dass sie sich nicht ganz vom Fussball verabschieden wollte, beschloss Bai, einen Beitrag zur Fussballförderung zu leisten. Sie gründete ein Unternehmen und trainierte Kinder, nahm an universitären Fussballprogrammen teil und fungierte als Assistentin bei Kinderfussballprojekten in China, die von der FIFA oder der AFC organisiert wurden.

"Lamentieren hat keinen Sinn", erklärt sie. "Du musst aktiv werden und etwas Bodenständiges tun. Du musst Ideen umsetzen, dann bekommst du die Chance, deine Wünsche zu realisieren."

Um sich besser auf diese neue Etappe in ihrem Berufsleben vorzubereiten, belegte Bai Trainerkurse bei der AFC und durchlief alle Ebenen, bis sie schließlich 2016 die Profilizenz erwarb.

Ihr Engagement und ihre Fortschritte blieben nicht unbemerkt, und sie wurde in den Trainerstab der chinesischen U-17-Frauen-Auswahl berufen, die an der FIFA U-17-Frauen-Weltmeisterschaft 2014 in Costa Rica teilnahm. Ein Jahr später nahm sie die Tätigkeit als Leiterin der Abteilung für Frauenfussball bei der AFC auf.

"Rückblickend habe ich in den Jahren als Jugendtrainerin die Kompetenz für meine neue Tätigkeit erworben. Ich habe nicht nur den Nachwuchs trainiert, sondern auch viel Erfahrung im Umgang mit Menschen und in Managementbelangen gesammelt. Ich glaube, die Verantwortlichen der AFC haben mich jahrelang beobachtet, [bevor sie mir das Angebot gemacht haben]", so Bai.

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Ein leuchtendes Vorbild

Die Tätigkeit bei der AFC ist in der Tat eine ganz neue Herausforderung für sie, die nicht viel mit ihren bisherigen Aufgaben als Spielerin und Trainerin gemein hat. Bai ist nun die Hauptverantwortliche für die Förderung des Frauenfussballs auf dem weltgrößten Kontinent und weiß, dass viel Verantwortung auf ihren Schultern lastet.

"Die AFC hat 47 Mitgliedsverbände, und du musst dir ein Bild von der Situation jedes einzelnen Verbands machen. Ich muss dorthin reisen, die Verantwortlichen treffen, ihren Bedarf ermitteln und Unterstützung anbieten. Im Austausch gilt es, Lösungen und Pläne zu entwickeln."

"Der Frauenfussball hat in Asien generell große Fortschritte gemacht, aber es gibt große Unterschiede beim Entwicklungsstand. Die Teams in Ostasien sind relativ stark, während in anderen Regionen noch viel zu tun bleibt. Andererseits ist unser Kontinent der bevölkerungsreichste, und wir haben viel Potenzial."

"In Asien gibt es sehr viele unterschiedliche Kulturen. Das ist ein weiterer Vorteil für uns, denn es macht den asiatischen Frauenfussball ungeheuer vielfältig. Wir haben hier Teams mit völlig unterschiedlichen Spielweisen."

Ihre Tätigkeit hat Bai viel Respekt und Bewunderung eingebracht. "Bai ist wirklich inspirierend und ich bewundere sie: für ihre Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit, ihre Bereitschaft, etwas zurückzugeben, und ihr großes Engagement dafür, dass der Frauenfussball in Asien ein neues Niveau erreicht", so FIFA-Frauenfussballdirektorin Sarai Bareman im Gespräch mit FIFA.com. "Sie ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie die auf dem Platz erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen auch abseits des Spielfelds eine wichtige Rolle spielen können. Ich hoffe, dass mehr ehemalige Spielerinnen wie Bai in der Administration des Frauenfussballs tätig werden – zum Vorteil von Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt."

Einige weitere inspirierende Vorbilder für Nachwuchsspielerinnen in Asien und darüber hinaus könnten sicherlich nicht schaden. Bai dazu: "Ich bin als ehemalige Spielerin das beste Beispiel dafür, dass Mädchen im Fussball eine glänzende Zukunft haben können. Fussballspielerinnen müssen ihre Fähigkeiten auf und neben dem Spielfeld ausbauen und eine allumfassende Ausbildung durchlaufen."

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Dieser Artikel ist Teil unserer Serie zum Thema Frauenfussball und Frauen im Fussball anlässlich des Internationalen Frauentags 2021. Um mehr über die Frauenfussballstrategie und die Entwicklungsprogramme der FIFA zu erfahren und weitere Artikel wie diesen zu lesen, klicken Sie hier.