Montag 24 Dezember 2018, 10:07

Das magische Jahr des spanischen Frauenfussballs

  • Spanien war 2018 im Juniorinnenbereich besser als alle anderen

  • Das Land hat 42.000 registrierte Spielerinnen, weitaus weniger als die Fussballmächte Deutschland und USA

  • Wir analysieren die Gründe für das "spanische Wunder"

"Uns ist noch gar nicht richtig bewusst, was wir da erreicht haben", so Toña Is, Trainerin der spanischen U-17-Auswahl. Nach der Rückkehr aus Uruguay, wo sie mit der Rojita am 1. Dezember die Frauen-WM der Altersklasse gewonnen hatte, schwebte sie noch immer auf "Wolke sieben".

Diese Aussage könnte sich durchaus auf den gesamten spanischen Frauenfussball beziehen, der 2018 ein unglaubliches Jahr erlebte. Die A-Nationalmannschaft gewann all ihre Qualifikationsspiele und qualifizierte sich zum zweiten Mal für die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™. Darüber hinaus errang sie den Titel beim Cyprus Cup. Den Juniorinnenteams konnte derweil niemand das Wasser reichen: Die U-20-Auswahl gewann die Europameisterschaft und wurde in Frankreich Vizeweltmeister, und die U-17 setzte sich in Europa und auf der Weltbühne die Krone auf.

"Ich glaube, dass dieser Weltmeistertitel – der erste für den spanischen Frauenfussball – einen Wendepunkt darstellen wird", versichert Is im Gespräch mit FIFA.com.

"Der größte Erfolg ist die Beständigkeit", erklärt Jorge Vilda, Trainer der A-Nationalmannschaft und technischer Direktor aller spanischen Frauenteams. "Es wird sehr schwierig sein, den Erfolg dieses Jahres zu wiederholen, aber wir arbeiten darauf hin, weiterhin Halbfinals und Endspiele zu bestreiten und unser Niveau zu halten."

Die Zahlen der letzten fünf Jahre belegen, dass diese Erfolge nicht von ungefähr kommen:

JahrU-17U-19U-20
2014Vize-Europameister und Vize-WeltmeisterVize-EuropameisterNicht qualifiziert
2015EuropameisterVize-EuropameisterKein Turnier
2016Vize-Europameister und WM-DritterVize-EuropameisterSechster Platz
2017Vize-EuropameisterEuropameisterKein Turnier
2018Europameister und WeltmeisterEuropameisterVize-Weltmeister

"Seit ich meine Tätigkeit für den Verband aufgenommen habe, versuchen wir, unsere Sache so gut wie möglich zu machen. Damals konnte Deutschland noch 7:0 gegen uns gewinnen", berichtet U-20-Nationaltrainer Pedro López. Heute sieht die Situation ganz anders aus. Obwohl Spanien nur gut 42.000 registrierte Spielerinnen hat und damit nur etwa ein Fünfzehntel von Deutschland, sind die Spanierinnen mittlerweile nicht nur auf Augenhöhe, sondern sogar besser. Im Finale der U-17-Europameisterschaft setzten sie sich mit 2:0 gegen die DFB-Auswahl durch.

Worauf ist dieses Phänomen zurückzuführen?

  • Feste Spielphilosophie, die nicht zur Diskussion steht

"Seit zwölf Jahren arbeiten wir mit derselben Methodik, die auf einer Spielphilosophie basiert, mit der alle vertraut sind", so Vilda. Das "goldene Zeitalter" des spanischen Männerfussballs lässt sich mit Ballbesitzfussball und Kurzpassspiel erklären, und bei den Frauen hat sich der Erfolg auf ganz ähnliche Weise eingestellt.

"Wir setzen auf eine Spielweise, die den Mädchen und Frauen Spaß macht, die ihnen liegt und mit der sie sich sicher fühlen", erklärt Is. Es ist ein Stil, bei dem das Talent mehr zählt als körperliche Fitness. Patri Guijarro und Claudia Pina, die bei der U-20- und U-17-WM jeweils zur besten Spielerin des Turniers gekürt wurden, sind ein gutes Beispiel dafür.

Bei der U-20-Frauen-WM zeigten Guijarro und Pina gegen Paraguay ihre Torjägerqualitäten

  • Ein gutes Talentsichtungssystem

Vilda, Is und Lopez ziehen an einem Strang und sind der sichtbare Kopf eines Systems, über das die richtigen Spielerinnen ausgewählt werden. "Der spanische Fussballverband und die Regionalverbände stellen eine Struktur bereit, über die wir alle 42.000 registrierten Spielerinnen erreichen können", erklärt Vilda.

Diese Struktur umfasst auch Leute, die in vielen Fällen als Scouts agieren, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. "Sie entdecken zum Beispiel eine Spielerin, die in einem kleinen Ort in einer gemischten Mannschaft spielt, und an die wir ohne sie gar nicht herankämen, und informieren uns dann."

Im nächsten Schritt kommen die regionalen Auswahlteams. "Das sind praktisch unsere Jugendakademien", meint Lopez. Wir sind bei jeder Regionalmeisterschaft dabei, wo die besten Spielerinnen der Altersklassen U-12, U-15 und U-17 der autonomen Gemeinschaften antreten. Dort wählen wir dann die besten Akteurinnen für die entsprechende Nationalmannschaft aus", fügt Vilda hinzu.

  • Professionalisierung und Sichtbarkeit

Durch die Teilnahme Spaniens an der Frauen-WM 2015 in Kanada und die Schaffung einer Profiliga ist der Frauenfussball stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Das Ergebnis? Seit 2014 ist die Anzahl der registrierten Spielerinnen um fast 30 Prozent gestiegen, und zwar vor allem im Altersbereich von 5 bis 13 Jahren. Für die Zukunft ist ein weiterer Anstieg zu erwarten.

"Die Erfolge des Jahres 2018 haben einen großen Widerhall. Wir erreichen jetzt alle Haushalte in Spanien. Die Mädchen sehen, dass der Frauenfussball in Mode ist. Das wird zu weiterem Wachstum führen", so Lopez.

Sechs Monate vor dem Start der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Frankreich 2019™ wollten wir wissen, inwiefern sich diese Erfolge im Juniorinnenbereich bereits auf die A-Nationalmannschaft übertragen lassen. Beim WM-Debüt in Kanada war die spanische Auswahl nicht über die Gruppenphase hinausgekommen. Vilda ist Realist. "Natürlich müssen wir die Erfolge übertragen, aber wir müssen auch mit beiden Beinen auf der Erde bleiben. Im Augenblick belegen wir in der FIFA-Weltrangliste den zwölften und im UEFA-Ranking den fünften Platz.

Dass es Fortschritte gibt, ist jedoch unbestreitbar. "Das Gute ist, dass wir im Rennen um eine Verbesserung schneller als andere Nationalmannschaften unterwegs sind. Sie haben früher an das Potenzial von Frauen in dieser Sportart geglaubt, doch die Kluft zwischen ihnen und uns wird immer kleiner.