Montag 19 März 2018, 09:47

Fatuma: "Fussball besitzt die Kraft, Menschen zu vereinen" 

Fatuma Hussein bewegt sich mit einer Sicherheit und Zielstrebigkeit durch die Anlage von Soccer Without Borders in Oakland, die erahnen lässt, dass die junge Frau jeden Winkel und jeden Strauch der Organisation kennt, die durch Fussball gesellschaftliche Grenzen aufbrechen möchte. Mädchen und Jungen, die sie freudig begrüßen, kreuzen Fatumas Weg, und sie schenkt ihnen ein strahlendes Lächeln. Man kennt sich hier nicht nur, man schätzt einander. "Wir gehören zusammen", sagt sie stolz.

Fatuma ist Somalierin und 20 Jahre alt. Aufgewachsen ist sie mit ihrer Mutter und ihren fünf Geschwistern in einem Flüchtlingslager in Kenia, das nur wenig gemein hat mit der Stadt im Sonnenstaat Kalifornien, die sie seit sechs Jahren ihre Heimat nennt. "Das Leben war hart, aber ich habe das damals nicht so gespürt, da ich mir um nichts Sorgen machen musste"" schildert sie jene Zeit. 23 Jahre hat ihre Familie in dem Lager verbracht, Fatuma die ersten 14 Jahre ihres Lebens. Der Fussball spielte dort für sie eine eher untergeordnete Rolle. "Ich habe hin und wieder mit meinen Brüdern gespielt. Mehr aber auch nicht."

Während Fatuma nun über das Trainingsgelände von Soccer Without Borders läuft, sieht die Sache dagegen ganz anders aus. Fussball hat einen großen Platz in ihrem Leben eingenommen. "Ich glaube fest daran, dass der Fussball die Kraft besitzt, Menschen aus der ganzen Welt zu vereinen. Man muss nicht dieselbe Sprache sprechen, um beim Fussball miteinander kommunizieren oder einander verstehen zu können."

Fussball? Warum nicht? Fatuma hat den Fussball lieben gelernt. Als sie 2012 in die USA kam, wurde er zu ihrem großen Hobby, das sie seitdem leidenschaftlich verfolgt. Sie unterstützt Real Madrid und verpasst keine Partie der Königlichen. Vom Anpfiff bis zum Abpfiff fiebert sie vor dem Fernseher mit. Und während sie mal wieder bei einem Spiel ihres Lieblingsteams auf der Couch saß und gebannt auf den Bildschirm blickte, fragte sie ihre Mutter, ob sie denn nicht selbst spielen dürfe. Sie wollte zumindest versuchen, die Kunststücke, die die Königlichen auf den Rasen zauberten, zu imitieren. Ihre Mutter entgegnete: "Warum nicht? Spiele und genieße es."

Fatuma war zunächst schüchtern, hatte sie doch all ihre Freunde im Lager in Kenia zurückgelassen. Und sie beherrschte die Sprache noch nicht. Das machte sie nervös – sowohl in der Schule als auch auf dem Spielfeld. Doch ihre Zurückhaltung dauerte nicht lange an. Durch den Fussball entwickelte sich ihre Persönlichkeit, und sie lernte nicht nur für sich allein, sondern im Team.

Ihr Trainer zu jener Zeit war Ben Gucciardi, der Gründer von Soccer Without Borders. "Willst du die erste Somalierin sein, die bei uns aktiv ist?", fragte er sie. "Da konnte ich gar nicht anders, als zu nicken", sagt Fatuma augenzwinkernd. Auch wenn sie sich ob ihrer fussballerischen Fähigkeiten nicht sicher war. "Ich habe Ben erklärt, dass ich nicht gut bin, aber er entgegnete, dass es nicht darum gehe, sondern um den Spaß, den man beim Fussball in der Gemeinschaft habe", berichtet Fatuma. "Da wusste ich: Fussball passt zu mir!"

Als Sportler und Mensch wachsen Bei Soccer Without Borders traf Fatuma auf Mädchen in ihrem Alter. Sie kamen aus verschiedenen Ländern und hatten eine eigene Geschichte. Sie sprachen alle eine andere Sprache, hatten einen divergierenden kulturellen Hintergrund und sich unterscheidende Religionen, an die sie glaubten. Aber sie vereinte die Tatsache, dass sie Immigranten waren. Und dass sie Fussball spielen wollten.

Die Mädchen sind eng zusammengewachsen und haben ein gemeinsames Mantra entwickelt. "Egal, wie oft wir verloren haben oder gestrauchelt sind, niemals haben wir aufgegeben oder waren wir verärgert, denn wir wussten, dass wir aus den Fehlern lernen und stärker zurückkommen werden."

Aus dem schüchternen Mädchen ist eine selbstbewusste junge Frau geworden, die das Programm von Soccer Without Borders erfolgreich durchlaufen hat. Der Fokus lag dabei natürlich auf dem Fussball, der die Integration erleichtern sollte. Gleichzeitig half die Organisation aber auch beim Erlernen der neuen Sprache und Kultur und bot schulische Hilfe. Die Absolventen – fast die Hälfte davon sind weiblich – sollen nicht nur als Sportler, sondern auch als Menschen wachsen.

95 Prozent der Teilnehmenden schaffen ihren Abschluss – auch Fatuma. Sie hat die Highschool beendet und geht jetzt aufs College. Ihr größter Wunsch ist es, Krankenpflegerin zu werden und Menschen zu helfen. Sie beabsichtigt außerdem, sich weiterhin bei Soccer Without Borders einzubringen. "Die Organisation kreiert etwas Außergewöhnliches. Ich bin so dankbar, was sie mir geschenkt hat, und möchte etwas zurückgeben."

Fatuma assistiert beim Coaching der U-12- und U-14-Mädchen und bietet sich auch an, die Teilnehmerinnen von zu Hause abzuholen, um sie zum Trainingsgelände zu fahren. Sie resümiert: "Das Fussballteam ist für mich viel mehr als nur ein Team. Ich betrachte es als meine Familie. Ich habe damit jetzt nicht nur eine Familie, sondern zwei."

Sie sammelt die Bälle ein, umarmt die Mädchen, die gerade ihr Training beendet haben, und begibt sich Richtung Umkleidekabine. Und da ist es wieder, dieses unnachahmliche Lächeln, das zeigt: Fatuma hat einen treuen Begleiter gefunden, der sie antreibt, inspiriert und glücklich macht: den Fussball. Und mit ihm ist sie in den USA, in Oakland und in ihrem neuen Leben angekommen.