Dienstag 15 Dezember 2020, 05:23

Renard: "Ich fordere nicht, 'Wählt mich, wählt eine Abwehrspielerin'"

  • Wendie Renard ist für die Auszeichnung The Best – FIFA-Weltfussballerin 2020 nominiert

  • Im vergangenen Jahr gehörte sie der ersten FIFA/FIFPro World11 – Frauen an

  • Auch 2020 gewann sie das Triple aus Meisterschaft, Pokal und UEFA Champions League

Vierzehnfache französische Meisterin, neunfache französische Pokalsiegerin und siebenmalige Titelträgerin in der UEFA Champions League der Frauen. Wohl kaum eine Spielerin auf der Welt kann derart viele Trophäen vorweisen wie Wendie Renard. Die langjährige Spielführerin von Olympique Lyon ist Führungsfigur eines Teams, das einmal mehr dabei ist, im Frauenfussball Geschichte zu schreiben. Mit dem französischen Serienmeister hat sie alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Einzig eine individuelle Trophäe fehlt ihr noch in ihrer beeindruckenden Titelsammlung: die Auszeichnung als The Best – FIFA-Weltfussballerin.

Einmal mehr hofft die auf Martinique geborene Ausnahmespielerin, sich in eine Siegerliste einzutragen und ihrer persönlichen sowie der Geschichte ihres Klubs, dem sie immer treu geblieben ist, ein weiteres Erfolgskapitel hinzuzufügen. FIFA.com hat sich mit der französischen Internationalen (122 Einsätze, 25 Tore) zum Interview getroffen.

Wendie, Sie sind für die Auszeichnung The Best – FIFA-Weltfussballerin 2020 nominiert. Wie fühlt es sich an, im Rennen um eine individuelle Auszeichnung dabei zu sein, nachdem man so viele Teamtrophäen gewonnen hat?

Es ist immer eine Ehre, für eine solche Auszeichnung nominiert zu werden. In diesem Fall bin ich nicht die einzige Akteurin von Lyon. Das zeigt, dass wir im Kollektiv eine herausragende Saison gespielt haben. Natürlich gibt es im Saisonverlauf immer Höhen und Tiefen, doch das Ziel lautet am Ende, so viele Erfolge wie möglich zu holen. Dieser Titel, auch wenn es sich um eine individuelle Auszeichnung handelt, wäre ein besonderer Lohn, ein willkommenes Extra. Allein die Nominierung ist eine Ehre. Alles andere wird die nahe Zukunft zeigen.

Seit Jahren dominiert Olympique Lyon den europäischen Frauenfussball nahezu nach Belieben. Trotzdem hat noch keine Spielerin Ihres Klubs je diese Auszeichnung erhalten. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Richtig, in den vergangenen Jahren hätte es vielleicht die eine oder andere Spielerin aus Lyon verdient gehabt, mit dieser Auszeichnung bedacht zu werden. Das ist nicht passiert. Wir müssen einfach weiterarbeiten und gemeinsam Titel gewinnen. Der Lohn für unsere Mühen – als Team wie für Einzelne – wird kommen, wenn wir zusammen weiter nach dem Bestmöglichsten streben. In meinen Augen gibt es nichts Besseres als gemeinsam einen Titel zu erringen. Geteilte Freude ist doppelte Freude!

Olympique Lyon hat in den vergangenen zehn Jahren nahezu alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Auch wenn der Klub immer wieder mit Transfers aufhorchen ließ, scheinen einige Spielerinnen zum unverzichtbaren Klubinventar zu gehören – wie Sie zum Beispiel. Wie haben Sie all die Erfolge miterlebt?

Die Geschichte begann im Jahr 2004, als Präsident Jean-Michel Aulas beschlossen hat, zu investieren und die Frauenabteilung des FC Lyon zu übernehmen. Jahr für Jahr haben alle Spielerinnen, die für den Klub aufgelaufen sind, Olympique zu dem gemacht, was es heute ist. Für mich persönlich ist diese Marke ein Zeichen des Vertrauens. Natürlich weiß ich auch, dass ich hart arbeiten muss, um auf diesem Niveau zu bleiben. Olympique Lyon ist ein außergewöhnlicher Klub mit einem Präsidenten, der Vieles möglich macht, der dafür aber auch von uns erwartet, dass wir Titel holen. Wir haben keinerlei Recht, uns auf vergangenen Lorbeeren auszuruhen. Ich bin ein sehr anspruchsvoller Mensch. Ich strebe danach, auf einem Top-Niveau zu bleiben und absolute Höchstleistung zu erreichen.

Sie sind bereits seit mehreren Jahren Spielführerin des Teams. Wie schaffen Sie es, diese Siegermentalität an Spielerinnen aus dem Nachwuchs bzw. an Neuzugänge weiterzugeben?

Das geht über den Alltag, die Arbeit im Training, das ganze Verhalten … Wenn man neu zu einem Klub kommt, weiß man ungefähr, worauf man sich eingelassen hat. Bei uns ist es so, dass jede Spielerin, die neu zu OL kommt, die Lust verspürt, ihre eigene Geschichte im Klub zu schreiben. Ich für meinen Teil bin beispielsweise überzeugt davon, dass es sich im Leben irgendwann rächt, wenn man falsch spielt. Daher gibt es für mich keine einfachen Begegnungen. Wir haben es selbst in der Hand, ob es auf dem Platz leicht wird oder nicht. Nachwuchsspielerinnen muss man anleiten, unterstützten und man muss dafür sorgen, dass sie das richtige Gefühl für ihre Arbeit bekommen. Sie sollen erkennen, dass nichts im Leben einfach so vom Himmel fällt, sondern dass sich harte Arbeit auszahlt und dass man irgendwann den Lohn für die Mühen ernten wird – wenn auch nicht immer sofort. Man muss rigoros und kompromisslos sein. Schließlich spielen wir kein Lotto im Sinne von "heute gewinne ich, morgen verliere ich". Man kann es sich einfach nicht leisten, heute alles zu geben und morgen eine ruhige Kugel zu schieben.

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Sie zeichnen sich regelmäßig als Torschützin aus, so auch in dieser Woche gegen Juventus Turin. Das ist etwas ungewöhnlich für eine Abwehrspielerin. Wie machen Sie das?

Ich bin sehr demütig. Ich kenne meine Qualitäten, vor allem bei Freistößen und Ecken. Zu Beginn meiner Karriere habe ich meine Größe (1,87 Meter, Red.) als etwas Negatives gesehen, das ich nur schwer akzeptieren konnte. Im Laufe der Jahre habe ich durch meine Zusammenarbeit mit verschiedenen Trainern gelernt, dass meine Größe ein Vorteil für mich sein kann. Jetzt weiß ich, dass ich bei ruhenden Bällen entscheidend zum Teamerfolg beitragen kann. Dabei spielt auch das Verständnis mit der Schützin bei Standardsituationen eine Rolle. Wenn ich im richtigen Moment starte, wird es für die Gegner brandgefährlich.

Dass eine Defensivspielerin eine Einzelauszeichnung erhält, kommt eher selten vor. Wäre das ein gutes Zeichen?

In den letzten Jahren haben meist Offensivakteurinnen die Trophäe gewonnen. Ich will nicht sagen, dass man die Abwehrspielerinnen vergessen hat, aber häufig ist es doch so, dass der finale Pass, der schöne Schuss oder das Traumtor honoriert werden. Auf dem Platz wird aber noch andere Arbeit verrichtet, die es verdient, stärker im Rampenlicht zu stehen. Denken wir beispielsweise an Virgil Van Dijk im Vorjahr. Er hat eine außergewöhnliche Saison gespielt, doch mit Cristiano Ronaldo und Lionel Messi hatte er eben zwei absolute Superstars vor sich. Aber es liegt mir fern, jetzt zu fordern: "Wählt mich, wählt eine Abwehrspielerin". Mein Job ist es, gute Leistungen zu bringen. Alles andere liegt nicht in meinen Händen. Wenn die Wahl am Ende auf mich fallen sollte, wäre ich natürlich überglücklich.

Am 17. Dezember fällt die Entscheidung

Die Gewinnerinnen und Gewinner in allen Kategorien, einschließlich des FIFA-Fanpreises und des FIFA-Fairplay-Preises, werden am 17. Dezember 2020 ab 19.00 Uhr MEZ in einer TV-Show gekürt.

Alle Nachrichten zu "The Best FIFA Football Awards™" finden Sie auf FIFA.com, der offiziellen Facebook-Seite zu The Best FIFA Football Awards™ und dem FIFA-Kanal auf YouTube.

Wer soll Ihrer Meinung nach dieses Jahr gewinnen? Diskutieren Sie mit unter dem Hashtag #TheBest.