Dienstag 22 November 2016, 15:30

Bora Milutinović analysiert zehn Kandidaten

Wenn es um noch aktive legendäre Trainer geht, fällt auch immer wieder der Name Bora Milutinović. Schließlich kann keiner seiner Kollegen von sich behaupten, fünf Nationalmannschaften bei fünf unterschiedlichen FIFA Fussball-Weltmeisterschaften™ trainiert zu haben und mit vieren davon in die zweite Runde eingezogen zu sein.

Daher gibt es für die Analyse der Trainerkandidaten nur wenige Ansprechpartner, die so kompetent sind wie der 72-Jährige, der die Entwicklungen auf den Trainerbänken der Welt aufmerksam verfolgt. In seiner Wohnung in Doha (Katar), wo er als Berater einer Fussballakademie tätig ist, hat der serbische Trainer die zehn Anwärter auf die The Best-Auszeichnung in einem Exklusiv-Interview für FIFA.com analysiert.

Bora, was halten Sie von Luis Enrique, dem Erfolgstrainer des FC Barcelona?** **Wir haben eingangs gesagt, dass man einen Trainer in der Regel an seinen Erfolgen misst, und Luis Enrique hat die Liga und den Pokalwettbewerb gewonnen und außerdem im letzten Jahr die Champions League. Doch manchmal gehen die Erfolge auch über Titel hinaus, und in diesem Fall hat er erreicht, dass sein Team eine Spielweise beibehält und verfeinert, die er mitten in einer Ergebniskrise von seinem Vorgänger übernommen hat. Das ist auch nicht ganz einfach und ein großes Verdienst.

Kommen wir zu Didier Deschamps, der bei der UEFA EURO 2016 mit Frankreich den zweiten Platz belegt hat. Wie sehen Sie ihn?** **Er hat seine große Qualität bereits bei Juventus gezeigt und jetzt bei der Euro Platz zwei geschafft. Das ist ein hervorragendes Ergebnis. Die Frage ist, ob die Franzosen es als Erfolg betrachten. Wenn dies der Fall ist, muss man es auch als solchen werten.

Bleiben wir einmal in Europa. Wie ist Ihre Meinung zu Chris Coleman, dem Trainer der walisischen Nationalmannschaft?** **Das Endergebnis muss immer mit Bezug auf die Mannschaft bewertet werden, die es erreicht, und auch im Hinblick auf die Erwartungen, die im Vorfeld an das Team gestellt wurden. In diesem Fall hat Coleman etwas Spektakuläres geschafft. Er hat mit Wales eine historische Teilnahme an der Europameisterschaft erreicht – und das mit Spielern, die einmal abgesehen von Gareth Bale nicht zu den Besten der Welt gehören.

Dasselbe lässt sich über Lars Lagerbäck sagen, den Trainer Islands. Er ist zwar nicht nominiert, hat jedoch unglaublich gute Arbeit geleistet. Beim Erreichen eines bestimmten Ergebnisses sind immer auch die Umstände zu berücksichtigen, unter denen es erreicht wird. Beide haben Außerordentliches geschafft. Leider sieht man oftmals nur, ob jemand Titel gewonnen hat oder nicht, aber die eben angesprochenen Leistungen kann man gar nicht genug würdigen.

Kommen wir nun zu einem "alten Bekannten" unter den Anwärtern: Pep Guardiola, der mit Bayern München den Titel in der Bundesliga gewonnen hat und anschließend Manchester City übernommen hat. Er ist ein Trainer, der sehr hohes Ansehen genießt und einen großen Werdegang vorweisen kann. In diesem Fall hat er ein sehr gutes Ergebnis erzielt, wobei man berücksichtigen muss, dass ihm auch ein hervorragender Kader mit exzellenten Spielern zur Verfügung stand. Auch diesen Aspekt muss man in die Bewertung einfließen lassen.

Wie bewerten Sie zwei Trainer, die in der Premier League Spuren hinterlassen, nämlich Jürgen Klopp und Mauricio Pochettino?** **Klopp ist ein hervorragender Trainer, der seine Sache bei Borussia Dortmund ausgesprochen gut gemacht und nun auch den FC Liverpool wieder auf den richtigen Weg gebracht hat. Der Klub brauchte nach einer sehr schwierigen Phase dringend frischen Wind. Bei Pochettino auf der Bank von Tottenham Hotspur sieht die Analyse ähnlich aus. Das sind talentierte, intelligente Trainer, die ihren Teams neues Selbstbewusstsein eingehaucht haben.

Kann man von Claudio Ranieri dasselbe sagen?** **Natürlich, er war unglaublich! Was er letztes Jahr geleistet hat, ist einfach kolossal. Wer hätte das erwartet? Niemand hätte sich in seinen kühnsten Träumen ausgemalt, dass Leicester City den Meistertitel in der Premier League holen würde. Hier kommt ein wenig der eingangs erwähnte Aspekt zum Tragen. Wenn man große Erfolge mit Teams erreicht, die zuvor nicht zu den Favoriten gezählt haben, dann ist dies entsprechend zu würdigen.

Wo wir schon bei Überraschungen sind: Gilt das auch für Fernando Santos, der mit Portugal entgegen aller Voraussagen die Europameisterschaft gewonnen hat?** **Es gibt für mich keinen Zweifel daran, dass er großen Einfluss auf den Titelgewinn Portugals hatte, ein Land, das nie zuvor einen wirklich wichtigen Titel erringen konnte. Wenn man einen Wettbewerb wie die EURO gewinnt, ist dem nicht mehr viel hinzuzufügen.

Von Portugal geht es weiter nach Spanien. Wie ist Ihre Einschätzung von Diego Simeone?** **Er kann hervorragend mit den Spielern umgehen und holt spielerisch wirklich alles aus ihnen heraus. Er ist ein echter Kenner und ein fantastischer Motivator. Meiner Meinung nach ist er ein ausgesprochen kompletter Trainer, der bei Atlético Madrid ein enormes Projekt geschultert hat.

Zu guter Letzt wäre da noch Zinédine Zidane, der mit Real Madrid die UEFA Champions League gewonnen hat.** **Wenn du die Champions League gewinnst, braucht man nicht mehr viel zu sagen. Er ist ein intelligenter Trainer mit viel Charakter. Ich hoffe, dass er so weitermacht und noch viele Erfolge einheimst.

Haben wir noch jemanden vergessen, den wir Ihrer Meinung nach erwähnen sollten?** *Gut, ich habe ja bereits über Lagerbäck gesprochen, aber der wichtigste fehlt natürlich noch…Bora natürlich! *

Verwandte Dokumente