Montag 21 November 2016, 14:20

Batistuta: "Timing vor dem Tor kann man nicht lernen"

Von allen Spielern, die es im Laufe der Geschichte im Fussballuniversum gegeben hat, sind nur wenige ein Synonym für Tore. Der Argentinier Gabriel Batistuta ist einer davon. Im Laufe seiner 17-jährigen Karriere, in der er für die Newell’s Old Boys, CA River Plate, CA Boca Juniors, AC Florenz, AS Rom, Inter Mailand und Al-Arabi auflief, erzielte er sage und schreibe 348 Treffer. Und dann war da natürlich noch die argentinische Nationalmannschaft. Bis Juni dieses Jahres war er mit 56 Toren Rekordtorschütze der Albiceleste, dann wurde er von einem gewissen Lionel Messi abgelöst. Zehn dieser Treffer erzielte er bei seinen drei Teilnahmen an der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™.

Gemeinsam mit Marco van Basten und Marta bildete er die Expertengruppe, die eine Vorauswahl von zehn Treffern für den FIFA-Puskás-Preis 2016 zusammengestellt hat. Die Auszeichnung wird am 9. Januar im Rahmen der Zeremonie The Best FIFA Football Awards™ in Zürich vergeben. Aus diesen zehn Treffern wird im Rahmen einer öffentlichen Abstimmung, die in Kürze beginnen wird, der Sieger ermittelt.

Batigol, mit 242 Treffern im Zeitraum von 1991 bis 2003 bester ausländischer Torschütze in der Geschichte des italienischen Fussballs, nahm sich Zeit für ein Gespräch mit FIFA.com. Das Gespräch fand in seinem Heimatort Reconquista, in ca. 800 Kilometern Entfernung von Buenos Aires statt. Themen waren der Puskás-Preis, die Zeremonie The Best sowie die Erfolgsrezepte eines Stürmers.

Gabriel, was ist es für ein Gefühl, dieser Expertengruppe mit so grandiosen Torjägern wie Van Basten und Marta anzugehören? Ich freue mich sehr darüber. Ich habe sie immer bewundert und gegen Marco bin ich bereits angetreten. Gegen Marta natürlich nicht . Ich bewundere sie und habe ihre Karrieren sehr aufmerksam verfolgt. Es ist schön, jetzt gemeinsam mit den beiden bei einer solchen Sache mitzuwirken. Das bedeutet, dass ich auch etwas Gutes bewerkstelligt habe.

Wird der Puskás-Preis der FIFA noch einmal aufgewertet, weil eine Expertengruppe die Vorauswahl trifft? Ja, auf jeden Fall. Ich habe die Tore gesehen und wusste schon, was passieren würde, bevor die Schützen den Schuss abfeuerten. Aufgrund unserer Erfahrungen haben wir einen anderen Blick auf die Dinge und verstehen den Kontext. Jemand, der nie selbst gespielt hat, kann bestimmte Dinge nicht erkennen. Du siehst, in welchem Maße das Tor das Verdienst des Schützen ist und wieviel Zufall im Spiel war. Dadurch wird die Sache glaubwürdiger.

Auf welcher Basis haben Sie die zehn Tore ausgewählt, über die die Öffentlichkeit abstimmen wird?Zunächst habe ich mir die Intention angeschaut, dann den Gegner. Es ist schwerer, in einem WM-Finale zehn Minuten vor Schluss eine Finte zu versuchen, als in der 94. Minute gegen den Tabellenletzten einen Gegenspieler zu tunneln. Beide Aktionen sind wunderschön, aber es kommt auf die Situation an. In gewissen Spielen probierst mehr Dinge aus, in anderen kannst du das vielleicht aufgrund der äußeren Umstände gar nicht, weil der Gegner es nicht zulässt. Solche Dinge sind jemandem bewusst, der selbst schon auf dem Platz gestanden und solche Situationen erlebt hat.

Was halten Sie davon, dass die Fans in die Entscheidung über die Auszeichnungen für den FIFA-Weltfussballer und die FIFA-Weltfussballerin sowie die FIFA-Welttrainer im Männer und Frauenfussball einbezogen werden? Ohne die Fans wäre der Fussball nicht das, was er ist. Daher ist es sehr gut, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Wir fordern ja auch von ihnen, dass sie die Stadien besuchen und sich dort entsprechend verhalten. Es ist eine gute Idee sie zu beteiligen, auch wenn man nicht weiß, wie unparteiisch sie sein werden. Es sind schließlich Fans! Aber genau das bringt auch Spaß ins Spiel. Da wird etwas Tolles in Bewegung kommen, und zudem werden die Auszeichnungen dadurch aufgewertet. Ich glaube, dass es den Spielern so besser gefallen wird.

Welchen Kandidaten würden Sie bei den The Best-Auszeichnungen den Vorzug geben? Bei den Trainern, El Cholo Simeone und Pep Guardiola. Sie waren schon wiederholt erfolgreich und bleiben ihrer Linie treu. Sie sind ganz unterschiedlich, aber mir gefällt es, dass sie ihr Konzept verteidigen und erfolgreich umsetzen, denn beide haben hervorragende Ergebnisse erzielt.

Und bei der Auszeichnung zum FIFA-Weltfussballer? Das ist eine jährliche Auszeichnung und hier gibt es einen Widerspruch. Im Allgemeinen werden Spieler im Zusammenhang mit ihren Teams bewertet und Messi hat dieses Jahr nicht viel gewonnen. Dennoch war er der beste Spieler des Jahres. Ich würde ihm die Auszeichnung verleihen, er ist die unumstrittene Nummer eins. Cristiano ist auch hervorragend, aber er ist nicht Messi. Er ist ein beeindruckender Sportler mit einer Einstellung und einer Spielintelligenz, die alle Spieler haben sollten. Doch Messi entscheidet mehr Spiele als er. Ronaldo hat einen hervorragenden Torriecher…aber Messi auch! Und außerdem bringt er andere Spieler ins Spiel.

Kommt Torjägern heute noch immer dieselbe Bedeutung zu wie zu ihrer aktiven Zeit? Ja. Das sind noch immer diejenigen, die die Spiele gewinnen. Über einen guten Torjäger zu verfügen, ist schon die halbe Miete, weil er jederzeit ein Spiel für sein Team entscheiden kann. Es ist einfacher, einen Torhüter oder einen Innenverteidiger auszubilden, als einen Torjäger. Einem Innenverteidiger kann man die Laufwege und das Stellungsspiel beibringen, man kann ihm zeigen, wie er den Stürmer unter Druck setzen kann...Man kann ihm 98 Prozent der Dinge beibringen, die er tun muss. Einem Stürmer kann man auch viel beibringen, aber das richtige Timing kannst du ihm nicht beibringen. Das Timing muss er im Gefühl haben. Und dafür bezahlst du ihn.

Ist auch der Instinkt entscheidend dafür, ob du ein guter Stürmer bist und Tore erzielst oder nicht? Ist das ein weiterer Aspekt, den man sich nicht erarbeiten kann?Du kannst einem Stürmer sagen, dass er sich am langen Pfosten positionieren soll, wenn der Verteidiger am kurzen steht, oder dass er den Verteidiger am langen Pfosten auf sich ziehen und dann nach der Hereingabe an den kurzen wechseln soll. All das kann man jemandem beibringen, aber es gibt einen bestimmten Moment, an dem er diese Aktionen ausführen muss. Es gibt eine Art "Impuls", den man nicht erlernen kann. Man hat ihn oder man hat ihn nicht.

Wer ist derzeit Ihr Lieblingsstürmer? Luis Suárez. Er spielt sehr intelligent, jagt jedem Ball nach, kämpft, bereitet seinen Gegenspielern unablässig Probleme und ist sehr mannschaftsdienlich, was vielleicht nicht immer gleich auffällt. Und außerdem schießt er Tore. Und wenn er selber keine erzielt, zieht er die gegnerischen Abwehrspieler auf sich. Es gibt Torjäger, die ausschließlich für das Toreschießen zuständig sind und dann gibt es andere, die auch dann spielentscheidend sind, wenn sie keine Treffer erzielen, weil sie die Verteidigung nach Belieben auseinanderziehen. Suárez ist einer davon. Ich habe damals mehr oder weniger dasselbe gemacht. El Pipa Higuaín gefällt mir auch sehr gut.

In großen Spielen sehen wir oft, dass sich den Stürmern beider Teams Chancen bieten, und dann setzt einer den Ball an den Pfosten und der andere schießt das Tor. Warum trifft der eine und der andere nicht? Man spricht oft von Glück und Pech, aber steckt nicht noch etwas anderes dahinter?Ich bin kein Wissenschaftler, aber die Antwort liegt im mentalen Bereich. Es ist eine Kombination aus mentaler Einstellung, Intelligenz und Motorik. Es kann nicht sein, dass dieselben Spieler in bestimmten Situationen immer Glück haben. Es ist kein Glück. Wenn du ein paar Chancen vergibst, ist es ganz normal, dass sich das negativ auf dich auswirkt. Du beginnst zu glauben, dass der Ball nie reingeht. Du hast genügend Zeit, zum Abschluss zu kommen, aber dir gehen Tausend negative Gedanken durch den Kopf.

Es geht also um mehr als nur Instinkt? Ja, auf jeden Fall. Die Negativserien von Stürmern werden in der Regel mit einem Eckball, einem Abstauber oder in einer anderen Situation beendet, in der sie nicht groß nachdenken. Paff, Tor, und das war's! Und dann schaltet man in einen positiven Mechanismus um. Das ist ein sehr wichtiger mentaler Aspekt. Ich würde gern ein Buch darüber schreiben. Man kann die negativen Gedanken nicht vermeiden, aber es gibt Mechanismen, um die positiven zu steigern und die negativen zu begrenzen. Mit 18 Jahren war ich in meinem Heimatort und trat auf der Stelle. Doch das war ein mentaler Prozess, den ich erlernt habe. In solchen entscheidenden Augenblicken ist der Kopf wichtiger als der Körper. Tatsächlich ist der Körper nichts ohne den Kopf.