Donnerstag 10 Dezember 2020, 07:50

Abily: "Olympique Lyon hat das Sieger-Gen"

  • Olympique Lyon ist bei den The Best FIFA Football Awards mit sieben Akteueren im Rennen

  • Assistenztrainerin Camille Abily genießt bereits Legendenstatus

  • Abily spricht mit FIFA.com über ihre Tipps für die Auszeichnungen und die Erfolgsgeheimnisse des Teams

Mit nicht weniger als sieben Nominierten in den verschiedenen Kategorien ist das Frauenteam von Olympique Lyon bei den The Best FIFA Football Awards 2020 stärker als jedes andere vertreten. Wirklich überraschend ist das allerdings nicht, wenn man die unglaubliche Saison bedenkt, die das Team gerade absolviert hat und die mit dem erneuten Triple aus Meisterschaft, Pokal und UEFA Champions League endete.

"Das Sieger-Gen gehört bei diesem Klub einfach dazu. Wir wollen einfach jedes Spiel gewinnen, selbst jedes Trainingsspiel", so Camille Abily gegenüber FIFA.com. "Der beständige Wille, uns selbst zu übertreffen, hält uns an der Spitze. Wir werden des Erfolgs nie überdrüssig und wir hassen Niederlagen. Ich denke, die Spielerinnen sind da ganz genau wie ich selbst – sie hassen Niederlagen noch mehr, als sie Siege genießen."

Die frühere Mittelfeldspielerin Frankreichs (183 Länderspiele und 37 Tore) weiß, wovon sie spricht. Auch bei OL hat sich Abily den Status einer Legende erspielt. In der Vereinsgeschichte hat einzig Wendie Renard noch mehr Einsätze absolviert (aktuell steht sie bei 380, gefolgt von Abily mit 326). Sie war während all der glanzvollen Jahre als Spielerin dabei, von 2006 bis 2018, und steht nun an der Seitenlinie als Assistenztrainerin von Jean-Luc Vasseur, der als The Best – FIFA-Welttrainer – Frauen nominiert ist.

Einen besseren Gesprächspartner kann man also wenige Tage vor der Vergabe kaum finden.

Ist das Team von Olympique Lyon in der Saison 2019/2020 stärker als je zuvor?

Das kann ich nicht so leicht beantworten. Es gab einige Jahre, in denen wir mindestens genau so stark waren wie jetzt. Außerdem ist es nie leicht, verschiedene Jahre zu vergleichen, wenn man das Rückgrat des Teams so weit wie möglich zusammenhält. Und genau das ist einer unserer Erfolgsfaktoren. Fest steht allerdings, dass das Team von 2019/2020 stets Bestleistungen gezeigt hat, wenn es darauf ankam. Das war alles andere als leicht, insbesondere wenn man den neuen Austragungsmodus der Champions League bedenkt (ab dem Viertelfinale mit nur jeweils einem Spiel). Wir haben es geschafft, stets effizient zu spielen und Fallen zu vermeiden.

Nur selten war ein Team im Fussball derart dominant. Haben Sie den Eindruck, dass vielen Leuten gar nicht wirklich klar ist, wie unglaublich die Leistungen des Teams sind?

Es stimmt jedenfalls, dass man nicht unbedingt sofort erkennt, dass die aktuellen Leistungen des Teams selbst für uns außergewöhnlich sind. Nicht wenige würden gern sehen, wie wir vom Sockel gestoßen werden. Das ist normal. Man will immer sehen, wie die Besten verdrängt und übertroffen werden! Die Konkurrenz wird stärker und stärker. Insofern stimmt es, dass Lyon nicht die Anerkennung erhält, die das Team verdient hätte.

Lyon rangiert seit nunmehr 14 Jahren stets ganz vorn an der Spitze der französischen Liga. Worin liegt der Schlüssel zu dieser Beständigkeit?

Das Sieger-Gen gehört bei diesem Klub einfach dazu. Wir wollen einfach jedes Spiel gewinnen, selbst jedes Trainingsspiel. Der beständige Wille, uns selbst zu übertreffen, hält uns an der Spitze. Wir werden des Erfolgs nie überdrüssig und wir hassen Niederlagen. Ich denke, die Spielerinnen hassen Niederlagen noch mehr, als sie Siege genießen. Bei mir selbst ist es auf jeden Fall so.

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Lyon hat kürzlich gegen Paris Saint-Germain erstmals seit 2016 ein Ligaspiel verloren. Wie wichtig ist diese Niederlage?

Sie ist jedenfalls keine Katastrophe, denn wir sind ja noch da und weiterhin ganz vorn. Es wäre viel schlimmer, wenn das in einem K.o.-Wettbewerb passiert wäre. Aber auch so ist es für uns ziemlich schwer zu verdauen. Andererseits nimmt man sich nach Niederlagen meist etwas zurück und analysiert alles. Insofern hat die Niederlage also auch etwas Gutes. Sie spornt uns an, weiterzumachen – die Spielerinnen ebenso wie den gesamten Trainerstab!

Sie sind Assistenztrainerin von Jean-Luc Vasseur. Finden Sie, dass er die Auszeichnung The Best – FIFA-Welttrainer – Frauen verdient hätte?

Ja, auf jeden Fall. Trainer haben großen Anteil an den Erfolgen ihres Teams. Die Gefahr war groß in dieser neuen Champions League. Wir hätten uns keinen einzigen schlechten Tag erlauben dürfen. Dem Trainer ist es gelungen, das Team trotz dieser Widrigkeiten zum Erfolg zu führen, und daneben zu noch zwei weiteren Titeln. Dafür hat er auf jeden Fall große Anerkennung verdient.

Sie kennen auch Sarah Bouhaddi sehr gut, schließlich haben sie mehrere Jahre Seite an Seite gespielt. Ist sie derzeit die beste Torhüterin der Welt?

Sie ist definitiv eine der Allerbesten. Ich kann sie ja jeden Tag beobachten und ich sehe sie als verbissene Kämpferin. Ihre Stärken als Torhüterin sind absolut außergewöhnlich. Sie ist sehr gut mit dem Ball am Fuß. Ihre vielleicht einzige Schwäche ist, dass sie manchmal den Ball etwas zu langsam wieder ins Spiel bringt, wenn sie noch etwas direkter sein könnte. Aber das ist nur eine Kleinigkeit und sie hat das auch fast ganz abgelegt. Ehrlich gesagt: Ich habe schon viele Torhüterinnen gesehen und ich denke, dass Sarah eine der besten – wenn nicht sogar die Beste – der Welt ist.

Welche Spielerin von Lyon ist laut Camille Abily…

…die schüchternste und reservierteste? Saki Kumagai

…die schnellste? Delphine Cascarino

…die technisch stärkste? Dzsenifer Marozsan

…die entschlossenste? Wendie Renard

…die frechste? Delphine Cascarino

…diejenige, die am liebsten Streiche spielt? Sarah Bouhaddi

…diejenige, die am häufigsten zu spät kommt? Delphine Cascarino

…die beste bei FIFA auf der Spielkonsole? Dzsenifer Marozsan

…die lustigste? Lucy Bronze

…die rebellischste ? Sarah Bouhaddi

…die intellektuellste? Saki Kumagai

Nicht weniger als fünf Spielerinnen von OL in der Saison 2019/2020 gehören zu den elf Nominierten als The Best – FIFA-Weltfussballerin, nämlich Saki Kumagai, Dzsenifer Marozsan, Lucy Bronze, Wendie Renard und Delphine Cascarino. Wer wird Ihrer Ansicht nach die Wahl gewinnen?

Ich versuche, so objektiv wie möglich zu sein und denke, dass Wendie Renard die Auszeichnung verdient. Was sie auf Ihrer Position leistet, ist einfach herausragend. Natürlich haben auch all die anderen unglaubliche Stärken, doch Wendie war von allen die Beständigste. Sie hatte in einigen unserer wichtigsten Spiele den allergrößten Einfluss, insbesondere im Halbfinale der Champions League gegen Paris Saint-Germain, als sie sich sogar in die Torschützenliste eintrug. Dabei ist es für eine Verteidigerin ja ohnehin viel schwieriger, so positiv herauszustechen, oder? Ich denke, dass sie es wirklich verdient hat!

Sie selbst gehörten zu den Finalistinnen im Rennen um die Auszeichnung als FIFA-Weltfussballerin 2016. Was bedeutet eine solche Nominierung für Spieler und Trainer?

Es ist eine fantastische Form der Anerkennung. Wir neigen dazu, uns vorwiegend auf Teamleistungen und Titel zu konzentrieren, aber eine Nominierung wie diese ist eine Belohnung für die Arbeit, die die Spielerinnen tagtäglich leisten. Als Spielerin braucht man große Entschlossenheit und muss viele Opfer bringen. Daher ist es immer schön, Anerkennung für all die Bemühungen zu bekommen.

Denken Sie, dass Sie selbst eines Tages als Welttrainerin nominiert werden?

Das hoffe ich – warum nicht? Mein großes Ziel ist auf jeden Fall, eines Tages Cheftrainerin zu werden, und wenn dann irgendwann auch Auszeichnungen folgen sollten, würde ich sie wohl nicht ablehnen (lacht)!

Würde es Sie reizen, eines Tages ein Männerteam zu trainieren?

Anfänglich war ich grundsätzlich gegen diese Idee, aber je länger meine Karriere andauert, desto reizvoller scheint es, vor allem im Jugendbereich. Aber an diesem Punkt sind wir noch lange nicht!

Zum Abschluss noch eine Frage zum Männerfussball: Haben Sie Favoriten für die Auszeichnungen als Welttrainer und Weltfussballer des Jahres?

Als Welttrainer unbedingt Jürgen Klopp! Seine Saison mit dem FC Liverpool war herausragend. Es ist sehr schade, dass die enormen Fortschritte durch COVID etwas gebremst wurden. Doch das Verhältnis, das er zu seinen Spielern hat, ist einfach großartig. Er ist eine echte Inspiration. Beim Weltfussballer ist es schon etwas schwerer... Ich sage Robert Lewandowski, als Anerkennung für seine fantastische Saison mit Bayern München.