Freitag 06 Januar 2017, 08:59

11 Fragen an José Mourinho

Manchester Uniteds Trainer José Mourinho weiß, was es braucht, um nach ganz oben zu kommen. 2010 erreichte mit der Wahl zum FIFA-Welttrainer des Jahres den Höhepunkt seiner Karriere. In seinem Trophäenschrank stehen alle Pokale, die es im Vereinsfussball zu gewinnen gibt. FIFA.com sprach mit dem portugiesischen Maestro über verschiedenste Themen, darunter die bevorstehende Verleihung der The Best FIFA Football Awards™, die erstaunlichen fussballerischen Leistungen seines Landes als vermeintlicher Außenseiter und seine Ansicht zu einer möglichen Erweiterung der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™.

Am Montag, 9. Januar, werden in Zürich die Best FIFA Football Awards vergeben. Nach welchen Kriterien beurteilen Sie die Qualitäten eines Spielers? Ehrlich gesagt bin ich kein allzu großer Fan individueller Auszeichnungen. Fussball ist ein Mannschaftssport. Mannschaften gewinnen Spiele und einzelne Spieler sind nicht so wichtig wie die Mannschaft. Die Medien und die Fans lieben diese Sache, aber viele Trainer nicht so sehr, denn es besteht ein gewisser Widerspruch zwischen dem, wofür wir arbeiten, und individuellen Auszeichnungen. Doch Medien und Fans sind für den Fussball sehr wichtig, daher bin ich nicht grundsätzlich gegen individuelle Auszeichnungen. Und selbstverständlich gibt es Ausnahmespieler mit einem derartigen Talent, dass sie Teams und Mitspieler stärker machen. Solche Spielertypen können die Spielweise und die Dynamik einer ganzen Mannschaft beeinflussen. Das sind für mich die wahren Ausnahmespieler. Ich habe nur eben das Gefühl, dass durch die Auszeichnungen der Fokus etwas zu sehr darauf gelegt wird. Eine Woche nach der Zeremonie geht es schon wieder los mit der Jagd für das nächste Jahr.

2010 wurden Sie selbst als FIFA-Welttrainer des Jahres ausgezeichnet. Was hat Ihnen dieser Karrierehöhepunkt bedeutet? Das war eine sehr große Ehre, weil es als erste Auszeichnung der FIFA für einen Trainer in die Geschichte eingegangen ist. Aber ich muss noch einmal wiederholen, dass ich ein Teamplayer bin. 2010 war für mich nicht das Jahr meiner FIFA-Auszeichnung. Es war vielmehr das Jahr meines Triples mit Inter Mailand. Es war nicht Mourinhos Saison, es war die Saison von Inter und den Interisti. Das ist meine Einstellung zu meinem Job.

Bei der Preisverleihung wird auch dieses Mal der FIFA-Welttrainer bei den Männern geehrt. Im Rennen sind Claudio Ranieri, Fernando Santos und Zinédine Zidane. Wen würden Sie wählen und warum? Alle drei haben es verdient, in der Endauswahl zu stehen, denn alle drei haben wichtige Titel gewonnen: Zidane die UEFA Champions League, Fernando die UEFA EURO und Claudio die Premier League. Ich bin mit allen dreien befreundet und kann mich daher über jeden Ausgang freuen. Ranieri hat ein wahres Wunder vollbracht, Fernando hat einen Traum wahr gemacht und Zidane hat die Champions League gewonnen.

Erstmals sind auch die Fans an den Auszeichnungen für die Spieler und Trainer beteiligt. Ihr Votum fließt zu 25 Prozent in die Entscheidung ein. Wie wichtig ist es, die Fans in solch wichtige Entscheidungen einzubeziehen? Die Fans sind sehr wichtig. Ich würde sagen, dass es die Fussballfans sind, die unser Spiel zur wichtigsten Sportart der Welt machen. Allerdings ist es ja so, dass Fans bei Abstimmungen meist für ihr Team abstimmen. Das bedeutet, dass die Fanlager der großen Klubs immer dafür sorgen werden, dass ihre Spieler weit vorn landen. Weil ich in vier Ländern gearbeitet habe, kann ich auch sagen, dass die Auszeichnungen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich gesehen werden. Die Medien in den einzelnen Ländern unterstützen 'ihre' jeweiligen Leute mit unterschiedlicher Intensität und Leidenschaft.

Welches sind die größten Veränderungen im Fussball auf höchstem Niveau seit der Jahrhundertwende, um das Jahr 2000? Es ist sehr schwer, Vergleiche zwischen verschiedenen Zeitaltern, Spielern oder Generationen anzustellen. Und eigentlich ist es auch nicht ganz fair. Das Endprodukt ist anders, aber die dafür aufgewendeten Mittel sind es auch. Man könnte argumentieren, dass der Fussball heute schneller ist, richtig? Ja, das ist er. Aber sind nicht auch die Bälle leichter, die Schuhe verblüffend und die Trainingseinheiten viel wissenschaftlicher ausgeklügelt? Bestreiten die Spieler heute mehr Partien und haben entsprechend weniger Zeit zur Erholung? Ja, auch das stimmt, doch die Klubs haben optimale Einrichtungen, um den Erholungsprozess zu beschleunigen und Verletzungen zu vermeiden. Ich folge den Entwicklungen, aber ich respektiere auch die Vergangenheit.

Welche fussballerischen Eigenschaften sind für Teams und Spieler in der englischen Premier League charakteristisch? Im englischen Fussball wird Leidenschaft gefordert. Das ganze Land verlangt, dass die Spieler den Fussball lieben, dass sie ihren Job lieben. England erwartet eine absolut professionelle Einstellung von den Fussballern. Sie mögen über verschiedene Qualitäten verfügen, doch die Engländer fordern Leidenschaft.

Portugal, ein Land mit nur zehn Millionen Einwohnern, ist Europameister geworden und hat einige der besten Spieler und Trainer der Welt hervorgebracht. Wie erklären Sie sich das? Ja, das ist kaum zu glauben! Eusebio, Luis Figo, Cristiano Ronaldo und auch ich selbst haben viele hohe Auszeichnungen gewonnen, und vielleicht nun bald auch noch Fernando. Benfica Lissabon und der FC Porto haben den Europapokal gewonnen und nun ist Portugal auch noch Europameister geworden. Ein so kleines Land am Atlantik – das ist unglaublich. Vielleicht ist unsere Leidenschaft das Erfolgsgeheimnis.

Bei der Preisverleihung wird auch die Weltauswahl bekannt gegeben, die von mehr als 25.000 Fussballprofis in aller Welt zusammengestellt wurde. Wen würden wir in einer Mourinho-Auswahl mit Spielern sehen, die Sie bisher trainiert haben? Eine Antwort auf diese Frage habe ich noch nie gegeben und das werde auch jetzt nicht tun. Sehr viele Spieler waren mit Leib und Seele dabei, als sie für mich gespielt haben. Wie könnte ich einige davon nennen und andere weglassen? Vitor Baia, Petr Cech, Julio Cesar... wie könnte ich nur einen wählen? Jorge Costa, Ricardo Carvalho, Marco Materazzi, Lucio, Walter Samuel, John Terry… wie könnte ich da wählen? Michael Essien, Wesley Sneijder, Nemanja Matic, Costinha, Maniche, Xabi Alonso, Frank Lampard … wie könnte ich da wählen? Ich glaube nicht, dass ich diese Frage jemals beantworten werde, denn ich vergesse meine Kampfgefährten nie.

Sie gehörten im Mai beim FIFA-Kongress zu der Expertenrunde, die sich mit verschiedensten Angelegenheiten des Fussballs beschäftigte. Wie wichtig ist die Einbeziehung früherer Spieler und Trainer bei der Entscheidungsfindung? Ich denke, dass Spieler, Schiedsrichter und Trainer hier unverzichtbar sind. Der reiche Erfahrungsschatz, den sie nach vielen, vielen Stunden auf dem Rasen haben, und ihre Ansichten bedeuten ein enormes Plus für die Entwicklung des Fussballspiels. Besonders großartig ist die Entscheidung von Präsident Infantino, auch frühere Spieler einzubeziehen. Diese Stars bilden die Geschichte des Fussballs. Mir gefällt es, dass der Präsident zeigt, dass sie für die Zukunft des Fussballs unverzichtbar sind.

Ein weiteres Thema bei dieser Sitzung war eine Erweiterung der WM. Was denken Sie über mögliche Erweiterungen und Turnierformate? Ich bin voll und ganz dafür. Als Vereinstrainer würde ich Nein sagen, wenn eine Erweiterung mehr Spiele, weniger Ferien und weniger Vorbereitungszeit für die Spieler bedeuten würde.

Doch es ist wichtig, dass die Kritiker erkennen, dass die Erweiterung eben nicht mehr Spiele bedeutet. Auf diese Weise werden die Spieler und die Interessen der Klubs geschützt. Ich persönlich bevorzuge Dreiergruppen. Zwei Spiele – und dann entweder in die K.o.-Runde oder ab nach Hause (Anm. d. Red: Einer der Erweiterungsvorschläge sieht 48 Mannschaften in 16 Dreiergruppen vor). Auf diese Weise wären schon die zwei Gruppenspiele vorentscheidend. Dann folgt sofort die K.o.-Runde, in der es noch dramatischer wird. Mannschaften mit wenig Potenzial und Erfahrung müssten wahrscheinlich schon nach zwei Spielen wieder nach Hause fahren. Doch sie würden sich auf jeden Fall steigern und wertvolle Erfahrungen sammeln. Dies käme zum wirtschaftlichen Lohn für die Teilnahme an der WM-Endrunde hinzu – einschließlich weiterer Investitionen in die fussballerische Infrastruktur.

Die Erweiterung bedeutet, dass die WM ein noch unglaublicheres gesellschaftliches Ereignis wird. Mehr Länder und mehr Investitionen in die Infrastruktur und in die Jugendarbeit in diesen Ländern. Mehr teilnehmende Nationen bedeuten mehr Leidenschaft, mehr Freude, mehr Begeisterung. Mehr Länder bedeutet mehr Afrikaner, Asiaten, Amerikaner, die zusammenkommen. Der Fussball wird in den Klubs weiter entwickelt, daher können wir nicht erwarten, dass es bei Weltmeisterschaften zu fussballerischen Qualitätssprüngen kommt. Die WM ist ein gesellschaftliches Ereignis und der Fussball darf sich diese Gelegenheit, der Leidenschaft der Fans Rechnung zu tragen, nicht entgehen lassen. Was sind Ihre Ansichten zum System der Video-Schiedsrichterassistenten?Wir alle brauchen es. Es darf nicht passieren, dass Profis aufgrund einer Verweigerung dieser Entwicklung Spiele oder gar Titel gewinnen oder verlieren. Sponsoren, Eigentümer und Investoren müssen spüren, dass die Technologie vorhanden ist. Die Schiedsrichter benötigen und verdienen Schutz. Sie benötigen diese Technologie, die ihnen hilft, sie schützt und sie unterstützt.