Mittwoch 28 Oktober 2020, 01:21

Wharton - Ein wahrer Fussballpionier

  • Arthur Wharton war der erste schwarze Fussballprofi in England

  • Verstorben 1930 wäre er heute, 28. Oktober 2020, 155 Jahre alt geworden

  • FIFA.com erinnert an die außergewöhnliche Karriere des Torhüters

Als sich die Stars der Premier League, unter ihnen Ashley Cole und Asamoah Gyan in der vergangenen Woche vor dem Freundschaftsspiel zwischen England und Ghana im Wembley-Stadion aufwärmten, konnten sie am Spielfeldrand eine unauffällige Zeremonie beobachten. Doch ihnen war wohl kaum klar, was sie dem Mann verdankten, der da geehrt wurde – selbst wenn sie den Namen Arthur Wharton schon einmal gehört hätten.

Denn während Cole, Gyan und ihre Teamkameraden in einem Zeitalter spielen, in dem fussballerisches Talent wichtiger ist als Hautfarbe und Herkunft, machte sich Wharton seinen Namen in einer Zeit, in der das Leben für Schwarze – Männer wie Frauen – noch viel schwerer war. Als erster schwarzer Fussballprofi war er ein wahrer Pionier, dessen Andenken es zu ehren gilt, wie auch der englische Fussballverband FA in der vergangenen Woche erklärte.

Dabei war Wharton nicht der erste und einzige Schwarze, der den Weg bahnte. Denn schon zuvor hatte der aus Ghana stammende Andrew Watson mit dem FC Queen's Park den schottischen Pokal gewonnen und 1881 und 1882 sogar drei Einsätze in der schottischen Nationalmannschaft absolviert. Allerdings war Watson Amateur, während Wharton als erster schwarzer Spieler Geschichte schrieb, der seinen Lebensunterhalt mit Fussball verdiente.

Seine Karriere verlief dabei alles andere als geradlinig und böte durchaus genügend Stoff für mehrere Hollywood-Filme. Denn Wharton war nicht nur ein Fussballer der Extraklasse, sondern stellte auch einen Weltrekord im Sprint über 100 Yards auf, spielte professionell Cricket, war britischer Rennradmeister und glänzte außerdem auch auf dem Rugbyfeld.

Vom Sprinter zum Schlussmann

Dabei hatte seine Familie für ihn keineswegs eine Karriere im Sport vorgesehen. Wharton wurde am 28. Oktober 1865 in Accra (Ghana) geboren. Sein Vater war halb schottisch und halb grenadisch, seine Mutter entstammte dem ghanaischen Königsgeschlecht. Im Alter von 17 Jahren wurde Wharton nach England geschickt, um dort eine Ausbildung im Beruf seines Vaters zu erhalten, der ein methodistischer Seelsorger war.

Doch schnell wurde klar, dass dies nicht der richtige Weg für ihn war. Seine Erfüllung fand Wharton vielmehr in sportlichen Aktivitäten und er war in jeder Sportart, der er sich verschrieb, ein herausragender Athlet. Er ging als so genannter "Gentleman-Amateur" an den Start und war schon mit 20 der schnellste Läufer Großbritanniens. An der Stamford Bridge im Londoner Stadtteil Chelsea gewann er den 100-Yard-Sprint mit einem neuen Weltrekord.

Dieser Erfolg eröffnete ihm die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch die Teilnahme an Leichtathletik-Wettkämpfen zu bestreiten. Zusätzlich verdiente er sich durch die Teilnahme an hochklassigen Cricket-Turnieren Geld. Schon bald trat auch der Fussball auf den Plan, nämlich in Gestalt des Trainers von Darlington, der die athletische Klasse des jungen Mannes erkannt hatte und ihm einen Platz in der Fussballmannschaft anbot.

Doch kurioserweise machte sich Wharton seinen Namen nicht als pfeilschnelle Sturmspitze oder als wieselflinker Flügelflitzer, sondern ausgerechnet als Torhüter zwischen den Pfosten. Und auch für diese Position brachte er die erforderlichen Qualitäten mit, nämlich Furchtlosigkeit, Flinkheit und Charakterstärke. Und wie viele andere Torhüter zeichnete er sich zusätzlich durch eine gewisse Exzentrizität aus.

Der Sportreporter T.H. Smith beschrieb 1942 in einem Artikel in der Zeitung Sheffield Telegraph & Independent einen herausragenden Moment in Whartons Karriere mit folgenden Worten: "Wharton sprang hoch, klammerte sich an die Querlatte und fing den Ball mit seinen Beinen. Drei heranstürmende Angreifer stolperten dabei ins Netz. Nie zuvor und nie danach habe ich eine solche Aktion gesehen – und ich habe über 50 Jahre lang Fussballspiele beobachtet."

Rassismus war damals nahezu allgegenwärtig. Selbst seine Bewunderer benutzten oft abfällige Bezeichnungen wie "Bimbo Wharton". Manche sind sogar davon überzeugt, dass er wegen seiner Hautfarbe nicht für die englische Nationalmannschaft nominiert wurde. Doch trotz alledem war der draufgängerische Torhüter bei den vornehmlich der Arbeiterklasse zugehörigen Anhängern Darlingtons sehr beliebt. In den damaligen Reportagen wurde er als "großartig", "unüberwindlich" und "fantastisch" beschrieben.

Der damalige Spitzenklub Preston North End holte Wharton nach Deepdale wo er sich erneut auszeichnen konnte und 1887 mit den Lilywhites das FA Cup-Halbfinale erreichte. Kaum ein Jahr später jedoch entschloss er sich, zum professionellen Sprinter zu werden. Dieses sportliche Abenteuer währte indes nur kurz. Nach seiner Rückkehr zum Fussball konnte Wharton allerdings nicht wieder an seine früheren Erfolge und Leistungen anknüpfen.

In den folgenden Jahren heuerte er bei zahllosen Klubs an. Wharton begann zu trinken und dies forderte schon bald seinen Tribut. Der frühere Fussballpionier fand sich in einer Abwärtsspirale wieder, aus der er sich nicht mehr befreien konnte. 1902 verabschiedete er sich endgültig vom Fussballsport. Er hielt sich als Hilfsarbeiter in den Kohlegruben von Yorkshire über Wasser und starb 1930 als mittelloser Alkoholiker.

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Ein vergessener Pionier

Fast sieben Jahrzehnte lang geriet Wharton in Vergessenheit und erst 1997 wurde auf seinem Grab auf dem Armenfriedhof von Darlington ein Gedenkstein errichtet. Doch selbst danach blieb sein einmaliger Beitrag zur Geschichte des Fussballs nahezu unbekannt. Selbst Viv Anderson, der erste Schwarze, der in der englischen Nationalmannschaft spielte, musste kürzlich gestehen, dass auch er zur unwissenden Mehrheit gehörte.

"Als ich von ihm erfuhr, war ich wirklich überrascht", so der ehemalige Star von Manchester United und Nottingham Forest. "Ich war völlig verblüfft, als ich die Ausstellung über ihn im Nationalen Fussballmuseum sah. Ich konnte nicht glauben, dass man heute kaum noch von ihm spricht, nachdem er so viel erreicht hat. Und eigentlich müsste ich ja einer der ersten sein, die von ihm wissen. Es gibt ein Band zwischen uns, das niemals zerstört werden kann. Er war der erste schwarze Fussballprofi Englands und ich war der erste schwarze Nationalspieler Englands. Ich empfinde es als Ehre, mit ihm in Verbindung zu stehen. Die Geschichte von Arthur Wharton ist ein wichtiger Teil der englischen Fussballkultur und er sollte stärker gefeiert werden."

Dank einer in seinem Namen gegründeten Stiftung ist nun der Prozess in Gang gesetzt, Wharton seinen rechtmäßigen Platz in der Fussballgeschichte einzuräumen. Bei der Zeremonie im Wembley-Stadion in der vergangenen Woche, an der auch Cyrille Regis und Brendon Batson, zwei schwarze Stars aus den 1970er und 1980er Jahren beteiligt waren, wurde dem ältesten noch lebenden Verwandten Whartons eine Statue überreicht, die im Laufe des Jahres in Darlington aufgestellt werden soll.

Der englische Fussballverband FA ist mit GBP 20.000 an der Schaffung der Gedenkstätte beteiligt. Nach Batsons Worten ist diese Art der Anerkennung das Mindeste, was Wharton verdient hat. Er sagte: "Wenn man seine Geschichte und seine Leistungen kennt und weiß, was er durchgemacht hat, ist es eine tolle Sache, dass die FA diesem fantastischen Menschen, Fussballer und Sportler nun die Ehre erweist. Schließlich sprechen wir hier von einem wahren und echten Pionier – er hat den Weg für alle schwarzen Spieler bereitet."

Und während der Kampf zur Ausrottung des Rassismus bis heute weitergeht, darf man davon ausgehen, dass Wharton sehr stolz darauf wäre, wie weit es seine Nachfolger gebracht haben.