Samstag 02 Januar 2016, 08:27

Van Bommel: "Im Fussball hat man keine Zeit"

Die Bezeichnung "Bilderbuchkarriere" ist sicherlich subjektiv zu betrachten, schließlich definiert jeder Fussballer seine Ziele und Träume anders. Doch wenn man sich die Laufbahn von Mark van Bommel anschaut, dann passt jener Ausdruck perfekt. Zwischen 1992 und 2013 war der Niederländer auf dem grünen Rasen unterwegs und spielte erfolgreich für die größten Klubs in ganz Europa. Ob beim PSV Eindhoven (Niederlande), FC Barcelona (Spanien), FC Bayern München (Deutschland) oder beim AC Mailand (Italien) – immer hat sich der einst als "Aggressive Leader" titulierte Mittelfeldspieler durchgesetzt und als Kapitän oftmals Verantwortung bewiesen.

Auch in der Nationalmannschaft gehörte er jahrelang zu den Leistungsträgern, bestritt 79 Länderspiele (10 Tore) und wurde 2010 Vize-Weltmeister mit der Elftal. FIFA.com sprach exklusiv mit dem 38-Jährigen über seine aktuellen Pläne, die FIFA Ballon d’Or Gala sowie eine Sache, die er in seiner Karriere vermisst.

Mark, was machen Sie derzeit? Mir geht es sehr gut. Ich bin voll beschäftigt, auch wenn sich das komisch anhört. Normalerweise ist dies der Fall, wenn man aktiv ist und selber spielt. Nach der Karriere könnte man denken, dass man viel Zeit hat. Aber bei mir ist das Gegenteil der Fall. Ich bin seit mehr als zwei Jahren mit meiner Trainerausbildung beschäftigt und habe sie erfolgreich abgeschlossen. Dazu habe ich die Kinder, die intensiv viel Sport machen, Fussball und Tennis. Dazu arbeite ich noch in Saudiarabien als Assistenztrainer der Nationalmannschaft.

Wann sieht man Sie als Cheftrainer an der Seitenlinie? Ich hatte bereits einige Angebote vorliegen, aber ich muss mich erstmal als Trainer entwickeln. Wenn ich überlege, wie ich die ersten Einheiten geleitet habe und wo ich jetzt stehe, ist das ein großer positiver Unterschied.

Ihr ehemaliger Verein FC Bayern hatte kurzzeitig Bedarf, ehe die Münchner Carlo Ancelotti ab dem Sommer holten. Aber das käme dann also zu früh... *(lacht)* Ja, hundertprozentig käme das zu früh.

Wie wichtig ist Pep Guardiola für den FC Bayern? Er ist sehr wichtig, aber das waren Jupp Heynckes und viele andere Trainer auch. Mit Jupp haben sie das Triple geholt. Guardiola ist ein hervorragender Trainer, der sicherlich viele Titel und eine gute Spielweise garantiert. Die Voraussetzungen sind überragend. Wenn man den Kader anschaut, ist das für einen Trainer ein Traum. Jeder wünscht sich so einen Kader.

Was halten Sie von Ancelotti? Für mich ist es keine große Überraschung, dass man an ihn gedacht hat. Er ist ein ruhiger Trainer, der bewiesen hat, dass er mit Stars umgehen kann, auch weil er selbst auf diesem Niveau gespielt hat. Das ist immer ein großer Vorteil, um Erfolg zu haben bei großen Vereinen. Er ist eine sehr gute Wahl.

Neymar, Ronaldo oder Messi – wer wird FIFA Weltfussballer? Wenn es nach Erfolgen geht, muss es Neymar oder Messi werden. Barcelona hat in diesem Jahr alles gewonnen. Daher geht es nur über die beiden.

Wie sehr schmerzt es Sie, dass die Niederlande nächstes Jahr bei der EURO nicht mit dabei ist? Das ist nicht gut. Wenn man in der Qualifikationsgruppe mit Island, Türkei und der Tschechischen Repulik nur Dritter werden muss und es nicht schafft, dann kann man nicht sagen, dass wir eine junge Mannschaft haben oder wir noch Zeit brauchen. In den Niederlanden hat man keine Zeit. Wir müssen uns jedes Mal qualifizieren. Normalerweise hat das Team auch die Qualität dazu, aber dieser Kader ist nicht so gut, wie in den früheren Turnieren und Qualifikationen.

Wo liegen die Problemen? Es ist sicherlich schwierig, wenn man ständig zwischen den Systemen wechselt, mal 4-3-3, 3-4-3, 5-3-2 oder 4-4-2. Man kann sicherlich Details verändern, aber die Grundordnung sollte klar sein. Das geht natürlich nicht bei der Nationalmannschaft, weil man die Spieler dort nur ein paar Tage zusammen hat. Aber man darf nicht alles am System abhängig machen, sondern es kommt auf die Spieler an, die zur Verfügung stehen. Wenn man einen Arjen Robben auf der Außenbahn hat und einen ähnlichen Spieler auf der anderen Seite, dann muss man das ausnutzen und entsprechend aufstellen und nicht mit zwei Stürmern angreifen.

Wer gewinnt die UEFA EURO 2016? Die Deutschen sind immer Favorit, dazu die üblichen Teams wie Frankreich oder Spanien. Belgien ist sicherlich auch ein Kandidat. Außerdem hat man eigentlich immer eine Überraschung, die weit kommt. Aber das wird sich erst im Turnier herausstellen, wer das sein wird.

Haben Sie sich über den WM-Titel 2014 der Deutschen gefreut? Es waren noch einige Spieler dabei, mit denen ich selbst noch gespielt habe. Ich weiß, wie es ist, in einem Finale zu stehen und wenn man es gewinnt, ist das ein super Gefühl. Ich hatte danach Kontakt zu Basti (Bastian Schweinsteiger), (Miroslav) Klose und (Thomas) Müller. Ich habe mich riesig für die Jungs gefreut.

Und wer gewinnt die UEFA Champions League? Ich glaube, dass die Bayern in diesem Jahr weit kommen werden und Barcelona auch. Atlético und Real Madrid darf man ebenfalls nicht vergessen. Die sind vielleicht nicht ganz so stark wie Bayern und Barça, aber dennoch sind sie schwer zu schlagen. Wenn man 100 Leute fragt, sagen 95 Prozent Bayern und Barcelona.

Sie galten als Aggressive Leader – gibt es solche Typen noch? Solche Spieler braucht jede Mannschaft. Die Teams, die Titel holen, haben immer ein oder zwei davon in ihren Reihen, die auf dem Platz den Ton angeben und das Team an die Hand nehmen, wenn es mal nicht läuft. Sie setzen die richtigen Akzente und sind taktisch sehr schlau. Das hört sich komisch an, weil man vielleicht denkt, dass die nur treten oder unfair agieren. Aber das ist nicht so. Diese Spieler lesen das Spiel und entscheiden Partien. Wenn die andere Mannschaft eigentlich besser ist und man im Mittelfeld einen entscheidenden Zweikampf gewinnt, dann hat man einen Moment im Spiel, der alles drehen kann. Manchmal muss man einfach ein Zeichen setzen. Diese Spieler können das Ergebnis ändern mit ein, zwei guten Aktionen. Mir gefallen solche Spieler. Arturo Vidal hat so etwas oder Paul Pogba. Die sind technisch begabt, aber sie haben auch das schlaue Auge. Sie wissen ganz genau, wann und wie sie einen Zweikampf gewinnen müssen.

Sie waren in allen Top-Ligen unterwegs – außer in England. Dort hätten Sie aufgrund ihrer Spielweise aber doch gut hingepasst. Warum hat es nicht geklappt mit der Premier League? Angebote gab es viele, aber jedes Mal hat es nicht gepasst oder ich hatte gerade woanders unterschrieben. Ich hätte gerne in England gespielt. Generell bin ich natürlich sehr froh über meine Karriere. Nicht jeder kann sagen, dass er in Barcelona, Mailand und München gespielt hat.

Wo hat es Ihnen am besten gefallen als Spieler? Am längsten im Ausland war ich bei Bayern München. Da kenne ich alle im Verein, von der Geschäftsstelle bis zum Zeugwart. Ich habe auch jetzt noch Kontakte dorthin, auch zu den anderen Vereinen, aber am München die meisten.

Verfolgen Sie auch den Frauenfussball? In Niederlande wird der Frauenfussball noch anders beobachtet, als der Männerfussball. Ich will nicht sagen, dass das Niveau schlechter ist. Das rührt noch von früher her. Die Frauen machen große Schritte vorwärts. In Deutschland ist man da schon weiter. Überall baut man am Gebäude Frauenfussball und das ist gut so.