Dienstag 26 Mai 2020, 11:00

United schockt Bayern mit Comeback im Camp Nou

  • Heute vor 21 Jahren

  • In der Nachspielzeit von 0:1 zu 2:1

  • ManUnited jubelt, der FC Bayern trauert

Am 26. Mai 1999 hatten Manchester United und Bayern München in Barcelona eine Verabredung mit dem Schicksal, denn beide Mannschaften befanden sich auf dem Weg zu einem historischen Triple-Erfolg. FIFA.com blickt auf eines der unglaublichsten Finalspiele der Geschichte zurück.

Von den Ehrenplätzen im Camp Nou ist es ein langer Weg nach unten. Als die Anzeigetafel auf die 90. Minute umsprang, sprach UEFA-Präsident Lennart Johansson der United-Legende Bobby Charlton sein Beileid aus und machte sich auf den Weg zum Aufzug, der ihn an den Ort der Pokalübergabe der UEFA Champions League bringen würde. Eine halbe Minute verstrich, bis die Reise des Schweden in das Innere des berühmten Stadions zu Ende war. Er trat aus dem Aufzug, lief durch die labyrinthischen Gänge des katalanischen Sportkomplexes, und als er herauskam, bot sich ihm ein verwirrendes Bild.

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Weinende Sieger und lachende Verlierer?

"Ich dachte, das kann nicht wahr sein", erinnerte sich einst Johansson. "Die Sieger weinen und die Verlierer tanzen." Die erstaunlichen Minuten, die sich ereigneten, nachdem Johansson seinen Sitzplatz verlassen hatte, gehören zu den am meisten erinnerten und gefeierten Augenblicken der Fussballgeschichte. Manchester Uniteds Sieg in letzter Minute gegen Bayern München gilt heute als archetypisches Sinnbild für die Launenhaftigkeit des Fussball-Schicksals. Die Niederlage vor Augen, schnappte United dem Gegner den Titel vor der Nase weg und ging als erstes Team, das einen noch nie dagewesenen Dreifacherfolg schaffte, in die Geschichte ein.

Sowohl United wie auch die Bayern waren in der Hoffnung in das Finale gegangen, ihre jeweilige Saison als Triple-Sieger abschließen zu können. Alex Fergusons Mannschaft hatte sich zuvor am letzten Spieltag der Premier League gegen Tottenham Hotspur den englischen Meistertitel gesichert und sich sechs Tage später im Finale des FA Cups gegen Newcastle United durchgesetzt. Ottmar Hitzfelds Mannschaft hatte bis Anfang Mai überlegen die deutsche Meisterschaft unter Dach und Fach gebracht und stand im Finale des DFB-Pokals, das Mitte Juni über die Bühne gehen sollte.

Die beiden Teams waren sich bereits in der Gruppenphase der Champions-League-Saison begegnet. Es gab zwei Unentschieden, doch Bayern zog als Gruppensieger in die nächste Runde ein. United ging geschwächt ins Finale und musste das Fehlen des einflussreichen Mittelfeld-Duos Paul Scholes und Kapitän Roy Keane verkraften, die beide nach Verwarnungen im siegreichen Halbfinalrückspiel gegen Juventus in Turin gesperrt waren. So übernahm Torhüter Peter Schmeichel die Kapitänsbinde, und in einer umstrukturierten Formation kam David Beckham im zentralen Mittelfeld an der Seite von Nicky Butt zum Einsatz. Gleichzeitig rückte das skandinavische Duo Jesper Blomqvist und Ronny Johnsen in die Startformation. Die Bayern mussten verletzungsbedingt auf den Gewinner der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ in Frankreich, Bixente Lizarazu, sowie auf Giovane Elber verzichten. Dies bedeutete, dass die Münchener die Partie mit zehn Deutschen in der Startformation begannen, während in der Anfangself der Red Devils vier Mitglieder der berühmten "Klasse von 92" (Beckham, Butt, Ryan Giggs und Gary Neville) standen.

"Nach dem Spiel habe ich einfach geweint"

Die Deutschen erwischten einen glänzenden Start. Als Johnsen in der sechsten Minute Carsten Jancker am Strafraumrand zu Fall brachte, zirkelte Mario Basler den darauffolgenden Freistoß um die Mauer zur Führung ins Tor. United erholte sich und dominierte über weite Strecken der ersten Halbzeit die Partie, konnte sich aber gegen die soliden Bayern keine klaren Torchancen erarbeiten. Die durchschlagskräftige Partnerschaft von Dwight Yorke und Andy Cole, die im Verlauf jener Saison schon über 50 Tore produziert hatte, wurde von der robusten Defensive rund um das legendäre Duo Lothar Matthäus und Oliver Kahn völlig ausgeschaltet.

Während United in der zweiten Hälfte weiter auf den Ausgleich drängte, blieben die Bayern durch Konter gefährlich. Schmeichel musste gegen Jancker und Stefan Effenberg zwei Mal in höchster Not retten. Anschließend gab es weitere Chancen für die Bayern: Einwechselspieler Mehmet Scholl schoss an den Pfosten und ein Fallrückzieher von Jancker klatschte an die Latte. Die Engländer indes gaben durch die Einwechselspieler ihrerseits einige Warnschüsse ab. So rettete Kahn bei einem Volleyschuss von Teddy Sheringham und parierte einen Kopfball von Ole Gunnar Solskjaer. Doch die Bayern nahmen die Warnungen nicht ernst.

Die Partie näherte sich der 90-Minuten-Marke, und als der vierte Offizielle eine Nachspielzeit von drei Minuten anzeigte, verließ Johansson seinen Sitzplatz. Gary Neville fand sich nach dem Versuch eines langen Einwurfs auf ungewohnter Position auf dem linken Flügel wieder und flankte in den Strafraum, doch Effenberg wehrte ab. Eckball für United. Beckham rannte über den Platz, um sich den Ball zur Ausführung zurechtzulegen. Der dänische Kapitän Uniteds verließ seinen Kasten und stürmte nach vorne. Erinnerungen an dessen spätes Tor gegen Rotor Wolgograd im UEFA-Pokal vier Jahre zuvor wurden wach. Mit seinem leuchtend grünen Trikot und seiner imposanten Statur brachte Schmeichel die Bayern-Defensive durcheinander, doch Beckhams Eckstoß wurde zunächst geklärt und landete am Strafraumrand. Giggs schoss den Ball direkt wieder aufs Tor, und Sheringham lenkte das Spielgerät aus der Drehung ins Netz. Auf wundersame Weise schien United die Deutschen in die Verlängerung zwingen zu können, und zweifellos ging den Spielern in diesem Moment die Golden-Goal-Regel durch den Kopf.

Es war nur noch knapp eine Minute der Nachspielzeit zu absolvieren, und Solskjaer nahm auf der linken Seite einen Abschlag Uniteds auf und versuchte Samuel Kuffour zu entwischen. Der Ghanaer blockte den Flankenversuch des Spielers mit der Nummer 20 zum Preis einer weiteren Ecke für United ab. Diesmal blieb Manchesters Schlussmann hinten, als Beckham ein weiteres Mal zur Ausführung schritt. Sheringham leitete die Hereingabe weiter und Solskjaer drosch den Ball aus nächster Nähe unter die Latte. Der Norweger sprintete davon und wurde auf den Knien rutschend unter seinen Teamkameraden begraben. Schmeichel schlug einen Flickflack. Die Bayern waren am Boden zerstört. Es blieb ihnen nur noch die Zeit, den Ball nach vorne zu schlagen. Butt klärte und Pierluigi Collina blies zum Schlusspfiff. Jubelszenen bei United, schmerzhafte Momente für die Bayern. Das Bild des verzweifelten Kuffour, der auf den Rasen einschlug, ging um die Welt.

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Ein Ritterschlag für Ferguson

"Ich wollte das gar nicht machen, doch wenn du so niedergeschlagen bist, kannst du dich nicht beherrschen", sagte Kuffour Jahre später im Interview mit The Guardian. "Nach dem Spiel habe ich einfach geweint. Ich habe mir das Spiel noch nicht einmal angesehen, ich will es nicht sehen."

Der einen Mannschaft Leid ist die Freude der anderen. Der Trainer von Manchester United wurde weniger als einen Monat später zum Ritter geschlagen. "Ich kann es nicht glauben", sagte Ferguson unmittelbar nach dem Finale. "Fussball, verdammte Hölle. Sie haben nie aufgegeben, und das hat den Sieg gebracht." Der Pokal, der nur wenige Minuten zuvor mit den Farben der Bayern verziert worden war, wurde nun für United rot-weiß geschmückt. Der Trainer und der scheidende Schmeichel reckten die Trophäe in die Höhe. "Ich begann gerade, mich damit abzufinden, dass wir das Spiel verlieren", erinnerte sich Ferguson später. "Ich erinnerte mich daran, meine Würde zu bewahren und zu akzeptieren, dass es nicht unser Jahr werden würde. Was dann passierte, verblüffte mich einfach."

Diese erstaunliche Wende verblüffte auch den UEFA-Präsidenten und die Fussballwelt. United war die erste englische Mannschaft, die seit der Katastrophe im Heysel-Stadion 1985 einen Europapokal gewann. Die Bayern verloren in der Folge das Finale des DFB-Pokals gegen Werder Bremen nach Elfmeterschießen. Doch sie konnten sich 2001 nach 25 Jahren Wartezeit mit dem Gewinn des "Henkelpotts" trösten – ebenfalls nach Elfmeterschießen wurde der FC Valencia bezwungen. Ferguson sollte 2008 nach einem dramatischen Elfmeterschießen in Moskau noch eine zweite und letzte Champions-League-Trophäe gewinnen. Wahrscheinlich wird der bemerkenswerte Abend in Barcelona aber nie übertroffen werden.